Wie hängt die Gottesfurcht mit dem „Fürchtet euch nicht“ in der Schrift zusammen (unter anderem der Engel in den Evangelien; welcher Engel in welchen Evangelien? und welche Engel erschienen wem im Traum)? Gibt es einen Zusammenhang mit der Dämonenaustreibung?
Hat nicht das etablierte Christentum die Befreiung durch Gottesfurcht umgedeutet in eine Befreiung von der Gottesfurcht, und zwar aufgrund und in Zusammenhang mit der Rezeption des Weltbegriffs (durch das verhängnisvolle Konstrukt der „Entsühnung der Welt“)?
Die Wahrheit hat einen Zeitkern, der durch die Vorstellung der homogenen Zeit unkenntlich gemacht und verdrängt wird.
Die Entdeckung und Entfaltung der Raummetaphorik im Begriff der Umkehr ist der Schlüssel zur Kritik der Naturwissenschaften und des Weltbegriffs sowie zur Rekonstruktion eines theologischen Erkenntnisbegriffs.
Enthält die Rosenzweigsche Bejahung des Ja und Verneinung des Nein, die als Differenzierung des Hegelschen Begriffs der Aufhebung sich verstehen lassen, nicht eine Beziehung zur Zeit: Die Bejahung des Ja bezieht sich vorrangig auf das Moment der Zukunft, die Verneinung des Nein auf die Vergangenheit. Das Ergebnis ist in beiden Fällen ein Positives, aber die beiden Positiva sind nicht identisch, sondern deutlich unterschieden und durch das „Und“ auf einander bezogen.
Gibt es (im Hinblick auf die Konstruktion des Stern der Erlösung) nicht eine besondere Beziehung
– der Gottesfurcht zu Gott und zum Tod,
– der Umkehr zur Welt und zur Schuld und
– der Nachfolge zum Menschen und zur Sünde?
Hängt nicht das Rätsel des Christentums (das Rätsel, das das Christentum für sich selber ist) am Namen des Logos zu bestimmen (sic, B.H.): an der Beziehung des Logos, des Verbum, des Worts zum Namen? Erinnert das Verhältnis des Sohnes zum Vater nicht an die Rückbeziehung des Logos zum Namen, die allein den Namen des Logos aus den philosophischen Logos-Spekulationen zu befreien vermag? Das Christentum ist der Versuch, den Namen, die benennende Kraft der Sprache in die entfaltete, flektierende Sprache hinein zu retten, und hier gewinnen Joh 129 und die damit zusammenhängenden Stellen (die Übernahme und, nach dem Hebräerbrief, das Opfer der Sünde) ihre zentrale Bedeutung: Das Verbum löst sich aus der Verstrickung in den Begriff und gewinnt seine benennende Kraft zurück durch die Schuldreflexion, durch die „Übernahme der Sünden der Welt“. Umgekehrt: Durch die Sünden der Welt wird das Verbum, der Logos, zum Begriff, wird das Wort leer und stumm, zum flatus vocis. Das Wort ist das Lamm, das stumm zur Schlachtbank geführt wird, und der Kelch, den wir trinken müssen (bis zur Neige: zum Grund der Trunkenheit).
Der Name wird erinnert im homologein, in dem, was dann als Bekenntnis des Namens in der Schrift benannt wird: Hier und nur hier findet das Dogma von der homoousia seinen Grund und seine Wahrheit. Beide, das „Bekenntnis“ und die homoousia, gehören zum Nachfolgegebot, nicht in eine „Wesens“-Philosophie.
Es ist wahr, daß an der Trinitätslehre die gesamte christliche Theologie hängt, aber diese Trinitätslehre wird eher durch Gottesfurcht, Nachfolge und Umkehr als durch die abstrakte, verdinglichte Beziehung dreier „Personen“ repräsentiert. Ist nicht der Begriff der Zeugung in der Trinitäslehre mit der ungeheuren Zweideutigkeit belastet, die ohne das Moment der Umkehr zur Pädophilie, zum Inzest, zur Sodomie, m.e.W. polymorph pervers wird.
