12.02.93

Zu Karl Lehmann:
– Lehmann ist nur noch jovial (eine realmythische Figur).
– Gehört nicht die Gen-Technologie – ebenso wie die Atomphysik und die Weltraumforschung – zu den Kamikaze-Technologien der Menschheit?
– Müßte man nicht das Prinzip Verantwortung von dem bloßen Verantwortungsbewußtsein unterscheiden (und die ungeheure Zweideutigkeit des Begriffs Verantwortung mit reflektieren)? In der Verantwortung, von der Lehmann spricht, klingt nur der Slogan von der „Schwere der Verantwortung“ an, ein auf blasphemischste Weise christologisches Wort (wer diese „Verantwortung“ übernimmt, nimmt dem andern die Verantwortung und die Mitschuld ab, die ihn vielleicht zum Handeln, zum Eingreifen veranlassen könnte; er signalisiert: halt du dich da raus). Hier handelt es sich um eine „Verantwortung“, mit der man Hierarchien und die hohen Gehälter der „Verantwortungsträger“ rechtfertigt. Reale Verantwortung aber würde darin bestehen, daß man endlich versucht zu begreifen (und nicht mehr nur zu rechtfertigen), was man tut.
– Karl Lehmann übt ein Amt aus, in dem es eigentlich unmöglich sein müßte, sich als Privatperson daneben zu stellen, so als wäre das, was in seinen Kreisen gerne Berufung genannt wird, nur ein Job, aus dem man sich aus raushalten kann. Immerhin hat er die Anzeige ja auch als Bischof – mit dem Zeichen des bischöflichen Segens versehen – unterschrieben (er hat also sehr wohl die Autorität seines Amtes mit eingebracht und kann sich eigentlich – aufgrund des Anspruchs, mit dem diese Autorität sonst verknüpft wird – nicht auf eine Privatmeinung zurückziehen; diese Autorität hat er verspielt; und macht er das mit seinem Rechtfertigungsversuch nicht nur noch schlimmer?).
– Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist. Aber muß sich die Kirche unbedingt in den sich hier eröffnenden Abgrund mit hineinstürzen?
– Die Kirche steht in der prophetischen Tradition des Votums für die Armen und die Fremden. Und ich hätte es mir gewünscht, daß der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz mit ähnlichem Aufwand und mit ähnlicher Deutlichkeit sich beispielsweise in der Frage der Kürzung der Sozialhilfe (über die Hintergründe könnte er sich allerdings bei keinem Industrieverband, nur bei der eigenen Caritas informieren) und in der Frage der ausländerfeindlichen Pogrome in diesem Land zu Wort gemeldet hätte. Auf keinen Fall aber scheint es mir Aufgabe der Kirche zu sein, Feigenblätter zu produzieren.
– Hat die Rehabilitierung Galileis (und gleichzeitig der Inquisition) durch den Papst eine Schleuse geöffnet: Wird das Lehramt in Richtung Industrie und Wissenschaft verlagert?
– Was diese Anzeige demonstriert: Allen Lesern wird Wirtschaftsmacht als Autorität, die sogar der Bischof absegnet, vorgeführt. Wie in anderen Werbungen auch wird an irrationale Ängste appeliert (Krebs und Aids), an nationalistische Emotionen (Deutschland muß erstklassig bleiben), und es wird suggeriert: Laßt uns nur machen, wir wollen nur euer Bestes und arbeiten nur am Fortschritt, der auch euch zugute kommt, aber haltet euch da raus.
– Karl Lehmann ergreift die Partei der gleichen Welt, von der es heißt, daß sie „euch haßt“; es ist ein Akt der Identifikation mit dem Aggressor (zu dessen Folge u.a. die brutalen und mörderischen Aktionen der Rechten gehören).
Die theologische Tradition seit den Kirchenvätern und das Dogma bilden das Kreuz, an das die christliche Lehre geschlagen wurde, nachdem die Kirche sich weigerte, es auf sich zu nehmen.
Wie paßt eigentlich das „sein Kreuz auf sich Nehmen“ des Nachfolgegebots zur Kreuzigung: Gewinnt es nicht erst dann Sinn, wenn es auf die Schuld an der Kreuzigung und nicht auf die Kreuzigung selbst bezogen wird?
