Im „Neuen Denken“ spricht Franz Rosenzweig vom „hintertückischen, verandernden Wissen des Denkens“ (Franz Rosenzweig, Die Schrift, hrsg. Karl Thieme, S. 193). Ist nicht die Bekenntnislogik ein Produkt der Anwendung der Logik des Wissens auf den Glauben? Nur fürs Wissen gilt, daß zwei einander widersprechende Sätze nebeneinander nicht bestehen können. Vgl. hierzu das Wort vom Beelzebub.
Das Wort „Ihr sollt nicht schwören, eure Rede sei ja, ja, nein, nein“ richtet sich auch gegen die Logik des Wissens, die (in den zugrundeliegenden Formen der Anschauung) auf einen Schwur sich gründet, der das All (die Welt) als Zeugen anruft. Jeder Beweis gründet in einem Schwur (in einer Zeugenschaft).
Sind die Emanationen der transzendentalen Ästhetik, neben den subjektiven Formen der Anschauung insbesondere das Geld und die Bekenntnislogik, die allesamt Instrumente der Instrumentalisierung sind, nicht apriorische, institutionalisierte Formen des falschen Zeugnisses?
Das allen hierarchischen Strukturen zugrundeliegende Verhältnis von Delegation, Verantwortung und Exkulpierung läßt sich am Beispiel der Hundehalter demonstrieren: Wenn der Hundehalter das Handeln, das er sich selber verbieten muß (die Aggression gegen einen Fremden) an den Hund delegiert, sind beide exkulpiert: der Hund, der seine Pflicht tut, aber nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, weil er nicht weiß, was er tut, und der Hundehalter, der es ja nicht selbst getan hat.
Die 68er Bewegung, der Antifaschismus als Kirche, oder die vollständige Verwirrung der Bekenntnislogik: Gibt es nicht heute einen philosemitischen Antisemitismus, eine Orthodoxie des Verrats und einen sexistischen Feminismus. Hat der Greuel am heiligen Ort etwas mit dem Glauben an die magische Kraft des Urteils zu tun?
Ist nicht die Furcht vor dem Tod, mit der der Stern der Erlösung anhebt, eine stellvertretende Furcht, ein Produkt des verdrängten Bewußtseins, daß die Geschichte die Produktionsstätte eines riesigen Leichenberges ist, eines Leichenberges, in dessen Anblick alle Unsterblichkeitshoffnungen verdampfen? Die Todesangst (und seine christliche Verarbeitung in der Opfertheologie) war der Motor der Identifikation mit der Welt, der Identifikation mit dem Aggressor, der diesen Leichenberg produziert hat, während der Leichenberg selber als Repräsentant dessen zu begreifen wäre, was seit dem Ursprung der Zivilisation Natur heißt (Natur ist der Name des Knotens, der zu lösen ist).
Franz Rosenzweig hat einmal auf die Komik hingewiesen, die in der Geschichte der ägyptischen Froschplage steckt, bei der die Frösche in die Betten und in die Backtröge eindringen (Ex 8). Haben diese Frösche etwas mit den Fröschen in der Apokalypse zu tun (den drei Fröschen, die aus dem Munde des Drachen, des Tieres und des falschen Propheten kommen – Off 1613)?
Die Reversibilität aller Richtungen im Raum (die Neutralisierung der Unterschiede von vorn und hinten, rechts und links, oben und unten) gehört zu den Konstituentien sowohl der Orthogonalität als auch des Objektbegriffs. Beide, die Orthogonalität und der Objektbegriff, gehören zusammen. Die Orthodoxie hat mit der objektkonstituierenden Logik, mit der Logik des Wissens, diese Orthogonalität in die Lehre hineingebracht (sie „hintertückisch verandert“). Eine Orthodoxie in diesem Sinne kennt nur das Christentum.
Gott hat die Finsternis erschaffen und dann das Licht gebildet. Steckt nicht in dem Slogan „Bewahrung der Schöpfung“ ein Stück der Intention, die die Finsternis, in der es sich eigentlich ganz gut leben läßt, vor diesem Licht bewahren möchte? Die Finsternis war die letzte der ägyptischen Plagen, vor der Tötung der Erstgeburt.
Hat nicht das Christentum immer wieder die Bibel nur zur Illustration der Gegenwart benutzt – so ist die Schrift erbaulich geworden -, während es darauf ankäme, die Gegenwart im Licht der Schrift zu begreifen? Nur so wird aus dem Instrument der Rechtfertigung eins der Befreiung. Wurzelt nicht der Glaube an die Magie des Urteils im Rechtfertigungszwang (der die 68er Generation so überfallen hat, daß sie keinen andern Ausweg mehr sah). Blasphemischer Text eines HJ-Liedes: „Unsere Fahne flattert uns voran, unsere Fahne ist die neue Zeit, unsere Fahne führt uns in die Ewigkeit, ja, die Fahne ist mehr als der Tod.“
10.6.96
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie
Schreibe einen Kommentar