14.11.95

Kanthers entlarvende Entgleisung: sein Wort von der Hetze (die von Seiten der Hessischen Landesregierung oder des Bundesrates gegen die Asylpolitik des Bundes betrieben werde), über die gestern in der Hessenschau berichtet wurde, wird in der FR von heute nicht erwähnt.
„Kriegsgräberfürsorge“. Was ist das, was die Deutschen nicht vergessen können; wird nicht mit den „Kriegsgräbern“ nicht etwas ganz anderes gepflegt: ein Rachepotential, das aus einer „Heldenverehrung“ erwächst, aus der Erinnerung an „Opfer“, die eigentlich Täter waren, aber als Opfer erinnert werden, das nicht umsonst gewesen sein darf? Das Selbstmitleid der Täter, die keinen Erfolg hatten, deckt die Schreie der wirklichen Opfer zu, macht sie unhörbar. Und die Erinnerung an die Täter rechtfertigt nachträglich ihre Untaten. Soll es wirklich so weit kommen, daß eines Tages die Täter an den Schreien der Opfer sich rächen?
Ist der Titel kyrios, Herr, einer, der nur für die Apostel gilt (und für die „apostolische“ Kirche)? Er knüpft an an ein Verständnis der Auferstehung, das der Nachfolge den Weg versperrt.
Die Verinnerlichung des Opfers und die Spiritualisierung des Martyriums sind zwei Seiten ein und derselben Sache, ihr gemeinsames Produkt ist der Confessor, die Verkörperung der Bekenntnislogik. Zum Confessor gehört die Virgo; beide weisen zurück auf ihren gemeinsamen Ursprung im Martyrium, im Blutzeugnis: Die Virgo ist das Bild des Opfers, das als Opfer, durchs Nichthandeln, unschuldig ist, während der Confessor als Täter zwar in den Schuldzusammenhang sich verstrickt, aber durchs Bekenntnis aus dem Bann der Schuld sich zu lösen vermeint: sich selbst als unschuldig erfährt. Das Bekenntnis des Glaubens (das nicht identisch ist mit dem Bekenntnis des Namens, das zur Nachfolge gehört) ist ein umgekehrtes Schuldbekenntnis, ein bindendes, kein lösendes. Gründet nicht in dieser Konstellation, die am Bild der Unschuld anstatt an der Idee der Befreiung sich orientiert, die Bedeutung und Funktion der Sexualmoral, die als Ersatz für die Reflexion von Herrschaft eintritt, zugleich aber die Reflexion selbst für Herrschaftszwecke instrumentalisiert (das Produkt der für Herrschaftszwecke instrumentalisierten Reflexion ist die transzendentale Ästhetik, sind die „subjektiven Formen der Anschauung“ Kants und deren transzendentallogische Äquivalente: das Geld und die Bekenntnislogik)?
Der Faschismus ist auch ein sprachlogisches Problem, das nur zu lösen ist im Kontext der Heiligung des Gottesnamens.


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