Asymmetrie: Heute verwechseln alle Kritik und Widerlegung. Dabei ist kritikwürdig nur, was nicht widerlegungsfähig ist. Die Widerlegung ist ein Instrument der Eliminierung, ihr Ziel ist die Verurteilung. Ziel der Kritik hingegen ist die Rettung.
Abgestiegen zur Hölle: Erinnert das nicht an den Abstieg ins Private (waren es nicht der Caesar, das caesarische Imperium Romanum, die die Privatsphäre konstituierten, indem sie sie von der res publica trennten, sie gegen sie abschirmten und „schützten“ <Pax Augusta>; ähnlich schirmt der Teufel die Hölle, den Ort der Gemeinheit, gegen Barmherzigkeit und eingreifendes Handeln ab)?
Der Abstieg zur Hölle war zugleich auch der Einstieg in die Völkerwelt (in die Welt der Heiden, der Fremden, der Feinde), in die verurteilenden (zunächst durch den Mythos, am Ende durch politische Magie der Feindbildlogik geprägten) Sprachen?
Seit dem Kreuzestod Jesu haben vor allem die Verachteten (hat das Herz, in das nur Gott sieht) Anteil an der messianischen Kraft.
Confessor (Bekenntnislogik und Eliminierung der Frauen): Hat nicht Augustinus (in den Confessiones) über seine Mutter geschrieben, sie „glaubte wie ein Mann“?
Das Dogma und die subjektiven Formen der Anschauung: Die Sohn-Gottes-Theologie wird dämonisch, wenn das Nachfolge-Gebot aus diesem messianischen Titel eliminiert und verdrängt, der „Sohn Gottes“ zu einem Objekt des Anschauens wird. Das Dogma ist Theologie von außen (Theologie hinter dem Rücken Gottes, dessen Attribute Levinas zufolge nicht im Indikativ, sondern im Imperativ stehen); es begründet in der Theologie das (hier schon von Grunde her verworfene) Reich der Erscheinungen (deren Trennung vom Ansich). Auch hierauf bezieht sich der Levinas’sche Begriff der Asymmetrie (seine Unterscheidung von Indikativ und Imperativ). Die Verwischung dieser Asymmetrie (durch den Weltbegriff) ist der Punkt, an dem die Logik umkippt: der Punkt der Verdinglichung und Instrumentalisierung der Wahrheit (der Vertauschung von Name und Begriff, des Ursprungs der Dunkelheit, in die Theologie Licht zu bringen hätte, anstatt dem Heroismus des Nichtsehens zu verfallen).
Wodurch unterscheidet sich das homologein vom confiteri (hängt confiteor, confessus sum, mit fateor, fassus sum <gestehen, bekennen; äußern, zeigen>, zusammen)? Bezeichnet nicht diese Differenz den Übergang von Logik der der Sprache zur Logik der Anschauung (Indiz des Übergangs vom Griechischen ins Lateinische)?
Hängt das fateor mit dem fatum zusammen: ist das Bekenntnis der Reflex des Schicksals im Subjekt, der Versuch, die Macht des Schicksals mit Hilfe der Logik des Schicksals zu brechen? War die Bekenntnislogik die Voraussetzung der Rezeption des Begriffs (der Philosophie) im Lateinischen – eine Fortentwicklung der stoischen Ataraxie; hat die Bekenntnislogik „die Welt (den Weltbegriff) gerettet“, und hat sie in der gleichen Bewegung die Bedeutung des Naturbegriffs aus dem Kontext der Zeugung in den der Geburt verschoben?
Venus-Katastrophe: Hat nicht die Venus etwas mit der Fortuna, dem „Glück“ und dem „blinden Zufall“, zu tun? Wurde in der Venus die Kontingenz der Welt, als es aus ihr – in der staatlich organisierten Eingentumsgesellschaft – keinen Ausweg mehr gab, verehrt? In welcher Beziehung steht diese Kontingenz zur Sexualität? Beschreibt der Begriff der Venus-Katastrophe die Ursprungsbedingungen der Sexualmoral (die vor dem Selbstverlust, der Verfallenheit an die Kontingenz, schützen sollte)?
In welcher Beziehung steht das pisteuo zum credo, und das credo zum confiteor (gibt es eine dem „Kredit“ vergleichbare Wortbildung zu pisteuo)?
Am Ende des Buches Jona wird des Königs nicht mehr gedacht. Aber ist diese Geschichte vom König, der Buße tut und sein Volk (und das Vieh) aufruft, Buße zu tun, nicht das Gegenstück zu dem paulinischen Satz, daß am Ende. wenn der Sohn Ihm alles unterworfen haben wird, Gott alles in allem sein wird? Und ist es nicht dann in der Tat gleichgültig, ob des Königs dann noch gedacht wird?
Ist St. Peter der Erbe des Kolosseums, und hallen im Meßopfer die mörderischen Spiele in der Arena nach?
Die Aufgabe des Daniel, den Traum Nebukadnezars zu deuten, den er selbst zuvor finden und rekonstruieren muß, gleicht der Aufgabe, einen Knoten zu lösen, der zuvor durchschlagen wurde. (Ist der traumlose Schlaf, den es nicht gibt, das Sich-nicht-Erinnern an den nächtlichen Traum, eine Spätfolge des „durchschlagenen Knoten“: Gilt es nicht deshalb, die Nächte, die die Schöpfungstage trennen, endlich in die Erinnerung zu rufen?)
Die Idee der Auferstehung hängt mit dem „Richtet nicht …“ und dem Gebot der Feindesliebe zusammen. Sie ist ebenso wie eine Hoffnung auch ein Erkenntnisprinzip: die Nichtanerkennung der Verurteilung, der abgeschlossenen Vergangenheit, der Macht des Todes; Erinnerung als Revision des gnadenlosen Weltgerichts.
Barmherzigkeit als Erkenntnisprinzip: Ohne die Fähigkeit, in einen andern sich hineinzuversetzen, wird Erkenntnis blind. Objektivierende Erkenntnis (die ihr Maß an den subjektiven Formen der Anschauung hat) ist richtende, gnadenlose Erkenntnis: Erkenntnis von oben, aus Herrensicht.
Die subjektiven Formen der Anschauung, die mit der Mathematik, insbesondere mit der Geometrie (mit der Orthogonalität und der Reversibilität aller Richtungen im Raum) sich entfalten, sind ein blinder Reflex dessen, wovon sie abstrahieren: der „Zweckmäßigkeit“ (vgl. Kr.d.U., S. 223 <271> ff). Die subjektiven Formen der Anschauung sind das Instrument der Transformation der Teleologie in die Kausalität, sie destruieren die Logik des Grundes und machen die Kausalität zu einer universalen, zum Kern des synthetischen Urteils apriori.
Die Paranoia ist das Resultat der gelungenen Subsumtion der Teleologie unters Kausalitätsprinzip.
Kritik der Geschichte: Das An sich der vergangenen Dinge, ihr Innerstes, liegt in der Zukunft.
05.10.1996
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