Die Kirche war das Instrument der Vergesellschaftung der Philosophie und des Herrendenkens.
Die Vergöttlichung Jesu bezieht sich auf die Göttlichkeit, die wir ihm qua Bekenntnis zusprechen, mit dem wahnsinnigen Glauben, daß seine Göttlichkeit davon abhinge (was sie nur tut, wenn sie als Göttlichkeit für andere: als ein Instrument in unserer Hand, verstanden wird). Die andere Seite dieser Vergöttlichung ist der Exkulpationsmechanismus, den sie begründet: die Rechtfertigungslehre.
Die Theologie hat die Lehre nicht auf den Kopf gestellt, sondern sie hat sie umgestülpt, so wie man einen rechten Handschuh umstülpen kann, und es wird ein linker daraus. Dieser Mechanismus, der in der Theologie (genau: in der Opfertheologie, in der Objektivation und Instrumentalisierung des Kreuzestodes) begonnen wurde, ist im Konstrukt des Inertialsystems zu sich selbst gekommen, in der Vergegenständlichung des Konstrukts der subjektiven Formen der Anschauung. Das Inertialsystem ist der umgestülpte Handschuh. Und hierauf beziehen sich die Bilder von den sieben unreinen Geistern und von den sieben Siegeln der Apokalypse. Hier haben wir uns im System unserer eigenen Projektionen verstrickt. Und beim Umstülpen kommt es darauf an, die Stelle zu finden, an der man in den Handschuh hineinkommt; diese Stelle hat Einstein entdeckt: im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Vor diesem Hintergrund gewinnen die mittelaufwendigsten Forschungsbereiche, wie Atomphysik, Gentechnologie und Weltraumforschung, ihre apokalyptische Dimension. Hier wird man wieder lernen müssen, Rechts und Links zu unterscheiden.
– Hat das Bild des Handschuhs etwas damit zu tun, daß Jesus zur Rechten des Vaters sitzt (und wurde er – das jedenfalls scheint der kirchlichen Tradition genauer zu entsprechen -durchs „Umstülpen“ nach links versetzt: von der Seite der Barmherzigkeit auf die Seite des Gerichts – so wurde aus dem Jüngsten Gericht das Weltgericht)?
– Aber die Hand hat nur fünf Finger; woher kommen die sieben unreinen Geister? (Hinweis: In den astrologischen Planetenlehren gehören zu den sieben Planeten auch Sonne und Mond.)
– Haben die paulinischen Archonten etwas mit diesem „Umstülpen“ zu tun, und auch das Paulus-Wort, wonach die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt, und auf die Freiheit der Kinder Gottes wartet? Aber Paulus war nur bis in den dritten Himmel entrückt.
– Im Krieg Josues mit Amalek hielten Aaron und Hur die Arme des Moses, und solange sie hochgehalten wurden, siegte Josue über Amalek.
– Nach Ex 22 entsteht keine Blutschuld, wenn ein Dieb beim Einbruch erschlagen wird, ausgenommen: die Sonne ist bereits aufgegangen. Nach 1 Thess 52 kommt der Tag des Herrn „wie ein Dieb in der Nacht“ (vgl. auch Off 33, Mt 2442f, Mk 1333, 2 Pt 310: „Dann wird der Himmel prasselnd vergehen, die Elemente werden verbrannt und aufgelöst, die Erde und alles, was auf ihr ist, werden nicht mehr gefunden.“).
– Im Islam gehört es zur Scharia, daß dem Dieb die Hand abgehackt wird.
Ist nicht die Düsseldorfer Entscheidung in Sachen Dellwo u.a. ein erneuter Beleg dafür, daß Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand ist, und daß objektive und exakte Phantasie: die Kraft sich vorzustellen, welche Folgen die eigenen Entscheidungen haben werden, nicht zu den Karrierevoraussetzungen unserer Richter gehören. Ihre Entscheidungen (und ihre Urteile) gehen auch in dem Sinne im Namen des Volkes, daß sie vor keiner Reflexion standzuhalten brauchen.


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