Der Weltbegriff bewirkt, daß wir uns selbst im blinden Fleck stehen; diesen blinden Fleck projizieren wir zugleich nach draußen: als Natur. Um diesen blinden Fleck zu erhalten, bedarf es der Opfertheologie; und zwar der Opfertheologie als Nachfolge-und Gottesfurcht-Vermeidungs-Strategie, die das Schuldverschubsystem begründet, dessen diverse Auskristallisationen wir Welt nennen.
Sind nicht die Gräberschändungen symbolische Handlungen: hilflose Abwehrreaktionen gegen die als reale Gefahr erfahrene Wiederkehr des Verdrängten? Haben diese Gräberschändungen, durch die rechte Aktionen sich von linken unterscheiden, nicht erst nach dem Kriege, genauer: nach Auschwitz, und hier als Zeichen nicht geleisteter Erinnerungsarbeit eingesetzt? Ist hier nicht eine neue Qualität in der Geschichte des Antisemitismus, und rührt diese neue Qualität nicht auch an die Grenze theologischer Sachverhalte? In den Evangelien waren es (neben Petrus) die Dämonen, die das Messiasbekenntnis abgelegt haben.
Das Reich der Erscheinungen schließt das Was der Erscheinungen von sich aus, bleibt äußerlich dagegen, macht es unkenntlich. Diese Äußerlichkeit drückt sich in den Totalitätsbegriffen Natur und Welt aus. Die Welt ist das Subjekt des Subjektlosen; sie konstituiert sich als Inbegriff des gleichen, durch die Institution des Opfers begründeten Vakuum, in das zuvor die Idolatrie die Götter hineinprojiziert hatte.
Ist nicht die Übernahme der Sünden der Welt die Restituierung der Gottesfurcht unter den Bedingungen des neuen Äons? Und haben wir nicht mit der Vergöttlichung Jesu ihn mit dieser Gottesfurcht allein gelassen? Und in welcher Beziehung steht die Gottverlassenheit des Gekreuzigten zu der Verlassenheit, in die wir ihn gestürzt haben?
Die bloße Verwerfung der Dogmen, der Orthodoxie, der Sakramente, des Priestertums und der Hierarchie gehört in den Zusammenhang des erinnerungslosen Abschieds: sie wiederholt zwangshaft das Ursprungsgesetz der Dogmen, der Orthodoxie und der anderen dazugehörenden Dinge. Es gibt eine Art des Umgangs mit der Vergangenheit – und fast unsere ganze Geschichtsschreibung gehört hierher -, die darauf hinausläuft, die in der Befassung mit dem Vergangenen aufbrechenden Erinnerungen unschädlich zu machen, das Verstörende gleichsam zu domestizieren. Die Schrift nicht nach Belieben (nach den Gesetzen unserer Verdrängungsmechanismen) auswerten, sondern als Rätselschrift lesen lernen, das ist die Voraussetzung dafür, daß sein Wort nicht leer zu ihm zurückkehrt.
Die höhnische (oder ironische) Verdoppelung im Namen der Barbaren, ist das nicht auch ein Hinweis auf den Grund der Reversibilität aller Richtungen im Raum und der Irreversibilität der Vorstellung einer homogenen Zeit (der Verknüpfungsbegriffe von Welt und Natur): des Ausschlusses der nur in Identifikation mit dem Fremden sich begreifenden Idee der Gegenwart? Ist das nicht m.a.W. ein Hinweis auf das projektive Moment in aller Objekterkenntnis? Und ist dann nicht die Geschichte der Naturwissenschaften die Geschichte der Barbarisierung der Welt?
Gibt es eigentlich einen sprachlichen Zusammenhang zwischen dem melech und dem maleach, dem König und dem Boten, dem Engel, und ist es nicht eine Verharmlosung des Boten, des Engels, wenn man glaubt, seinen Namen fein säuberlich von dem des Gottessohns trennen zu können? Ist nicht auch der Sohn ein Bote?
Der Horkheimer-Satz „Es gibt keine menschenfreundlichere Religion als das Christentum, aber es gibt auch keine Religion, in deren Namen solche Untaten begangen worden sind“ bezieht sich nicht auf die beiden Seiten eines Blattes, sondern auf die beiden Seiten eines Handschuhs. Beim Umstülpen ist die Mahnung aus dem Märchen zu beachten: Vergiß das Beste nicht!
Woher kommt das Wort Mal; gibt es einen Zusammenhang zwischen Denkmal, Wundmal, einmal, nochmal, malnehmen, Maler (der Anstreicher wie der Künstler)?
Hegels Satz, daß die bürgerliche Gesellschaft bei all ihrem Reichtum nicht reich genug sei, der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern, bewahrheitet sich heute global aufs ungeheuerlichste. Hegel hat nur den zusätzlichen Hinweis vergessen, daß die bürgerliche Gesellschaft zugleich den blinden Fleck erzeugt, der die Wahrnehmung dieses Sachverhalts fast unmöglich macht.
Ist nicht das Lamm in Joh 129 identisch mit dem Lamm der Apokalypse, das allein berufen ist, die sieben Siegel zu lösen?
Der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht: Deshalb fällt der Kreuzestod nicht unter die Blutschuld (Ex 22). Aber hat dieser Dieb etwas mit Hermes/Merkur zu tun?
13.02.93
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