Erst wenn die Theologie von ihrer verdinglichten Gestalt befreit wird, wenn sie die Sprachreflexion in sich mit aufnimmt, die allein dem Logos angemessen ist, wird sie als ein Instrument der Gotteserkenntnis sich erweisen.
Hat nicht der Kreuzestod mit dem Futur II, dem Erleiden der zukünftigen Vergangenheit, zu tun? Ist er nicht auch, was ihn nicht abwertet noch verharmlost, etwas, was in die Beziehung des Verbs zum Nomen (in den Ursprung des Neutrum) mit hereinspielt, und ist nicht der Begriff des Substantivs der Greuel am heiligen Ort?
Gott will nicht, daß das Wort leer zu ihm zurückkehrt (Jes 5511): Ist das nicht die schärfste Kritik der Verhärtung des Herzens, des Begriffs und der Welt? Und ist es nicht die Kehrseite (und Voraussetzung) des andern Satzes: Heute, wenn ihr seine Stimme hört (Ps 957).
Ist das Brüllen Hitlers (Th. Haecker: Tag- und Nachtbücher) nicht eine Folge der Großschreibung der Substantive im Deutschen?
Zum Namen des Logos: Ist die Sprachgeschichte nicht in erster Linie eine Geschichte des Ursprungs und der Entfaltung der Konjugationen, und erst in Abhängigkeit davon eine Geschichte des Ursprung und der Entfaltung der Deklinationen (und des Ursprungs des Neutrums: der Schlange)?
Zu den „drei Säulen“, auf die Paulus sich gelegentlich bezieht: Jakobus, Petrus und Johannes. Petrus ist klar; Johannes ist der „Lieblingsjünger“ Jesu, der Evangelist, der Verfasser der Apokalypse; aber wer ist Jakobus:
– (wie Johannes) einer der Söhne des Zebedäus (dieser Jakobus wurde von König Herodes Agrippa I. um 44 in Jerusalem „mit dem Schwert“ hingerichtet – Apg 121),
– der andere Apostel (der Sohn des Alphäus), oder
– der Herrenbruder (und Bruder des Judas, des Briefschreibers), der „Gerechte“, der „Bischof“ von Jerusalem?
„Hinrichtung“: Ist die Sensibilität der Menschen heute (in amnesty international, in der Ökologie- und Friedensbewegung, bei den Grünen) nicht doch auch ein Stück Alibi-Handlung, Manifestation eines ungeheuren Exkulpationsbedürfnisses? Steckt darin nicht das unaufgeklärte Gefühl einer ungeheuren Schuld, die Horkheimer einmal mit dem „Riesen-Leichenberg“, bezeichnet hat, „auf dem wir stehen“: gleichsam ein Stück verdrängter Gottesfurcht?
Frage: Wie lange ist diese Verdrängung des Vergangenen, die unser Bewußtsein konstituiert und prägt: wie lange ist der Weltbegriff noch durchzuhalten?
Wie ist das in der Urgeschichte Israels, mit den Geschichte von Exodus, Wüstenwanderung und vor allem Landnahme, mit der Tradition der Eroberung und Vernichtung der Städte (Jericho, Ai), der Kriege gegen Amalek: Ist hieran nicht zu studieren, was Realsymbolik zu nennen wäre, und wodurch sich diese von der säkularisierten Geschichtsschreibung unterscheidet? Und gehören diese Dinge nicht eher in den Kontext gesellschaftlicher Naturkatastrophen als in den der historische Politik-Kritik? Im sogenannten Alten Testament werden diese Dinge noch beim Namen genannt, während die christliche Kirchengeschichte zwar voll von den gleichen (und schlimmeren) Dingen ist, sie aber zugleich „schamvoll“ verschweigt oder – wie der neue Katechismus – zu „bedauerlichen Vorkommnissen“ verharmlost.
08.07.93
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