14.04.93

Die Vorstellung von den Privilegien der Opfer ist ein christliches Erbe: Darin steckt die christologische Logik der Vergöttlichung Jesu, die spätestens seit Rousseau zur Logik des Naturbegriffs geworden ist und mit dem Naturbegriff in der Gesellschaft sich reproduziert.
Werden nicht die Antinomien der reinen Vernunft dadurch relativiert, daß sie (im Raum) jeweils nur auf eine Dimension sich beziehen?
Die ersten beiden Antinomien beziehen sich auf die Welt, die dritte auf die Natur, und die vierte?
Kann man eine logische Folge der Formen des subjektiven Apriori bestimmen derart, daß die Konstruktion des Bekenntnisses das Geld voraussetzt und die Entfaltung der Raumvorstellung das Bekenntnis?
Die Schöpfungsgeschichte der Genesis unterscheidet sich von den Kosmologien insgesamt (den mythologischen wie den naturwissenschaftlichen) dadurch, daß sie eine Beziehung zur Erfahrung herstellt, die ästhetische Distanz zum Kosmos nicht akzeptiert. Sie ist m.a.W. kein Vorläufer der Naturwissenschaft, sondern einer der Mystik; sie ist Teil der Prophetie.
Durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird in die Struktur des Raumes ein Widerstandsmoment eingebunden, daß als Grund des physikalischen Materiebegriffs (als Grund des Begriffs der trägen und schweren Masse) sich begreifen läßt. Hier wird ein Äquivalenzsystem zu den mechanischen Vorstellungen, zu den Stoßprozessen eingeführt, dessen realer Ausdruck die Konstanten der Mikrophysik sind.
In einer Sprache, in der es neben dem Maskulinum und Femininum auch ein Neutrum gibt, wird das vierte Gebot unverständlich, wird es ins Herrendenken transponiert und unter den Satz subsumiert „de mortuis nihil nisi bene“: Hier liegt zwischen den Generationen die ihre Beziehungen neutralisierende Grenze des Todes. Im gleichen Zusammenhang ist schon das Du, das seine Geschlechtsbezogenheit verliert, Produkt einer Neutralisierung: der die Geschlechtsdifferenz aufhebenden Personalisierung. Der Geschlechtsunterschied findet sich erst in der dritten Person wieder, in einer anders objektivierten und neutralisierten Gestalt (Begriff der Scham).
Läßt sich anhand der Neutralisierung und Personalisierung des Du in den indogermanischen Sprachen der Zusammenhang von Neutrumsbildung, Futur II, Fortfall des Dualis u.ä. mit dem Ursprung des hypostasierenden Denkens (Begriffbildung und Philosophie) nachweisen? Und steckt nicht in den Fundamenten der Neutralisierung und Personalisierung des Du der Ödipuskomplex (und die Geschichte von Kain und Abel), und hängt diese Sprachkonstruktion nicht auch mit der materiellen Geschichte der Sexualität (und damit mit der Geschichte der Rezeption des evangelischen Rates der Keuschheit) zusammen? Und ist nicht die islamische Sexualmoral auch ein Sprachproblem (ein Problem das mit der Einschränkung der Fähigkeit zur Reflexion zusammenhängt)? Und liegt hier nicht auch der Sprachgrund des islamischen Konzepts der Schöpfung (in dem Schöpfung und Vorsehung nicht auseinandergehalten werden)? Hat in der islamischen Theologie nicht die Philosophie die Offenbarung ersetzt, substituiert? Ist nicht der Islam in ganz anderem Sinne eine Weltreligion?
Sind nicht die griechische Knabenliebe und der Rousseausche Inzest Indikatoren der wichtigsten Wendepunkte der Weltgeschichte (Ursprung und Erfüllung des Naturbegriffs)? Und läßt sich nicht an ihnen überhaupt erst ermitteln, was mit dem evangelischen Rat der Keuschheit gemeint ist? Sind es nicht die Begriffe der Barbaren, der Materie und der Natur, die das Keuschheitsgebot verletzen (und auf die sich der prophetische Begriff der Hurerei bezieht)? Erst die Kirche hat das Keuschheitsgebot zur Sexualmoral neutralisiert. Auch nach dem hebräischen Zusammenhang von Sexualität und Erkenntnis ist die Sexualmoral ein Teil der Erkenntnismoral: ein gnoseologisches Begriff. Wer heute die Last nur loswerden will, anstatt sie zu begreifen, verfällt ihr erneut. In der Gnosis wurde bloß die Erkenntnislust verurteilt, und das war der Ursprung der Diskriminierung der Sexuallust; versäumt wurde, das Problem der Gnosis selber zu begreifen.
