10.11.91

Nicht nur, daß das Auge sonnenhaft ist, die Farben sind augenhaft.
Verschwindet im Herbst der Unterschied zwischen Blüte und Blatt, wird der ganze Wald zu einer blühenden Landschaft, die dann aber abstirbt (oder einschläft)? Oder sind die Herbstfarben die Farben des Feuers (gelb, rot und braun), während die Farben der Blüten die des Himmels oder des Lichts sind (blau, rot, gelb und weiß). Goethe konstruiert die Farben aus der Beziehung von Dunkel und Hell (Finsternis und Licht), die Differenzen kommen daher, was als Inneres oder als Äußeres gesetzt wird: Hell über Dunkel (Morgen) oder Dunkel über Hell (Abend).
schamajim ist der Himmel, majim das Wasser. Gibt es zwischen beiden Worten einen Zusammenhang (vgl. den Schöpfungsbericht: das Wasser gleichsam als Nebenprodukt des Himmels, mit der Finsternis und dem Geist Gottes über den Wassern).
Die Beziehung von außen und innen ist ein vielfältig sich durchdringendes System. Die Grenze zwischen Außen und Innen ist die Haut, die Oberfläche der Dinge, wobei das Innere der Dinge von dem Äußeren nicht zu unterscheiden ist. Die Undurchsichtigkeit und Undurchdringlichkeit der materiellen Dinge: Ist beim Wasser das ganze Innere Oberfläche, nur Grenze zwischen Außen und Innen, weder reines Außen noch reines Innen. Das Wasser leistet Widerstand gegen die Bewegung eines in ihm sich bewegenden Objekts, und das Licht wird im Wasser gebrochen (ist hier die Beziehung zum Himmel, der vielleicht die „ganze Erde“ wie ein Brechungsmedium umgibt, das keine Rückschlüsse zuläßt darauf, was „in“ oder „hinter“ dieser Brechung sich tut?. Und ist das Problem der Seeungeheuer, der Fische, darin begründet, daß das Wasser nur Außenseite, ohne ein Inneres, ist?).
Beziehung des Wassers zum Geld: Wie das Wasser ist das Geld (der Tauschwert) flüssig und unelastisch zugleich; mit der Erfindung des Geldes (der Gesetze, des Gewaltmonopols des Staates) wird das Schöpfungschaos (der vorgeschichtliche Schuldzusammenhang) in der geschichtlichen Welt evoziert, heraufbeschworen, zusammen mit den Herrschaftsinstitutionen (dem Schöpfungsdrachen als Endzeitdrachen). Der Ursprung des Geldes im Kontext der Schuldknechtschaft (Sklaven, outlaws, Kleinviehnomaden, Söldner) hat sein spätes Echo in Hegels Satz, daß „die bürgerliche Gesellschaft in all ihrem Reichtum nicht reich genug (sei), der Armut zu steuern“ (Philosophie des Rechts).
schamir sind die Dornen. Und wie heißen die Disteln, der Dornbusch?
Ist das Wasser mit dem Bekenntnis vergleichbar, in dem auch das Außen und das Innen ununterscheidbar sind (die ins Innere durchgedrungene Oberfläche)?
Das Innere eines Baumstamms ist die verstockte Erinnerung an seine Lebensdauer (und an die äußeren Bedingungen seines vergangenen Lebens).
Das Innere einer Wohnung, die sich abschirmt gegen die Außenwelt, heute aber durch ein Versorgungssystem damit verbunden ist: Wasser, Strom, Abfluß, Wärme, Telefon, Radio, Fernsehen, bis hin zu den (irrsinnigen) Möglichkeiten, die Arbeit, die Bankverbindungen, die Einkaufmöglichkeiten ins Innere zu verlegen, die Bindungen an die Außenwelt so zu gestalten, daß das Innere in eine gleichsam embryonalen Zustand zurückversetzt wird. So ernähren wir den Fisch, der uns ernährt. Der Glaube, daß wir uns durch dieses System vor dem Chaos retten können, ist purer Schein (wie heute jedes Bekenntnis): wir exportieren das Chaos nur nach außen; in eine „Außenwelt“, deren Existenz wir mit Hilfe des Bekenntnisses der Wahrnehmung entziehen und leugnen. Dieses System funktioniert nur noch auf der Grundlage der Opfer, die in den Schlacht- und Zuchthäusern, vor allem aber in der sogenannten Dritten Welt, in den „Schuldnerländern“, aus unserem Blickfeld entfernen.
(Der Mülleimer hat ein Inneres und das Schloß hat ein Inneres, ebenso sind der Himmel und die Hölle Innenräume). Außen und Innen sind unzureichende Deckbegriffe für Im Angesicht und Hinter dem Rücken: Diese bezeichnen den Sachverhalt präziser. Außen und Innen unterliegen der Zweideutigkeit des Raumes: Im Raum ist Rechts und Links nicht zu unterscheiden (Jonas: Ninive, die große Stadt); das Schicksal ist der Inbegriff der Außenwelt als Innenwelt.
Sind nicht alle Siege (zuletzt auch der über den „Kommunismus“) Pyrrhus-Siege, nur daß wir es noch nicht erkennen? Stößt das, was wir auszustoßen meinen, nicht in Wirklichkeit uns aus? Und produzieren wir nicht selber die Hölle, der wir so verfallen?
Die genaueste Definition des „Volkes“ ist der Begriff der Schicksalsgemeinschaft. Im Kern des Schicksals steckt jedoch heute die Bekenntnislogik. „Im Namen des Volkes“ (gibt es diese Wendung eigentlich auch in anderen Rechtssystemen?): das hat eine besondere Beziehung zum „deutschen“ Volk, wenn man daran denkt, daß der Name der Deutschen selbst „das Volk“ bezeichnet (was heißt eigentlich „Amalek/Amalekiter“? – „populus lambens“, das „leckende Volk“: das staubleckende Volk – Ps 729, Jes 4923; das hündische Volk – 1 Kön 2119, 2238; Lk 1621). So wird der Rechtsspruch zum Schicksalsspruch; im Namen des Schicksals (und des Rechts) kehrt sich der Objektivierungsprozeß (der Säkularisationsprozeß) gegen seinen eigenen Ursprung.
Ist die Theologie das Schicksal Gottes (Leugung des Gottesnamens, Theologie als Geschichte der Leugnung des Gottesnamens; was bedeutet der Name „Gott“?): damit der Kern und das Medium der Selbstverfluchung?
„Die Welt ist alles, was der Fall ist“: Das reicht bis in das Spiegelungssystem des Massenbegriffs, der Materie, hinein. Die gesamte Bewegung des Kosmos ist eine Bewegung des permanenten Fallens. Das Kreisen des Mondes und der Planeten ist (wie der Reproduktionsprozeß der Gesellschaft) resultierend aus Trägheit und Fall.


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