Das Bekenntnis war im Ursprung (in den Paulus-Briefen z.B.) Bekenntnis des Namens. Hintergrund und Kontext war das zweite Gebot des Dekalogs; es hing zweifellos mit dem Gebot der Heiligung des (Gottes-)Namens zusammen, die u.U. mit dem Martyrium zusammenfiel, jedenfalls die Passions-, die Leidenserfahrung und deren Beziehung zur Erlösung grundsätzlich mit einschloß. Das Bekenntnis war nicht nur ein abstrakter geistiger Akt, sondern Ausgangspunkt und Quelle praktischer, lernender, gleichsam experimentierender Erfahrung: einer Erfahrung, die auch die Intention der magischen Umsetzung, des Wunders, nicht ausschloß. Das Tabu über die Magie und das Wunder, über den dann als blasphemisch diskriminierten Gebrauch des göttlichen Namens, war, nachdem die Kirche den „magischen“ durch den technischen Gebrauch (durch die Instrumentalisierung der Theologie: Trinitätslehre, Vergöttlichung Jesu, Sakramentenlehre und Opfertheologie), das Wunder durch die verwaltete Gnade ersetzt hatte, dann Teil der antijudaistischen Projektion: In diesem Zusammenhang sind die antijudaistischen Vorurteile über Zauberei, Ritualmord und Hostienfrevel ableitbar und verständlich. Geduldet (und im Hinblick auf das Anerkennungsverfahren gefordert) wurde das Wunder nur noch im Sonderbereich der Heiligenbiographie und Heiligenlegende. Aber auch hier geriet es schließlich in spezielle Konkurrenz zur Technik: als bloße Abweichung von den Naturgesetzen. Gemeinsamer Bezugspunkt war das Verhältnis zur Selbsterhaltung, zu den subjektiven Zwecken in einer (im Wahrnehmungs- und Erfahrungsfeld des Selbstmitleids, auch durch die Schuld der Theologie) verdinglichten und instrumentalisierten Welt. Verwischt (und wegen der politischen Implikationen verdrängt) wurde die Beziehung des Wunders zur Prophetie, zur Erlösung, zur zukünftigen Welt. Hier wurde die enttäuschte Parusieerwartung endgültig storniert; nur durch Selbstmord hat die Theologie den Tod des Wunders überlebt.
Die Entkonfessionalisierung des Christentums führt an das Problem überhaupt erst heran, dessen Lösung vielleicht auch die des Judentums als vorweltliche und die des Islam als Welt-Religion mit sich bringt: Theologie im Angesicht Gottes statt hinter seinem Rücken zu betreiben.
Bedeutung der Feindesliebe: in der Feindschaft die Projektion dessen, was in einem selber steckt und nur verdrängt wurde, zu begreifen: Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit, die zugleich die einzig begründbare Vorarbeit dafür ist, was in den Religionen als seliges Leben vorgestellt erstrebt wurde. Einer Erinnerungsarbeit allerdings, die im Kontext der eigenen Biographie die Schuld der Welt (ihren konkreten historischen Stand) mit aufarbeitet. Hier gilt, daß das Vergangene (Auschwitz, die Inquisition, die Hexenverfolgung) nicht nur vergangen ist, daß das Unaufgearbeitete der Vergangenheit in uns fortlebt und uns zu Wiederholungen des „Verdrängten“ zwingt (der Begriff der Verdrängung trifft den Sachverhalt nicht ganz: dazu gehört auch das im Kontext von Verdrängungen nicht Wahrgenommene: das was vor dem eigenen blinden Fleck liegt). Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß: dieser Satz führt in die direkte Abhängigkeit vom Nichtgewußten, macht mich unfrei.
12.01.91
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