Georg Lukacs hat in „Geschichte und Klassenbewußtsein“ Hinweise auf eine marxistische Kritik der Naturwissenschaften gegeben, die er zwar später wieder zurückgenommen hat, deren produktiver Ansatz heute duetlich gemacht werden kann: Die von Frankfurter Seite mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ geübte Kritik an Lukacz‘ Begriff des „Kontemplativen“ (der rein anschauenden Beziehung zum Objekt) vergißt die Einsicht der „Dialektik der Aufklärung“, wonach die Distanz zum Objekt durch die Distanz der Herrschenden über die Beherrschten vermittelt ist. Es ist diese (in der kantischen Philosophie durch die Unterscheidung von transzendentaler Anschauung und transzendentaler Logik bereits angezeigten) besonderen Beziehung von Anschauung und Praxis, Ursprung der Beziehung von Verwaltung und Industrie, die hier näher zu bestimmen wäre (Rückwirkung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur auf die Gesellschaft; Einbeziehung auch des Motors der Emanzipation – des naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozesses: in den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang – negative Trinitätslehre?). Hier ist der Ansatzpunkt für eine gesellschaftlich-geschichtliche Kritik der Naturwissenschaften.
Die kantischen Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind sowohl die subjektiven Bedingungen der transzendentalen Logik (des historischen Objektivationsprozesses) als auch selber objektivierungsfähig (Inertialsystem; Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Identität von träger und schwerer Masse). Sie sind so der Statthalter sowohl des Naturgrundes von Herrschaft als auch seiner Vergesellschaftung im Subjekt (Ursprung der Reflexionsbegriffe und Grund der Konstituierung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs). Die europäische Gesellschaft ist die historische Gestalt der dem Bewußtsein entfremdeten Empörung, die exakt dem Naturgrund von Herrschaft korrespondiert: Deshalb ersetzt hier immer noch die Empörung das Argument. Bekenntnis als Empörung (Bekenntnis als „Weltanschauung“ – Brutalität der „Weltanschauungskriege“ bei gleichzeitiger Verdrängung des Bewußtseins und der Erinnerung der Brutalität darin begründet).
Der Entkonfessionalisierung der Kirchen entspräche eine Form des Bekenntnisses, die nicht mehr zur Empörung sich anreizen läßt, der Empörung nicht mehr bedarf (wohl des Zorns).
Die Formen der Anschauung sind die Formen der gegenständlich gewordenen, versteinerten Empörung; die Form ihrer Objektbeziehung entspricht der des Hohns, des kalten Auslachens: der apriorischen Verurteilung. Grund der Gemeinheit.
Startbahnprozeß: Die Empfindlichkeit ist ein Gradmesser der verdrängten Sensibilität (Konstruktion des Selbstmitleids; Ableitung seiner gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Folgen; Zusammenhang mit der Geschichte des Christentums).
15.01.91
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