15.04.93

Der interessanteste und der entscheidende Teil der kantischen Kategorientafel ist der dritte. Der erste und zweite Teil definieren die Brille, durch die hindurch der dritte gesehen wird, während der vierte dieser Brille die objektive Realität verschafft. Das Entscheidende ist das Moment der Gefangenschaft im System (der Isolationshaft), das dadurch zustande kommt, daß, wohin man sich auch wendet, man keinen Ausweg findet; der Ausweg ist versperrt durch das Prinzip der Reversibilität der Richtungen im Raum. Diesem Prinzip der Reversibilität verdankt sich die Struktur der homogenen Zeit: Die Reversibilität ist der Ausdruck der Subsumtion der Zukunft unter die Vergangenheit. Die Geschichte vom Hasen und Igel drückt das aufs genaueste aus.
Was ist das Neue beim Noe:
– die Sintflut mit der Verheißung, daß sie nicht noch einmal kommen wird und mit dem Bogen als Bestätigung;
– das neue Essensgebot: mit der Erlaubnis des Fleischessens (das das Töten von Tieren mit einschließt);
– der Weinanbau: Noe ist der Erfinder des Weinanbaus und der erste Trunkene;
– Sem, Ham und Jafet, das Aufdecken der Blöße und der Ursprung der Knechtschaft.
Haben Sem und Jafet etwas mit der Unterscheidung der semitischen und indogermanischen Sprache zu tun? Ham (zu dessen Söhnen Kanaan gehört) ist der Vater des Knechts beider. Was bedeuten die Namen Sem, Ham und Jafet?
Luther hat „dem Volk aufs Maul geschaut“: Hat seine Bibel-Übersetzung die Schrift dem Volk nur mundgerecht gemacht? Liegt nicht die Erinnerung an die Doppelbedeutung des Gerichts nahe?
Hängen die Prä- und Suffixe mit dem Nominalisierungsprozeß der Verben zusammen? Während die Suffixe in der Regel den Nominalisierungsprozeß abschließen, besiegeln, nehmen die Präfixe die Präpositionen in das Verb mit herein, ordnen damit die Verben den Deklinationen (dem Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang der casus) zu.
Kommt dem Präfix be- nicht insofern eine Sonderstellung zu, als es den Mechanismus selber ausdrückt: die Identität von Empörung und Unterwerfung und die Identifikation mit dem Aggressor (das genaue Äquivalent des Raumes in der Sprache). Wenn ich ein Haus bewohne, beherrsche ich es durch meine eigene Unterwerfung unter seine Gesetze (Zusammenhang mit dem englischen to be?).
Anwendung auf den Begriff des Bekenntnisses (Prinzip der Instrumentalisierung der Religion: es macht sie „bewohnbar“). Ist das Schuldbekenntnis die Umkehrung des Zwangsbekenntnisses?
Wie verhält sich die Bekehrung zur Umkehr? Auch das reflexive Sich-Bekehren ist nicht identisch mit der Umkehr: Hier tut man sich nur selber an, was einem sonst von außen angetan wird. Sind nicht die Naturwissenschaften die Bekehrung der Natur (hier liegt der Grund des christologischen Naturbegriffs)?
War nicht Alexander, der Schüler des Aristoteles, auch der erste große „Bekehrer“ (der den Barbaren die Zivilisation gebracht hat)? Als er den gordischen Knoten durchschlug und Asien unterwarf, war das nicht die prophylaktische Verwandlung der Umkehr in die Bekehrung?
Man muß die Gewalt der Sprache von der Sprache der Gewalt unterscheiden. Was heißt Sprachgewalt?
Walter Benjamins Erörterungen zum Begriff der Gewalt, seine Unterscheidung zwischen der rechtsetzenden und rechterhaltenden Gewalt (und der göttlichen, befreienden Gewalt), ist weder deduktiv abzuleiten, noch unterliegt sie der empirischen Überprüfung, sondern sie hat eine Schlüsselfunktion: sie erschließt neue Erfahrungsbereiche. Aber wenn einer nicht bereit ist, diesen Schlüssel auf seine Erkenntnisse anzuwenden, kann er ihn nur noch als unbrauchbar verwerfen; aber das ist dann sein Problem und keins des Textes von Walter Benjamin. Walter Benjamin hat als erster das transzendentallogische Problem des Rechts begriffen: daß auch das Recht (im Kontext von Begriffen wie Welt, Natur und Materie) ein Instrument zur Organisation von Erfahrung ist, dessen Begründung ohne Rekurs auf Gewalt (die ohnehin in den Fundamenten der transzendentalen Logik mit drin steckt) nicht möglich ist. Derrida ist ein Rutengänger der Philosophie, aber er vermag die Goldadern, auf die er stößt, nicht selber auszubeuten.


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