Ethik als Wertethik erfüllt ihre Funktion als Schuldverschubsystem (Ableitung des „pathologisch guten Gewissens“): Jeder „gefühlte“ Wert ist ein spontanes Werturteil; und jedes Werturteil ist eo ipso ein Urteil über andere, letztlich ein Schuldurteil (auch das positive Urteil, wie leicht nachzuweisen ist). Es konstituiert und bestätigt den gesellschaftlichen Schuldzusammenhang und enthebt zugleich von der Last, die eigene Verantwortung (nach Levinas die Quelle theologischer Erfahrung) in diesem Schuldzusammenhang wahrzunehmen: die Verführung gründet in dem Schein, der Urteilende sei dem Schuldzusammenhang enthoben. Man könnte die Wertethik auch einen ethischen Materialismus nennen, wobei das materielle Moment, das sie setzt und an das sie naiv und unreflektiert anknüpft, als das Schuldmoment sich erweist, das notwendig und zugleich die ganze zugehörige Objektwelt durchdringt und qualifiziert, in der das Subjekt, indem es sich zu behaupten meint, endgültig untergegangen ist. Die Wertethik gehört zu den Symptomen, die den Faschismus ankündigten (und in denen seine Fortexistenz sich anzeigt). Aber die Wertethik der zwanziger Jahre ist noch harmlos gegen den blanken Zynismus, in den er nach dem Weltuntergang übergegangen ist.
10.11.87
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