Wie hängen Lust, lustig, Verlust (verlieren) zusammen? Ist nicht der Verlustbegriff ein Produkt der Verurteilung der Lust?
Der Pornokratie folgte in der Kirchengeschichte die Pornographie; und ein Teil der Theologie seit der Scholastik ist Pornographie, aber eine, auf die auch der Satz anzuwenden wäre: Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Auch das Sündenvergeben, das „dimitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris“, ist ein Moment in der Erkenntnis (ein Teil der Fähigkeit, hören zu können, sich in einen anderen hineinzuversetzen, der Barmherzigkeit). Hierauf bezieht sich das Wort von der Sünde wider den Heiligen Geist.
Der heilige Geist: die durchs Feuer der Schuldreflexion gereinigte Zunge.
Der Mund ist das Organ des Essens und des Sprechens: Beide sind durch den Begriff des Gerichts verbunden.
Adornos Eingedenken der Natur im Subjekt ist die Revozierung Rousseaus und ein Vorbegriff der Erinnerungsarbeit.
Gibt es eigentlich eine Untersuchung über die weiblichen Namen im Hebräischen (von Ischa, Eva, Lilit über Sara, Rebekka, Leah und Rahel bis Mirjam, Deborah, Judith, Esther, Rut, Batseba, Susanna, auch Rahab, Tamar etc.)? Ist das theophore Element nur bei männlichen Namen zu finden?
Ist nicht die Physik das Netz, in dem wir glaubten, die ganze Welt einfangen zu können, in Wahrheit sind wir selber darin gefangen. (Gibt es nicht Spinnen, bei denen das Weibchen das Männchen nach dem Geschlechtsakt frißt?)
Ist nicht der Raum der Inbegriff des Hämischen: Wohin ich mich auch wende, ich bleibe in dem System gefangen, aus dem auch die Umkehr nicht heraus-, sondern jede wieder ins System zurückführt: Inbegriff des Schrecken um und um. In diesem System wird die Umkehr zwangsläufig zur Buße, aber auch die verliert ihren Adressaten mit dem Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft: Hier gibt es nur noch welche, die Buße fordern, aber niemanden mehr, der Buße tut.
Wie war das eigentlich mit der Buße in Ninive: Auch die Tiere haben dort Buße getan, und der König hatte dazu aufgerufen.
War der philistäische Dagan ein Mars, und waren die altorientalischen Könige nicht in erster Linie Kriegsherren?
Die Vergangenheit ist nicht nur vergangen: Das hat die Nazizeit gelehrt. Das war der Kern der Ohnmachtserfahrung. Man kann die Vergangenheit nicht abwerfen, ohne ihr gerade dadurch zu verfallen.
Jesus ist eine Gestalt der Erinnerung: deshalb ist er (zusammen mit der Tora und der Prophetie) das Wort, das im Anfang bei Gott war. Und er ist es auch für uns nur, wenn wir diese Erinnerung mit aufnehmen (während die Kirche gerade die reale Erinnerung durchs Dogma verdrängt hat).
Nichts Vergangenes ist nur vergangen: Das ist die Idee, die das Inertialsystem sprengt. Sie schließt auf eine noch zu bestimmende Weise die Idee der Auferstehung der Toten mit ein.
Mit dem ersten Satz der Genesis wird im Namen des Himmels die Erlösung zitiert. Der Himmel des zweiten Schöpfungstages ist dagegen bereits die von der Vergangenheit eingefangene Zukunft: das, was zu lösen wäre. Das drückt sich aus in der Beziehung des Himmels zu den Wassern, in der Trennung der oberen von den unteren Wassern (der Trennung von Schuld und Segen, von Mythos und Offenbarung).
Der Fürst dieser Welt lebt vom Vergessen. Ein sich selbst begreifendes Christentum, das die Sünden der Welt auf sich nimmt, hingegen lebt von der sich selbst begreifenden Erinnerung.


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