14.7.1995

Der Wertbegriff und das moralische Urteil sind Instrumente des Konkretismus und der Personalisierung.
Haben nicht die Erklärungen der raf etwas von ad-hoc-Stellungnahmen: Sie liefern Rechtfertigungen, keine Begründung.
Der Satz „Mein ist die Rache, spricht der Herr“ ist kein indikativischer Satz, er gilt nicht zu allen Zeiten und an allen Orten. Wahr ist er nur in einer bestimmbaren Konstellation, und zwar als Imperativ: Rache ist nicht deine Sache.
Auch das Dogma ist nicht an sich unwahr, aber es wird unwahr im Bann der indikativischen Logik (im Bann des „Logozentrismus“).
Jede Personalisierung ist atheistisch. Ihr Grund und ihr Telos ist der Antisemitismus (der Jude ist der Schuldige an sich). Und der verbreitete Nachkriegs-Atheismus ist ein posthumer Sieg Hitlers. Nur: Die ans Konfessionsprinzip gebundenen Kirchen sind ohnmächtig gegen diesen Atheismus.
Die kritische Reflexion des Weltbegriffs rührt auf eine doppelte Weise an die Wurzeln des Christentums. Der Weltbegriff bezeichnet die differentia specifica, durch die das Christentum innerhalb der jüdischen Tradition von dieser Tradition sich unterscheidet, während die kritische Reflexion des Weltbegriffs den Bann löst, unter dem abrahamitischen Religionen bis heute stehen.
Hegel hat einmal auf den merkwürdigen Sachverhalt hingewiesen, daß der Begriff Geschichte sowohl die historischen Ereignisse als auch ihre schriftliche Objektivierung bezeichnet. Und er hat recht: Die Geschichte konstituiert sich als vergangene Geschichte durch die Geschichtsschreibung. Dieser Vorgang ist ein weltkonstituierender Akt (sprachlogisch ist das Präsens durchs Präteritum vermittelt). In dieser Konstellation gründet die welthistorische Bedeutung der opfertheologischen Objektivation des Kreuzestodes.
Sind nicht die eigentlich „geschichtlichen Bücher“ der Bibel die apokalyptischen Bücher? Und eigentlich ist jede Geschichtsschreibung apokalyptisch und die Verdrängung des Bewußtseins davon zugleich: Sie vollstreckt an der Vergangenheit das Jüngste Gericht, um die Gegenwart zu begründen. Unser Bild von der Geschichte ist das eines rechtskräftig gewordenen Todesurteils (der Historiker ist der Scharfrichter). Deshalb ist parakletisches, verteidigendes Denken heute Erinnerungsarbeit.
Die Opfertheologie (und nicht der Kreuzestod) war der Gründungsakt der christlichen Zivilisation.
Der Jubel der Barockmusik, dessen säkularisierter Nachhall seit zwanzig Jahren die Popmusik durchdröhnt, war schon kryptofaschistisch. Bach war kein Barockmusiker, seine Musik war die Umkehrung der Barockmusik, ihr Paradigma war die Passion.
Jede Personalisierung gründet in dem Glauben an die magische Kraft des Bekenntnisses, die magische Kraft von Anschauungen (die deshalb seit dem Ursprung totalitärer Systeme zu todeswürdigen Verbrechen geworden sind).
Der Satz (der sprachlogisch sich ableiten läßt), daß die Attribute Gottes im Imperativ, nicht im Indikativ stehen, läßt sich leicht am Kontext der Vorstellung demonstrieren, daß Gott nicht bereut. Unter diesem Imperativ steht seit der Diskriminierung des Anthropomorphismus das Herrendenken: Nicht Gott, sondern die Hybris seiner irdischen Vertreter erfährt die Vorstellung als unerträglich, eine einmal getroffene Entscheidung wieder zurücknehmen, sie öffentlich bereuen zu müssen. Das Gesicht, das die Herren zu verlieren fürchten, ist die Maske der Person, nicht das göttliche Angesicht, dessen Leuchten seinen Grund in der göttlichen Barmherzigkeit findet. Die theologische Verwerfung des Anthropomorphismus war die Verwerfung der göttlichen Barmherzigkeit.
Die Finsternis über dem Abgrund: Ist das nicht der Nachthimmel, und sind nicht die Sterne in der Tat ein Zeichen der Hoffnung?
Der Satz: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“, ist ebensosehr ein Gebot wie es ein Ausdruck der Hoffnung, des Verlangens, der Sehnsucht ist.
Wenn Jeremias für Babylon und gegen Ägypten votiert, so war das weniger Ausdruch einer „realistischen“ Einschätzung der Machtverhältnisse als vielmehr die prophetische Einsicht in einen Vorgang, der die Gotteserkenntnis im Kern verändert hat.
Zum Begriff des Seins: Die Fundamentalontologie war faschistisch, weil das Sein (wie der Begriff des Eigentums, mit dem er zusammenhängt) außerhalb der staatlichen Organisation, die im Faschismus zum Selbstzweck wird, nicht sich definieren läßt.


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