13.10.93

Ist nicht mit der Rezeption der Rechtfertigungslehre in der katholischen Theologie (seit den dreißiger Jahren, und d.h. im Kontext des Rückfalls in die Barbarei) der letzte Damm gebrochen? Die Verknüpfung von Bekenntnis und Rechtfertigung hat der Theologie insgesamt eine Wendung gegeben, die Orthodoxie und Positivismus miteinander verschmolzen hat.
Die Wahrheit hat einen Zeitkern, und dieser Zeitkern steht in einer Korrespondenz zur Vergangenheit: Beide erhellen sich wechselseitig.
Gott will nicht, daß sein Wort leer zu ihm zurückkehrt. Darauf bezieht sich das Gleichnis von den Talenten. Aber ist die kirchliche Tradition nicht ein einziges Talente-Vergraben?
Das Adjektiv ist ein Abkömmling des Possessivpronomens: Die Burg des Königs ist eine königliche Burg. Und alle Eigenschaften eines Dings sind Ausdruck der Allgemeinbegriffe, unter die das Ding subsumiert wird. Es gibt kein Ding ohne Eigenschaften.
Das Allgemeine ist der blinde Fleck der Gemeinheit.
Nicht die Person, sondern Name (der jüdische Tempel war das Haus des Namens Gottes).
Zu den Siegeln: Sie sind Repräsentanten des Namens (sind nicht die unreinen Geister Repräsentanten des Mißbrauchs des Namens?).
Werden nicht in der Lebensphilosophie und in der Sakralisierung des Organischen die Spuren des vergeblichen Kampfes gegen die Gitter des Weltgefängnisses angebetet?
Ist nicht das Präsens der indogermanischen Sprachen das Imperfekt der semitischen Sprache, und das indogermanische Imperfekt das semitische Perfekt? Drücken nicht die semitischen Bezeichnungen die Funktion und Bedeutung der Tempora präziser aus?
Nach der kirchlichen Tradition gehört der trinitarische Titel Vater nicht der natürlichen, sondern der Gnaden-Ordnung an. Gott ist Vater, nachdem der Christ in der Taufe zum Sohn geworden ist. Aber die Gnadenordnung gehört zum Bereich der göttlichen Verheißungen; sie ist im Anfang mit dem Himmel miterschaffen. Dem entspricht das Vater unser: der du bist in den Himmeln.
Durch die Trennung der Begriffe Natur und Welt, die in dieser Trennung erst entspringen, wird die Geschlechtertrennung totalisiert: Inbegriff der Unzucht.
Das hilflose Bekenntnis: Das Bekenntnis ist nicht nur ein Produkt der Hilflosigkeit, sondern schließt den Wiederholungszwang: die zwangshafte Reproduktion der Hilflosigkeit, das Eingesperrtsein in die Hilflosigkeit, mit ein. Zur Bekenntnistheologie gehört die Gnaden- und die Rechtfertigungslehre (Logik der Orthodoxie).
Solange man den Kapitalismus nur als technisches, nicht jedoch auch als logisches Problem begreift, gibt es keine Kritik der Physik, der Naturwissenschaften.
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ und „dies ist mein Leib“: Hängt nicht beides zusammen, und wird das Brot nicht erst dann zum Leib Christi, wenn alle ihr tägliches Brot haben und niemand mehr hungern muß?
Die Kirche als Verkörperung des verdinglichten Bewußtseins der Theologie ist das versteinerte Herz der Welt. Wenn es zu diesem verdinglichten Bewußtsein der Theologie keine Alternative mehr zu geben scheint, so hängt das mit zwei Dingen zusammen:
– einmal mit der unaufgearbeiteten Vergangenheit (der Beziehung des Faschismus zur kirchlichen Tradition) und
– zum andern mit der unaufgearbeiteten Beziehung zur Geschichte der Aufklärung, insbesondere zu den Naturwissenschaften.
(Weil sie den Haß der Welt nicht ertragen hat, ist sie selbst zum steinernen Herzen der Welt geworden.)
Die Schöpfungslehre und die Lehre von der Auferstehung der Toten sind unserer Theologie bloß aufgesetzt: theologisch durchdrungen wären sie erst, wenn die Kritik des Natur- und Weltbegriffs gelungen (und die Geschichte der Philosophie und des Staates aufgearbeitet) wäre.
Emitte spiritum tuum et renovabis faciem terrae. Hierzu ist anzumerken: Das Antlitz ist kein optischer, sondern ein sprachlicher Sachverhalt. Und die Erneuerung des Antlitzes hat etwas mit dem Parakleten zu tun.
Vom allen Seiten hinter dem Rücken: Das ist das durch richtendes und objektivierendes Denken, durch Instrumentalisierung und Herrendenken potenzierte Hinter dem Rücken (hinten, links und unten).
Hegels Philosophie ist eine, die post festum (nachdem sie vom Rathaus gekommen ist) klüger geworden ist; aber die so gewonnene Klugheit ist auch eine, mit der man vom Rathaus kommt.
Nur die Erkenntnis des Ewigen (die Reflexion der Zeit) befreit das Denken davon, bloße Funktion der Zeit zu bleiben.


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