04.07.-13.07.92

Krankenhausaufenthalt:
Ist nicht der Weltbegriff Produkt der Verletzung des gesamten Dekalogs (insbesondere des 4. und 8. Gebots)?
Die Opfertheologie, die Vorstellung von der Wiederholbarkeit des einen Opfers, hat die christliche Theologie an den Mythos gebunden. Der Preis war die Vergöttlichung des Geopferten (und der Ursprung des modernen Naturbegriffs).
Gesellschaftlicher Zusammenhang von Schuld: Täter – Opfer; Vater (Herr) – Sohn (Knecht); Schuld/Schulden; Schuld – Bekennntis -Rechtfertigung; Schuld gibt es nur vor jemandem (vor Gott); kann Robinson schuldig werden? Schuld ist ein gesellschaftliches Phänomen, auch als ontologisches.
Vermittlung des christologischen Naturbegriffs durch den modernen Kunstbegriff (W.B. I 1, S, 64 – Novalis). Bedeutung des Naturschönen.
Ist nicht die Religion gleichsam der verwesende Rest des mythischen Opfers, sein christlicher Umkehrpunkt das Martyrium (Zeugenschaft)? Verinnerlichung des Opfers im Bekenntnis (mythischer Ursprung des Bekenntnisses: Notwendigkeit einer letzten Summa contra gentiles).
Außen und Innen: Auch die Funktionalität der modernen Architektur steht unterm Primat des Außen (Rasenmäher und Plätschern beim Krankenhaus nur für den zerstreuten Besucher (Betrachter), aber gegen die Bedürfnisse der Patienten, die ohnehin nur Objekte sind – Gewöhnung als Gewöhnung ans Objektsein, an die Entmündigung, die die Ärzte bereits voraussetzen – Ansätze beginnender Paranoia).
Im Krankenhaus die Bedeutung des Satzes erfahren: Die Welt ist alles, was der Fall ist (die Hölle des Selbstmitleids).
Die Stationsärztin, die bis heute kein Wort mit mir gesprochen hat, erklärt an meinem Bett mit allen Details meinen „Fall“ dem Chefarzt: So erfährt man, wie es um einen steht (vgl. die zweite Leugnung Petri).
Außen und Innen: Naturwissenschaft als Produkt der Veräußerlichung und Verinnerlichung des Kosmos zugleich (= Weltanschauung). Das Innen ist das Außen des Außen.
Ist nicht der Begriff der Weltanschauung im Sinne eines Genitivus subjectivus zu verstehen (Welt als Subjekt, nicht Objekt der Anschauung)? – Aus diesem Grund gibt es Weltanschauungen nur im Plural.
Ist nicht die Anschauung die Leugnung des Angesichts?
Erst die durchinstrumentalisierte Welt ist frei für nicht mehr kritisierbare subjektive Zwecke; sie ist „ideologiefrei“, weil es jedem offen steht, in ihr seine Interessen und Zwecke zu verfolgen. Hierbei wird nur die „Kleinigkeit“ übersehen, daß diese „Offenheit“ nur für den geringeren Teil der Menschheit real und gegeben ist; für alle anderen ist sie eine geschlossene Welt, ein Gefängnis, ein Irrenhaus, Grund des universalen Hospitalismus (Verhältnis von Raum und Geld!).
Die Vorstellung des unendlichen Raumes und das Tauschparadigma verdrängen den Widerspruch (kein Reichtum ohne Armut, keine Materie ohne Energie).
Pharao, das „große Haus“: Hängt der Name des Pharao mit der geschichtsphilosophischen Bedeutung des Hauses (der Architektur mit dem Toten im Innern) zusammen? Ist das „Haus des Seins“ pharaonisch und ontologisch (der babylonische Turm hingegen instrumental)?
Benjamin zufolge können „Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen“ sein (I 1, S. 133). Gilt das nicht mit fortschreitendem Objektivationsprozeß auch bereits für die Lebenden?
