13.06.92

„Ich werde niemals den warmherzigen Empfang in Panama vergessen.“ Präsident George Bush auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Albrook, nachdem er zuvor in Panama-Stadt von Demonstranten mit Kokosnüssen beworfen worden war und eine Rede abbrechen mußte. („Aufgespießt“ in der Frankfurter Rundschau vom 13.06.92) -Handelt es sich hier nicht um eine Sprachregelung, die mehrere Zwecke gleichzeitig erfüllt:
– PR: die negative Erfahrung soll abgespalten, isoliert, privatisiert, jedenfalls vom öffentlichen Gebrauch (insbesondere im Hinblick auf den gegenwärtigen Wahlkampf) ausgeschlossen werden;
– aus Gründen, die mit der Instrumentalisierung des eigenen Selbstbildes zusammenhängen, muß G.B. die eigene Erfahrung verdrängen, um seine Rolle als Präsidentenschauspieler weiterspielen zu können (Politiker-Syndrom); nicht auszuschließen, daß er es am Ende selber glaubt (vgl. den hEV im hessischen Gesamtschulkonflikt);
– in diesem Kontext gewinnt Bush’s im Golfkrieg präsentiertes Konzept einer „neuen Weltordnung“ (auch die reale Führung des Golfkrieges im Verhältnis zu seiner öffentlichen Vermittlung) einen neuen, direkt apokalyptischen Sinn: diese „Weltordnung“ ist keine reale Ordnung mehr, sondern ein (dem zwangsneurotischen Selbstbild entsprechendes) Bild der Welt, dessen Durchsetzung nur mit Mitteln der PR und – begleitend oder alternativ – der massivsten Gewalt noch möglich ist. Konsequenz: Diese „neue Weltordnung“ ist nicht Ergebnis eines „letzten Krieges“, sondern wird sein Ursprung sein. Hier, in diesem Syndrom (das aus der der philosophischen zugrundeliegenden politischen Geschichte des Universalienstreits sich ableiten läßt), liegt der Ursprung und die Legitimation der explosiv sich ausbreitenden Rüstung in der Folge des zweiten Weltkriegs.
Nachdem die SPD nach der Wende nicht in der Lage war, insbesondere in der öffentlichen Selbstdarstellung Kohls diesen Sachverhalt zu durchschauen (und zum Gegenstand öffentlicher Kritik zu machen), scheint sie ihm selbst endgültig verfallen zu sein; auf dieser Basis gibt es in der SPD nur noch Karriere-Politiker (die die innerparteiliche Ochsentour nur mit Hilfe der gleichen Mittel bestehen konnten), gibt es (innerparteilich und im Verhältnis zu den Konkurenz-Parteien) nur noch Intrigen und Häme, aber keine Kritik mehr.
Ist das Poltiker-Syndrom nicht doch nur die Potenzierung eines an die subjektive Form der äußeren Anschauung gebundenen Subjekt-Syndroms? Und ist die Affinität von Sprachregelung (Er-nennungsbefugnis) und Gewalt, die Hannah Arend u.a. an Eichmann diagnostiziert hat, nicht der Grund des faschistischen Syndroms?
Wie hängen das Politiker-Syndrom, Bushs Neue Weltordnung und Kohls „Versöhnung über Gräbern“ miteinander zusammen?
Nach der Lektüre des Interviews mit Herbert Schnädelbach (in: Geist gegen den Zeitgeist. Erinnern an Adorno. S. 54f): Kann es nicht sein, daß, was als angeblich Überholtes in Adorno hineinprojiziert wird, Konsequenz der heute erstmals durchschaubar zu machenden verdrängten Beziehung zur Natur ist? Damit hängt es auch zusammen, daß, was Adorno Säkularisation aller theologischen Gehalte genannt hat, im Kontext der theologischen Halbbildung, die im Umkreis der christlichen Tradition unvermeidbar war, einfach nicht verstanden werden konnte. Frage: War eine Weiterführung der „Kritischen Theorie“ im überkommenen akademischen Rahmen und ohne konkrete und inhaltliche Reflexion der theologischen Tradition überhaupt möglich?
Vielleicht wäre es doch einmal interessant, die Strategien der Selbsterhaltung bei den Adorno-Schülern mit den Denkblockaden in ihren Konzepten zu vergleichen: wie hier selbst noch die Erinnerung an den personalisierten Adorno als Verdrängungshilfe genutzt wird.


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