Heute erzwingen die vom Herrendenken und von der Bekenntnislogik beherrschten Kirchen selber die Enttheologisierung der Theologie, die Gestalt einer atheistischen Theologie (Leugnung der Auferstehung: Problem der Naturwissenschaft; Sprengung des Namens durch den Naturbegriff).
Gilt das Adorno’sche Wort „Das Ganze ist das Unwahre“ nicht schon für die kantischen Totalitätsbegriffe? Weder die Welt, noch die Natur und erst recht nicht das Wissen bezeichnen ein Ganzes. Alle drei Begriffe setzen den Begriff des Ganzen voraus, den sie gleichwohl nicht zu erfüllen vermögen. Das Ganze verkörpert einen unendlichen, grundsätzlich unerfüllbaren Trieb. Unbezweifelbar ist nur seine Unendlichkeit, ähnlich der Unendlichkeit der räumlichen Ausdehnung oder der des Zeitkontinuums. Ist nicht die Unaufhebbarkeit des Todes das Modell dieser Unendlichkeit?
War die kirchliche Höllenvorstellung nicht immer schon nur eine ästhetische Verdoppelung dieser Welt? Das Wort von den Pforten der Hölle (die die Kirche nicht „überwältigen“ werden) setzt voraus, daß die Kirche in dieser Hölle ist; es gibt nur die Verheißung, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, daß diese Hölle nicht das Ganze ist.
Ist der Brief ein säkularisierter, in Schrift transsubstantiierter (und eingefangener) Engel?
Ihr laßt den Armen schuldig werden; Unkenntnis schützt nicht vor Strafe: Die Anwendung dieses Grundsatzes, die am Asylrecht leicht sich demonstrieren läßt, beweist die Goethe’sche Einsicht, deren Geltungsbereich heute gleichsam explodiert.
Herrschaft als Stellvertretung: Haben nicht alle Revolutionen dazu geführt, daß nicht die, für die die Revolutionen gedacht waren, sondern am Ende allein die neuen Herrscher die Früchte der Revolution genießen konnten? Die Instrumente der revolutionären Umwälzungen sind im revolutionären Prozeß zwangsläufig zu Zwecken geworden, die die Zwecke, denen sie dienen sollten, aufgefressen haben. So ist jedesmal der alte Scheiß wiedergekehrt.
Die Beziehung von Herrschaft und Stellvertretung ist eine Folge der Beziehung von Objektivierung und Instrumentalisierung.
Was passiert, wenn eine „Bewegung“ apologetisch wird, wenn sie nur noch ihre vergangenen Ziele rechtfertigt (wenn sie im Anblick ihres Scheiterns zu beweisen sucht, daß sie doch immer schon recht gehabt hat)? Stehen nicht alle Bewegungen unter dem Bann der Logik des Rechtfertigungszwangs, sind sie nicht apologetisch, schon wenn sie entstehen?
Beton ist die Schale, die (wie das Substantiv das Nomen) den Kern aus sich herausgequetscht hat, die Schale, die nur noch Schale ist: die Schale des Nichts.
Die Frage an den Theologen, was hat Jesus davon, wenn wir uns dazu bekennen, daß er der Sohn Gottes ist, hat eine Prämisse, die mit zu reflektieren ist: Nicht auf das Bekenntnis kommt es an, sondern auf das Lösen, das dann das Lösen im Himmel bewirkt. Das Bekenntnis bindet nur.
Sind nicht Adjektive Stigmata? Ist nicht das Substantiv durchs Adjektiv vermittelt, und ist diese Vermittlung nicht der Grund der Tilgung des Namens? Die Grundadjektive sind Gut und Böse.
Gehört nicht zum grammatischen Problem der Suffixe das gemeinsame Problem der Bildung der Abstrakta (des Neutrums) und der Flexionen (der Deklination und Konjugation)? Beziehen sich im Hebräischen die Suffixe nur aufs Geschlecht und den Numerus, während sie erst in den flektierenden Sprache ins System der Deklination und der Konjugation mit einbezogen werden?
Weshalb schreibt Johannes (in der Apokalypse) an die Engel der Gemeinden, nachdem er zuvor an die Gemeinden einen allgemeinen Gruß gesandt hat? Haben diese Engel etwas mit den Engeln zu tun, die vor dem Thron Gottes stehen?
Wer das Ende berechnen will, will andern Angst machen (instrumentalisiert die Angst).
Ist der Begriff der Zeit in dem Ausdruck „eine Zeit, zwei Zeiten und eine halbe Zeit“ eigentlich immer ein und derselbe Begriff? Hängen diese Zeiten mit den räumlichen Dimensionen: die „eine Zeit“ mit dem Angesicht, die „zwei Zeiten“ mit der Unterscheidung von Rechts und Links (von Gericht und Barmherzigkeit) und die „halbe Zeit“ mit der Beziehung von Oben und Unten (der Trennung der oberen von den unteren Wassern), zusammen?
Rüsselsheim, Uniklinik und Rotes Kreuz-Krankenhaus in Frankfurt, dreimal die gleiche Erfahrung: Kliniken nehmen Krankheiten nur noch zum Anlaß, alle begründbaren abrechnungsfähigen Untersuchungen vorzunehmen, während sie an einer Diagnose nicht mehr interessiert zu sein scheinen.
13.3.1997
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