S. 189: „von Haus aus“.
Pharao: Haben die Juden sowohl die institutionellen Grundlagen (Josef) als auch die äußere, architektonische Realisierung des Pharaonentums (das Sklavenhaus) geschaffen? Ist der Josef-Roman das früheste Dokument der Dialektik von Herr und Knecht (aber anders als die Hegelsche)?
Walter Benjamin I 1, S. 332f: Der neudeutsche Kult der Trägheit des Herzens (acedia).
Rührt Benjamins Theorie der Allegorie nicht auch an den Ursprung der Schrift (S. 339f, 351)?
Schrift und Vergesellschaftung: Mit der Schrift beginnt die Zivilisation (Modell und Ursprung der Beziehung von Begriff und Gegenstand, des Objektivations- und Vergesellschaftungsprozesses).
Schlange als Bild der Zeit (S. 346): Seid klug wie die Schlangen.
Benjamin II 1, S. 351: die „fallende Sucht“; wie verhält sich die Epilepsie zum Mond und zur Mutter?
S. 352: Dummheit und Bosheit bereits Grundlage der herrschenden Politik, der Herrschaft überhaupt (keine Alternative dazu?). Der subjektlose Gemeinheitskern der Öffentlichkeit: Ontologie der Strudel, in dem die Moral versinkt.
Ist die Eucharistie nicht mehr nur Zeichen, sondern bereits Ersatz der Nachfolge? Bezieht sich darauf der Satz vom Zusammenhang des unwürdigen Essens mit dem Gericht (1 Kor 1127)?
Die islamische Polygamie verweigert die Erfahrung des ehelichen Konflikts ebenso wie die Verarbeitung dessen, worauf sich das vierte Gebot bezieht (den Ödipuskonflikt).
Sabotiert der Islam (die Ergebung in den „Willen Allahs“) die Spontaneität und die Aufmerksamkeit?
Ist der Islam die verdinglichte Version des jüdischen „Monotheismus“ (die jüdische Religion als Fall), und deshalb gleichsam „von Haus aus“ fundamentalistisch? Kein Ausweg aus dem Sexismus (Pascha: Herrschaft und Selbstmitleid)? Islam als Gottesfurcht-Vermeidungsstrategie, als scheinhafter Ersatz der Gottesfurcht?
Ist der Islam nicht auch Ausdruck einer erschütternden Hilflosigkeit (wie jeder Fundamentalismus, und jede zum Terrorismus neigende politische Bewegung, einschließlich der durch den unaufgearbeiteten Faschismus bestimmten herrschenden Politik)? – Läuft nicht die Art, wie die Kinder des Pakistani ihrem Vater jeden Wunsch erfüllen, noch bevor er ihn überhaupt äußern kann, auf eine ganz sublime Entmündigung (Infantilisierung) des Vaters hinaus? Er ist nicht mehr fähig, die einfachsten Dinge selbst zu tun. So rächt sich die Familie an ihrem „Oberhaupt“. (Oder: Die arme, klagende Kreatur rächt sich für das, was ihr angetan wurde, an ihrer Umwelt.)
Der Islam scheint eine Erlösung der Welt nicht zu kennen (deshalb der Freitag als Wochenfeiertag: der Tag vor dem Sabbat). Der Islam kennt Erlösung nur als individuelle Erlösung (Belohnung oder Bestrafung); deshalb ist er mehr noch als das Christentum auf die unerlöste Sexualität (und damit an die Frauenfeindschaft) fixiert. Paradigma der Erlösung ist die unio mystica oder die Rückkehr ins Paradies (den Garten mit den Flüssen) als reine Regression. Wenn die Welt nicht erlösbar ist, ist es auch die Frau nicht (Zusammenhang des Weltbegriffs mit dem Patriarchat und der Frauenfeindschaft).
Vgl. hierzu die Entrüstung, mit der der Autor von „Jesus starb in Indien“ auf die Salbung Jesu durch eine „Prostituierte“ reagiert (überhaupt die Empfindlichkeit gegen „Schande“, gegen eine Beeinträchtigung des Rufs, des öffentlichen Ansehens: deshalb darf Jesus nicht am Kreuz gestorben sein.)
