14.7.1994

Das Bilderverbot gründet in der Scham: es ist gegen das Aufdecken der Blöße gerichtet. Der Aktualitätsbezug prophetischer Erkenntnis schließt die Erinnerung (die Korrespondenz zur Vergangenheit) mit ein. Sind die flektierenden Sprachen nicht allesamt Schriftsprachen, und drückt in ihrer grammatischen Entfaltung nicht die Logik der Schrift sich aus? Hat Paulus, der erste der „neutestamentlichen“ Autoren, das Christentum dadurch zu einer Völker-(Heiden-)Religion gemacht, daß er es zu einer „Schriftreligion“ gemacht (ihm die Logik der Schrift einbeschrieben) hat? Kann es sein, daß die anderen Texte des Neuen Testaments, von den Evangelien bis zur Offenbarung Johannis, aber auch die „katholischen“ Briefe, Versuche waren, zu retten, was noch zu retten war; waren sie nicht schon Korrekturen des paulinischen Konzepts? Gilt auch hier das Gesetz von Katastrophe und Errettung (mit dem Kreuzestod als dem ungeheuerlichsten Erinnerungsmal an das katastrophische Element in der biblischen Tradition)? Ist nicht die (im Kern paulinische, an die versäumte Verarbeitung seines Anteils am Tode des Stephanus erinnernde) Opfertheologie das Mittel der Verdrängung und Neutralisierung des katastrophischen Elements (Grund der Desensibilisierung der Theologie, ihrer Narkotisierung)? Paulus-Kritik: Der gerechtmachende Glaube (Grund der prophetischen Erkenntnis) ist das Gegenteil des rechtfertigenden Glaubens (der Bekenntnislogik). Ruhm ist keine christliche Kategorie (verhalten sich nicht Ruhm und Ehre wie Zeit und Raum, und ist nicht die Materie zu beiden das Geld?). Ohne eine hierarchische Ordnung, ohne Herrschaft von Menschen über Menschen und ohne Gewalt gibt es keinen Ruhm. Heute ist – ebenso wie die Barmherzigkeit in Selbstmitleid – der Ruhm in Reklame, ins Eigenlob, übergegangen. Wird Hegels Satz, daß „der Held für den Kammerdiener kein Held“ ist, nicht durch den Folgesatz dementiert: „nicht, weil der Held kein Held ist, sondern weil der Kammerdiener ein Kammerdiener ist“. Die Idee des Absoluten verknüpft die Aneignung der Welt mit dem Schaden an der eigenen Seele. Die Urteilsform ist die Frucht vom Baum der Erkenntnis (sie öffnet die Augen, deckt die Blöße auf und macht erkennen, daß man nackt ist). Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte des verzweifelten Versuchs, die Wahrheit in der Form des Urteils zu fassen: Darin gründet ihre Beziehung zur Geschichte der drei Leugnungen Petri, die mit der Selbstverfluchung (dem Greuel am heiligen Ort: der Idee des Absoluten) endet.


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