14.12.95

Vollendung der Mechanik: Wenn das Bestehende zum Betonklotz wird, dann müssen seine Kritiker aufpassen, daß sie nicht zu Betonköpfen werden.
Zum Begriff der Religion: Nicht mehr Kitt, sondern Zement; nicht die Fensterscheibe, die die Innen- von der Außenwelt oder den Käufer vom Warenangebot trennt, sondern die Betonwand, an der man sich den Kopf einrennt. Im Bildschirm des Fernsehers maskiert sich diese Betonwand als Fenster. Das Fernsehen hat die Wohnungen zu Monaden gemacht: sie sind fensterlos (seitdem vertragen die real existierenden Fenster keine Gardinen mehr). Das Fernsehen transportiert nicht das Warenangebot ins Wohnzimmer, sondern das Wohnzimmer ins Innere der Ware (das sich beim Erwachen aus dem Alptraum der Logik des Tauschprinzips als das Innere der Hölle erweisen wird).
Faschismus als Modernisierungsschub: War Hitler der Vorläufer, das Modell und die Keimzelle des Fernsehens? Läßt diese Frage in eine der Kritik der politischen Ökonomie sich übersetzen (Selbstzerstörung der politisch-moralischen Kategorie der Souveränität)?
Das Wort, daß der Menschensohn auf den Wolken des Himmels (wieder-)kommen wird, enthält einen Hinweis auf einen Prozeß im Begriff und in der Struktur der Öffentlichkeit, auf den wirklichen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“.
In der Unterscheidung von Macht und Herrschaft spiegelt sich die von Wut und Zorn. Zur Bestimmung der Begriffe Herrschaft, Macht und Gewalt vergleiche die Bemerkungen von Emmanuel Levinas zum Begriff der Gewalt (Schwierige Freiheit, S. 19, 25). Sind nicht Gewalt und Macht Manifestationen der Herrschaft, reflektiert im Medium der Gemeinheit (der Urteilsform), und verhalten sich Gewalt und Macht wie Natur und Welt (wie Objekt und Begriff)? Deshalb ist die Frage der Gewalt eine essentielle Frage der Linken, die der Welt ihre Naturseite (der Weltgeschichte die Naturgeschichte) vorhält, während die Machtfrage das Erkennungszeichen, an dem die Rechten sich erkennen, ist (Gewalt ist eine Form der Herrschaft, die den Begriff nicht halten kann).
Gewalt ist ein Akt der Befreiung, nur die Nazis haben „die Macht ergriffen“.
Unterm Rechtfertigungszwang schnurrt die Wahrheit zusammen zur Ideologie, zum puren Bekenntnis, entfaltet sich in ihr die Bekenntnislogik, zu deren Elementen das Feindbild, die Eliminierung der Häretiker und der Sexismus, die Frauenfeindschaft, gehören.
Wenn ein Mord sich verständlich machen, niemals aber sich begründen läßt, dann einzig unter dem Aspekt der Notwehr, aber nicht mit dieser unsäglichen Begründung, daß Geiselnahme immer auch die Möglichkeit des Tötens mit einschließt (gleichsam eine Situation, in der Notwehr sich nicht ausschließen läßt), oder dem Hinweis auf „absolut negative Menschen“, die nicht sich ersetzen lassen. Diese Logik ist antisemitisch (der Holocaust wurde als ein präventiver Akt der Notwehr verstanden, die jüdische Rasse als eine Gruppe absolut negativer Menschen).
Der Versuch, einen Mord zu rechtfertigen, gerät zwangsläufig zur Begründung, zur Festlegung einer Norm, die dann auch auf andere Fälle sich anwenden läßt. Da aber sei Gott vor.
Läßt sich nicht die Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht auf die Nachkriegsgeschichte anwenden, in der die Verlierernationen (Deutschland und Japan) am Ende über die ehemaligen Siegermächte triumphieren?