Zusammenhang von Nationalismus und Befreiungsbewegungen:
– Konsequenz daraus, daß es ohne Geldwirtschaft (als subjektiver und objektiver Nationalitätsgrund) nicht geht, der Sozialismus hieran seine Grenze findet.
– Grund des Wiederauflebens religiös-politischer Kräfte (Nordirland, Islam, Jugoslawien, GUS).
– Grund für das theoretische Gewicht und die Bedeutung einer Analyse des Geld- und Bankenwesens.
Die Vorstellung des unendlichen Raumes setzt die ganze Welt unter Laborbedingungen, sterilisiert sie gleichsam, unterwirft sie dem Herrenblick, bringt das Andere zum Verschwinden.
Mit der Verdrängung des Sterbens aus der Erfahrung schwinden die Toten aus der Erinnerung. Die Welt wird vom Sterben und von den Toten nicht mehr berührt: sie wird steril (durchs Inertialsystem zum universalen Labor).
Der Personalismus in der Philosophie trat auf, als die Seele (und mit ihr der Gedanke der Unsterblichkeit und des seligen Lebens) aus dem Bewußtsein verdrängt wurde. Aber niemand (auch die „Gläubigen“ nicht) hat’s gemerkt, weil alle andere Ziele haben.
Ist die Erschaffung der „großen Seeungeheuer“ der Hinweis auf die Erschaffung des Bösen? Vgl. auch Hiob: den Ankläger und Behemoth und Leviatan.
Hat die Sara (im Buch Tobit) etwas mit Maria Magdalena zu tun (die sieben in der Brautnacht verstorbenen Männer mit den sieben unreinen Geistern)?
Die Trennung von Begriff und Objekt, Geist und Materie, dient auch der Erhaltung und Absicherung von Herrschaft, schließt den Gedanken einer Änderung der Gesellschaft (und der Natur) vom Grunde her aus. Kein Zufall, daß jede Namenslehre in Gefahr steht, magisch mißverstanden oder mißbraucht zu werden (Beziehung der Astronomie zur Schrift?).
Was bedeutet es, wenn die Schrift der Magie das Ende bereitet hat (Ausnahme: das Verhältnis von Kabbalah und Magie)?
Herrschaft ist Herrschaft über die Vergangenheit. Keine Änderung ohne Änderung der Vergangenheit (Beziehung der Herrschaft zur Sternenwelt).
Man kann nicht die Menschheit, um sie zu befreien, abschaffen. Die Wahrheit ist nicht durch Unwiderleglichkeit (gegen die Häretiker), sondern durch ihre Ausbreitungsfähigkeit (daß alle in ihr sich als gemeint wiederfinden) zu bestimmen. Die alltägliche Erfahrung, daß die Menschen über ihr unmittelbares Eigeninteresse hinaus nicht mehr ansprechbar sind, ist kein Anlaß zur Empörung, sondern zur Trauer. Empörung verwandelt auch die Wahrheit in ein Moment des gleichen bornierten Eigeninteresses, über das sie sich empört, macht sie zur Ideologie, die dann keinen anderen Weg mehr kennt außer dem der Gewalt, die die Wahrheit durch Unwiderlegbarkeit zerstört.
Es ist ein an der gegenwärtigen Konstruktion des Lebens geschulter böser Scharfsinn, der uns die Ursprünge des kirchlichen Christentums heute anders wahrnehmen läßt. Dagegen hilft keine Apologie.
Zu Kants Bemerkung über das Verhältnis von Natur- und Weltbegriff die transzendentale Logik (Deduktion der synthetischen Urteile apriori) vergleichen: Der Ursprung der Unterscheidung und ihre Folgen sind hier ablesbar.
In Benjamins Wort von der „Erektion des Wissens“ (I 1, S. 131) klingt sowohl die Erinnerung an der Turmbau zu Babel als auch ein Hinweis auf den Ursprung und die Geschichte der modernen Naturwissenschaften mit an. Diese Erektion des Wissens begründet den Weltbegriff.
Gründet das Gefühl in der Trauer? (S. 139)
Der Weltbegriff gründet in der gleichen objektiv vermittelten Abstraktion, der auch der Ursprung der Schrift sich verdankt.


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