12.12.90

Der Stand der naturwissenschaftlichen Aufklärung und der der polit-ökonomischen Entwicklung sind ein Index für den Stand der „Welt“-geschichte (im Sinne der Geschichte der Welt: der Säkularisation, der Herrschaft). Die Vorstellung, daß die Welt eine statische, in der Zeit sich nicht verändernde Struktur besitze und nur unsere Erkenntnis der Welt sich im Sinne einer immer größeren Annäherung an die Wahrheit sich ändere („fortschreite“), verdrängt den massiven, brutalen Eingriff durch den parvus error in principio, den imgrunde seit je politischen Weltbegriff und die Geschichte der Konzeption des Materie-, schließlich des Trägheitsbegriffs; sie verdrängt das Herrschaftsmoment in der Struktur dieser Welterkenntnis. Und diese Verdrängung ist der Grund für die Blindheit hinsichtlich der Funktion und Bedeutung des Tauschprinzips in diesem Prozeß.

Eric Voegelin verfällt selbst dem, was er die gnostische Revolution nennt: wenn er den Gnosis-Begriff instrumentalisiert, ihn als Waffe gegen revolutionäre Bewegungen verfügbar macht. Dies ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, daß der Kampf gegen einen Feind (die „gnostische Revolution“ als das „absolut Böse“) zwangsläufig in den Netzen der Identifikation mit dem Aggressor sich verfängt (oder auch: projektive Züge annimmt; das Fatale der christlichen Höllen- und Teufels-Vorstellung liegt in den Konsequenzen der Verletzung des Gebots der Feindesliebe).

Hobbes‘ These, daß der Friede mit dem Mitmenschen zu den wichtigsten politischen Grundsätzen gehört (Voegelin, S. 212), rührt an einen in der Tat wichtigen Punkt (an den Grund der Notwendigkeit von Gewaltfreiheit): die Welt und die Menschen in ihr stehen in einer Wechselbeziehung, die grundsätzlich den Gebrauch von Gewalt beim Versuch der Weltveränderung ausschließt. Gewalt gehört zu den Konstituentien der Welt und bestätigt und verhärtet sie. Wer Gewalt gebraucht, macht sich mit der Welt gemein, die er zu bekämpfen glaubt. Der einzige Ausweg ist der der Arbeit an der Auflösung des Schuld- und Verblendungszusammenhangs: der Aufklärung. Die Welt gründet in den Köpfen der Menschen (und zwar aller Menschen: der Menschheit), während die subjektiven Konstituentien der Welt zugleich objektive Realität besitzen, unabhängig sind vom Anschauen und Denken der einzelnen Menschen.


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