02.08.91

Was das Christentum vom Judentum unterscheidet, ist die Antwort auf eine im wörtlichen Sinne welthistorische Zeitenwende: die Antwort auf den Beginn und die Folgen des durch Philosophie und Politik konstituierten Säkularisationsprozesses. Auf den hier begründeten und entsprungen Weltbegriff bezieht sich das Neue am Christentum, das hier erst möglich (und notwendig) war: die Übernahme der Schuld der „Welt“ durch Jesus und das darauf sich beziehende Nachfolge-Gebot. Nur so war die jüdische Tradition nach dem Einbruch des Hellenismus und des Römischen Imperiums zu retten. Die Welt, die hier entspringt, ist tatsächlich aus dem Nichts erschaffen, aber nicht durch Gott, sondern durch den Demiurgen, den Staat. Gott hat nicht die Welt, sondern „Himmel und Erde“ erschaffen; die Welt hingegen ist Erbe und Inbegriff dessen, was bei den Propheten Götzendienst hieß: Produkt von Subjektivität, Folge der verdrängten Zukunft, Himmel und Erde ohne Himmel.
Symbolisiert das „Gesetz“ bei Paulus (insbesondere in der Erbsünden- und Erlösungslehre des Römerbriefes) die „Welt“ – und nicht nur das „Gesetz der Juden“ (Ursprung des kirchlichen Antijudaismus, Projektion); ist der Ursprung des Gesetzes (der Zaun der Tora) schon ein Reflex auf die Verweltlichung der Welt, Korrelat des Gesetzes der Profangeschichte (Objektivation und Verdinglichung, Herrschaft des Tauschprinzips, entfremdetes Bekenntnis, Inertialsystem, Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang, „Dornen und Disteln“)?


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