Das Militär ist die Produktionsstätte der Nation (die einzige Produktionsstätte, die nach dem Prinzip der Selbstproduktion arbeitet: in der die Produzenten selber auch die Produkte sind). In einer militaristisch organisierten Gesellschaft sind auch Staatsbetriebe, von der Verwaltung über die Eisenbahn bis zur Post, militärisch-hierarchisch durchorganisiert (der Faschismus hat alle in Uniformen gesteckt und in paramilitärischen Organisationen erfaßt). Hat die Tatsache, daß Mysterien-Religionen, deren Struktur im Christentum dann sich reproduzierte, vorrangig Miltär-Religionen waren, hiermit etwas zu tun? Die Kirchenbildung begann dann auch mit der hierarchischen Durchorganisation der christlichen Gemeinden (gewinnen hier nicht die Beelzebub-Geschichte und die Geschichte vom Hauptmann und seinem erkrankten Knecht eine höchst ambivalente Bedeutung? Vgl. auch die anderen in den Evangelien auftretenden Soldaten, z.B. den Hauptmann unterm Kreuz; wird nicht in der Geschichte vom Dämon, der sich Legion nennt, das Dämonische und das Militärische aufeinander bezogen?). Hierarchische Organisationen lassen durch die Verschmelzung von logischen und Herrschaftsstrukturen (als organisches System eines vollständig durchinstrumentalisierten Herrschaftskörpers) sich begreifen.
Ist nicht das Präfix be-, das im Englischen als Infinitiv des Hilfsverbs „sein“ erscheint und die Sprachlogik beherrscht, das Schlüsselwort des Positivismus? Der Besitzer einer Sache besitzt nur, was einem anderen gehört, das Eigentum eines andern ist (hängt Gehorsam mit gehören zusammen, ist Gehorsam eine Eigentumskategorie?).
In den modernen Sprachen (am konsequentesten in der deutschen Sprache) haben die Präfixe eine neue Funktion bekommen, während die Funktion der Suffixe sich verlagert hat: von der sprachlogischen Ebene der Deklination und Konjugation auf die der Bildung der Abstrakta (der Substantivierung von Adjektiven, Verben). Die Bildung der bestimmten Artikel (und ihre Einbeziehung ins Deklinationssystem im Deutschen) und die Einführung der Hilfsverben und der Personalpronomina gründet in dieser Verlagerung. Die Präfixe hingegen sind der Sprache durch ihre Subsumtion unters Inertialsystem aufgezwungen worden: sie sind die Spuren des Inertialsystems in der Sprache.
War es nicht die gemeinsame Aufgabe der Naturerkenntnis und der Geschichtsschreibung, Natur und Geschichte, die in diesem Prozeß erst sich konstituierten, vor Augen zu führen, um sie (durch Objektivation) der Erinnerung zu entziehen? Opfer dieses Objektivationsprozesses waren die Juden, mit Beginn der Moderne auch die Ketzer (die nicht mehr nur verurteilt, sondern erstmals systematisch verfolgt wurden) und die „Hexen“ (in welchen die Sexualmoral eliminatorische Qualität gewann: bezieht sich nicht das apokalyptsiche Symbol des „Unzuchtsbechers“ auf diesen Vorgang: auf die projektive Anwendung der Sexualmoral?).
Die Naturwissenschaften (und ebenso der Kapitalismus, die Geldwirtschaft, das Rentabilitätsprinzip) haben die hierarchischen Strukturen nicht abgebaut, sondern sie (durch Hypostasierung der intentio recta, durch Verdrängung des Bewußtseins der Vermittlung) nur der Reflexion entzogen. Die Hypostasierung der intentio recta, die erstmals im Prozeß der Dogmenbildung ihre logische Gewalt entfaltete, ist eine Funktion der Orthogonalität: Deshalb gehören die „subjektiven Formen der Anschauung“, die die intentio recta determinieren, zu den Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs.
Die sieben unreinen Geister: Ist die Theologie heute nicht dabei, alle Ecksteine zu verwerfen?
Die Duden-Grammatik (1984), die an Sprachlogik nicht interessiert ist, hat inzwischen bereits eine Konstruktion aus der Medien-Sprache notiert: Zum Genitiv des maskulinen Demonstrativpronomen („dieses“) bemerkt er in einer Anmerkung: „Gelegentlich schon mit -en wie ein Adjektiv (Man verzeichnet gern, daß dank diesen Besuches die Atmosphäre sich aufgehellt hat. [FAZ 1967])“ In Zeitungen und Nachrichten scheint die Wendung diesen Jahres die grammatisch korrekte dieses Jahres inzwischen vollständig verdrängt zu haben. Drückt in dieser Adjektivierung des Demonstrativpronomens (die das deiktische „dieses“ zu einer Eigenschaft der Sache, auf die es hinweist, macht) nicht ein beunruhigender Sachverhalt sich aus? Einerseits verliert die Sache ihre Substantialität, wird sie zu einer Funktion der Information, die ihr überhaupt erst Realität verleiht (nur was im Fernsehen erscheint, ist real). Andererseit aber wird die Information der Sache zugeschlagen, von der sie nicht mehr sich trennen läßt: So wird der Berichtende entlastet; sein Hinweis auf die Sache (die Information über die Sache) wird zu einem Teil der Sache, für die er nicht verantwortlich ist („Objektivität“ legitimiert jede Gemeinheit). Das Omnipotenz-Bewußtsein der Medien, die die Realität konstituieren, korrespondiert ihre Verantwortungslosigkeit: Sie berichten ja nur über das, was ist. Steckt diese demiurgische Selbstverleugnung nicht auch in den anderen Genitiv-/Dativ-Problemen der Medien-Sprache? Und ist sie nicht insbesondere der Grund des Wegsehens von allem, was an die moralische Gemeinschaft des Berichtenden und des Lesers, Hörers, Zuschauers erinnert: „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“; heiß aber ist nur, was die Leser, Hörer und Zuschauer heiß macht, was die Empörung weckt, die sie manipulierbar macht, nicht was an sich heiß ist. Keine Meldung, in die nicht die Reflexion auf die Reaktion des ohnmächtigen und verantwortungslosen Konsumenten der Information als konstitutives Moment mit eingeht.
04.09.1996
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