Sind nicht die Streiks in Frankreich eine Folge der Übertragung der deutschen Wirtschafts- und Währungspolitik (Standort Deutschland und Stabilität der DM) auf die EU? Und ist nicht die Konstruktion der EU, die nur eine neue, demokratisch weder legitimierte noch kontrollierte Verwaltungsebene geschaffen hat, ein Hinweis auf die politisch-ökonomischen Gesteinsverschiebungen, die der Faschismus ausgelöst hat: der Sieg der Ökonomie über die Politik, die Rückverwandlung von Politik in Verwaltung? Ein Subjekt dieses Vorgangs ist nicht mehr erkennbar, der rechtspolitische Begriff der Souveränität (das Bewußtsein der Verantwortung des Staates für die Herrschaft der Gerechtigkeit und des Friedens, das ersetzt worden ist durch den gegen jede Kontrolle abgeschirmten Gebrauch des staatlichen Gewaltmonopols) ist endgültig gegenstandslos geworden. Wozu der Staat allein noch gebraucht wird, ist ideologischer Natur: er ist zur Exkulpationsmaschine geworden, der die Gewalt, die er nicht mehr beherrschen kann, wenigstens rechtfertigen soll.
Hat nicht Heinrich Böll mit seinem Wort vom verfaulenden, verrotteten Staat ein Stichwort geliefert, das in der Lage wäre, das Marxsche Konzept vom Absterben des Staates zu spezifizieren: Der Staat ist abgestorben, aber ohne daß etwas anderes an seine Stelle getreten wäre, und wir wohnen im Augenblick dem Verwesungsprozeß bei, dem Prozeß der Verrottung und gleichzeitigen Vergiftung aller Lebensverhältnisse.
Der Staat hat in einer Reihe von Institutionen die Einrichtungen geschaffen, die dazu dienen, ihm die Last Souveränität, der Entscheidung und der Verantwortung dort, wo er sich unfähig weiß, sie zu tragen, abzunehmen (Verfassungsgericht, Bundesbank). Die wütende Reaktion auf einige Urteile des BVG, die dem Exkulpationsbedürfnis des Staates nicht entgegenkamen, ist nur so zu erklären. Der vorauseilende Gehorsam der Deutschen Bundesbank, ist da schon genehmer.
Der Kopf des Fisches: Der Verrottungsprozeß des Staates hatte eine Vorgeschichte, er war schon zu erkennen an seinen letzten höchsten Repräsentanten, am Kaiser Wilhelm und an Hitler.
Versucht nicht dieser Prozeß gegen Birgit Hogefeld die Verfahren gegen die raf auf eine neue Ebene zu schieben? Geht es jetzt nicht energisch an das Konzept der Konstruktion synthetischer Urteile apriori, der Einbeziehung des ganzen raf-Komplexes in ein reines Subsumtionsrecht, in dem es dann auch der Kronzeugen nicht mehr bedarf? Dazu gehört u.a. das Verfahren der Einführung bereits rechtskräftiger Urteile, die falsch sein mögen, die aber den Vorzug haben, daß sie einer nochmaligen Beweisführung nicht mehr bedürfen, somit gegen jede erneute Diskussion abgesichert sind. Hierher gehört insbesondere auch der Teil aus der Anklage gegen B.H., der auf ihre Beteiligung an dem „Mord“ und den „Mordversuchen“ in Bad Kleinen abstellt. Wird hier nicht eine Logik konstruiert, die dann als Subsumtionslogik auf alle weiteren raf-Verfahren, die noch anstehen mögen, anwendbar wäre, in jedem Falle aber die Wirkung einer Präventivabschreckung haben würde. Einer Präventivabschreckung, die u.U. dann auch auf den gesamten Bereich der herrschaftskritischen Reflexion und gegen jede Form der Staatskritik sich anwenden ließe (die Habermassche Konzeption des herrschaftsfreien Diskurses, könnte sich als ein Stück vorauseilenden Gehorsams erweisen), nach dem mittelalterlichen Rechtsgrundsatz: Mitgefangen, mitgehangen.
Hat nicht der Gesetzgeber dem schon vorgearbeitet, und tut er es nicht weiterhin? Nur: Niemand merkt’s mehr. Wenn’s hoch kommt, dann reicht’s nur zum folgenlosen Protest.
Der Frontbegriff und die Verräterdiskussion waren logische Fallen, in die alle Empörten hereingelaufen sind. Die Empörungslust war von Anfang an sexistisch.
Die Uniform hebt das Tötungsverbot auf, indem sie das Gesicht löscht. (Welche Konsequenzen hat dieser Satz für das Verständnis des Hegelschen Begriffs der „Aufhebung“? Ist die Aufhebung der Transformator, der das Gebot in ein Gesetz verwandelt, gehört der Begriff der Aufhebung zu den Konstituentien der Bekenntnislogik? Ist das Dogma die aufgehobene Wahrheit?)


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie