15.4.1997

Weltbilder und Weltanschauungen sind Produkte eines Prozesses, in dem die Welt zum Satellitensystem des Unschulds- und Exkulpationstriebs gemacht wird. Zu ihren Konstruktionsprinzipien gehören der Rechtfertigungszwang und das Schuldverschubsystem. Deshalb war der Rußlandkrieg als Weltanschauungskrieg, der den Nazis die Unterstützung der Kirchen gebracht hat, und in dessen Schatten sie die „Endlösung der Judenfrage“ in Angriff nehmen konnten, ein Vernichtungskrieg.

Weltanschauungen sind Verkörperungen der Wege des Irrtums, ihr Modell ist das heliozentrische System. Das Christentum ist schon mit Konstantin heliozentrisch geworden: Die Unsterblichkeitslehre und die Verräumlichung des Himmels (der oberen Welt, die so zum Reflex und zu einem Instrument der Herrschaftslogik geworden ist), der katholische Mythos insgesamt, sind ein Teil der Vorgeschichte des heliozentrischen Systems, eine Vorstufe der kopernikanischen Wende.

Unsere Konflikte sind Eruptionen unserer Konfliktunfähigkeit (eines sehr katholischen Erbes, aber eines Erbes, das nicht durch „Überwindung“, durch Verdrängung ins Vergangene, sondern allein durch Erinnerungsarbeit zu entschärfen ist).

Ist das Inzestverbot ein Institut der Feindesliebe? Und ist die Ehe deshalb ein Sakrament? Und steckt nicht in der Eucharistie, die auch ein Sakrament ist, die Erinnerung an den Kannibalismus in den Fundamenten unseres Selbstverständnisses: das ungeheure Motiv der Identifizierung von Brot und Fleisch (wie auch der Identifizierung von Wein und Blut)? In der Eucharistie werden das Opfer Abels und das Kains zu einem Opfer.

Die Logik der Erbaulichkeit wird unvermeidbar, wenn man die Erinnerung des barbarischen Untergrundes der Sakramententheologie nur verdrängt.

Die Befreiung Maria Magdalenas von den sieben unreinen Geistern ist ein Symbol der Befreiung von den Zwängen der „Wege des Irrtums“, der Heliozentrik und des Planetensystems, vom Bann des Unschuldssyndroms.

Der Sonntag ist der „Tag des Herrn“, die dies dominica (und die konsequenteste Verkörperung des Unschuldsyndroms ist der „Herr“, der – wie die Sonne die Kraft, die Finsternis der Nacht zu verdrängen – die Macht hat, die Erinnerung an die Schuld zu unterdrücken). Aber der Messias kommt „wie ein Dieb in der Nacht“.

Natur und Geschichte: Das Sich-den-Kopf-der-Anderen-Zerbrechen gehört zum Bildungsprozeß des Planetensystems. Das Sich-den-Kopf-der-Anderen-Zerbrechen ist das logische Pendant der Unfähigkeit, die Vergangenheit anders als unter dem Zwang der der Schuldsuche zu reflektieren.

Die Idolatrie zerbricht sich den Kopf Gottes.

Beschreibt nicht die Geschichte der Verrhärtung des Herzens Pharaos die Bildungsgeschichte des Schuld-/Planetensystems? Das Planetensystem ist das Satellitenssystem der Schuldverschiebung. Die Fähigkeit, dieses System durch Reflexion aufzulösen, ist Teil der Fähigkeit zur Sündenvergebung: sie „deckt eine Menge Sünden zu“.

Der Harmonietrieb und die Konstellation von „Autismus und Geiselnahme“ sind Teil eines Prozesses.


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