04.01.94

Der Satz, daß Gott die Welt erschaffen hat, ist nicht aus Gen 11, sondern 121 abzuleiten: aus der Erschaffung der großen Seeungeheuer.
Ist nicht der Klassenkampf ein Vorgang ebenso in der Realität wie in der Sprache: eine Manifestation des Herrendenkens? Wer die Macht hat, Fakten zu schaffen, braucht seine Begründungen nur noch diesen Fakten anzupassen: er spottet jeder Argumentation (wie die Reklame und die Propaganda). Zu klären wäre das Verhältnis von wirtschaftlicher Macht und politischer Gewalt, der materiellen Gewalt der Ökonomie zum Gewaltmonopol des Staates: wirtschaftliche Macht ist Macht über Objekte, politische Gewalt Gewalt über das Leben und die Sprache. Die Ökonomie herrscht über Erscheinungen, die Politik über die Namen.
Nur der Staat hat Militär und Polizei, wobei das Militär das Gewaltmonopol des Staates nach außen, die Polizei nach innen wahrnimmt. Heute, da das Militär immer mehr die Funktion einer Weltpolizei in einer durch die Ausbreitung der Marktmechanismen geeinten Welt wahrnimmt, sind Innen und Außen nur noch relativ, im Verhältnis zueinander zu unterscheiden (Außenpolitik als Welt-Innenpolitik).
Die beiden Asylrechtsfälle, die heute in der Rundschau zitiert wurden, haben mit Sicherheit keine dienstrechtlichen Folgen für die verantwortlichen Sachbearbeiter gehabt. Reicht eigentlich noch die Empörung auslösende Beschreibung der Fälle, käme es nicht darauf an, den systematischen Zusammenhang, in dem sie möglich waren (und weiterhin sind), zu analysieren? Sie haben paradigmatische Bedeutung für die Wahrheit des Satzes, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist. Der Grund liegt in der Beweislogik, aus deren Analyse allein noch die Grenzen des Rechtsstaats sich bestimmen lassen. Läßt sich nicht die Differenz zwischen der politischen Rechten und der Linken aus ihrer Beziehung zu dieser Gemeinheit bestimmen: Während die Linke die folgenlose Empörung über die Gemeinheit zu mobilisieren sucht, macht die Rechte sie sich zu eigen und versucht, sie zu übertrumpfen. An den Grund der Gemeinheit rührt keiner von beiden. Hängt es nicht mit ihrer Beziehung zur Gemeinheit zusammen, wenn die Rechten Gräber schänden (die Wahrheit der „Versöhnung über Gräbern“ drückt sich darin aus) und die Linken Mausoleen errichten (letzte Folge des Heroen- und Reliquienkults)?
Mit zu reflektieren ist die systemlogische Beziehung des Rechts zur Wahrheit: Rechtsgültige Urteile sind wahr, auch wenn sie falsch sind. Und wer je zum Objekt des Polizeihandelns geworden ist, weiß, daß, was nicht beweisbar ist, auch nicht existent ist. (Hierher gehören die Usancen beim Fußballspiel, wenn die Spieler jede Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters hinzunehmen haben, auch wenn sie falsch war: Einübung in den Rechtsstaat.)
Bemerkung eines Mitglieds der Geschäftleitung eines Konzerns zum Fall Barschel: Schlimm war nicht, was er getan hat, sondern daß er sich hat erwischen lassen.
Die zentrale Funktion der Beweislogik im Recht verrückt das crimen von der Tat ins Erwischtwerden. Das perfekte Verbrechen wäre eins, bei dem das Erwischtwerden sich ausschließen läßt (unter diesem Gesichtspunkt hat Lyotard einmal Auschwitz untersucht; wären nicht die „Selbstmorde“ in Stammheim auch ein lohnendes Objekt der Analyse?). Hat hier nicht der Staat generell die besseren Chancen und Möglichkeiten (von der Gesetzgebung bis zu den Einrichtungen des Staatsschutzes), und die Logik, die dem Titel des Staatsanwalts zugrundeliegt, ihr fatales fundamentum in re?


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