03.08.92

Wann war Jesus „erschüttert“? – Beim Tod des Lazarus (Joh 1133) und bei der Ankündigung des Verrats (Joh 1321). Und im Garten Gethsemane?
Zum evangelischen Rat der Armut: Mit dem Eigentum verlängere ich meine Sinnlichkeit (über die Abtötung der eigenen Sinnlichkeit: Ursprung der christlichen Sexualmoral), mache ich mich über meine Physis hinaus (in die Dinge hinein) empfindlich und verletzbar. Dazu muß ich sie vorher töten: Das historische Mittel dazu ist der Begriff, dann die Universalisierung des Begriffs in der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung (die Verweltlichung der Welt: ein verkehrt magischer Vorgang oder die Umkehrung der Magie). Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ am Frankfurter Gerichtsgebäude meint eigentlich: Das Eigentum – denn darin verkörpert sich fürs Recht die Würde des Menschen – ist unantastbar („Faß mein Auto nicht an“).
Ist das nicht der Grund, aus dem die Geschichte der Medizin erwächst (vgl. die gesellschaftlichen Bedingungen für den Ursprung der Anatomie)? Mit der medizinischen Wissenschaft melden die Ärzte ihre Eigentumsansprüche an die Körper der Menschen an. – Welche gesellschaftlichen Veränderungen drücken sich heute in den Fortschritten der Medizin und in den Veränderungen der Einrichtungen des Gesundheitswesens aus? Fallen nicht mittlerweile die Zähne unter den Eigentumsanspruch der Zahnärzte, die operierbaren Teile des Körpers unter den der Chirurgen? Sind nicht Vorsorgeuntersuchungen vorsorglich geltend gemachte Eigentumsansprüche? (Sind Ärzte nicht in einem sehr tiefen Sinne Verbündete des Todes, Erben, die ihre Ansprüche schon vor dem Ableben geltend machen?)
Eigentum ist kein einfacher Sachverhalt mehr; Mein und Dein lassen sich nicht mehr säuberlich trennen. Es gibt nicht mehr nur sich wechselseitig berührende, sondern auch wechselseitig sich durchdringende und überlagernde Eigentumsansprüche.
Der Systemfehler des Rechts liegt darin, daß es die Grundsätze des (zukünftigen) Handelns zu Kriterien des Urteils über vergangenes Handeln macht: in der Zeitumkehr, die es (als weltbegründendes Institut) mit den nachfolgenden Naturwissenschaften gemeinsam hat. Hierin liegt das vom Recht nicht abzulösende Herrschaftsmoment. Über die Logik der Rechtfertigung führt das dazu, daß das Richten über die Objekte, das Gericht nach draußen (die subjektive Form der äußeren Anschauung), von der Selbstexkulpierung, der Barmherzigkeit nach innen, nicht abzulösen ist (Projektion).
Die materiale Wertethik führt nicht heraus aus dem Formalismus in der Ethik, sondern schürzt den Knoten der Verstrickung zur Unlösbarkeit.
Der transzendentale Idealismus ist der Beweis für den idealistischen Ursprung des Materialismus.
Wissen ist Macht, und Begriffe sind Eigentumsansprüche; das Mein in Begriff des Allgemeinen und in dem der Meinung (auch in dem des Gemeinen, der mit dem des Allgemeinen ähnlich zusammenhängt, wie die Allbarmherzigkeit Allahs mit der Barmherzigkeit) erinnert daran. So ist die Philosophie sowohl das Modell der modernen Aktiengesellschaft als auch des demokratischen Staates, der das Eigentum aller ist, und dessen Gewalt und dessen Handeln der gemeinsamen Verantwortung aller unterliegen. Und der Widerspruch zwischen Aktiengesellschaft und Staat ist als Widerspruch in der Philosophie nicht zu heilen, auch nicht durch (rechte oder linke) Parteinahme aufzulösen, nur zu reflektieren.
Die christliche Sexualmoral, wenn sie aus dem Kontext der Urteilsform herausgenommen wird, gewinnt prophetische Bedeutung.
Gibt es einen Zusammenhang der „sieben unreinen Geister“ mit den mosaischen Reinheitsgeboten, die auf der einen Seite mit dem Gebot der Beschneidung verbunden waren, auf der anderen Seite in den Essens-, Sakral- und Sexualbereich hineinwirken, und die insgesamt dann aufgehoben worden sind durch die petrinische Vision? – Der Kreuzestod ist in der Tat die Abgeltung des Opfers, aber in einem Kontext, der mit dem Ursprung und der Bedeutung des Weltbegriffs zusammenhängt. Eben darin ist die ungeheure Ambivalenz begründet, die vom Christentum seit seinem Ursprung nicht abzulösen ist (Unkraut und Weizen).
Das Wasser als realmythisches Symbol: Es gibt eine Festkörperphysik und eine kinetische Gastheorie, und es gibt (im Planckschen Strahlungsgesetz) eine „Theorie des Feuers“. Aber es gibt keine Physik des Flüssigen (keine Wasserphysik). Es gibt allerdings die metaphorischen Begriffe des Verflüssigens und der Liquidation (Tötung des Verräters und Aufforderung zur Begleichung einer Schuld).


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