16.01.91

Das Bekenntnis (homologein) steht in der Linie des Nachfolgegebots: durch mimetische Angleichung an das schaffende Wort, den Logos, soll die befreiende Kraft, die Erlösungstat Christi, sich mitteilen. Die dogmatische Anpassung des Bekenntnisses an den philosophischen Begriff stellt dieses Verhältnis auf den Kopf und ist nur durch Umkehr aufzulösen: durch Umkehr im dogmatischen Verständnis der Theologie selber, durch parakletische Auflösung der Instrumentalisierung, des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs (der „real existierenden“ Unwahrheit der Trinitätslehre). Die Binde- und Lösegewalt der Kirche bezieht sich konkret hierauf: bis heute hat die Kirche nur gebunden, nicht gelöst.
Wahrheit im Kontext begrifflichen Denkens, Bekenntnis, Rechtfertigung; Konstitutierung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungsusammenhangs im Kontext dieses Wahrheitsbegriffs, falsch säkularisierte Theologie: Warum steht das lateinische Bekennen (nur als Schuldbekenntnis?) im Passiv: confiteor, confiteri, confessio (ich werde bekannt, ich bekenne mich jemandem? – Hat das confiteor die im Confiteor angegebenen Adressaten, die dann im deutschen „Bekenntnis“ zur Öffentlichkeit anonymisiert, ins abstrakte Allgemeine gesetzt wurden; deren Stelle dann der Staat einnehmen konnte?); warum wird das Bekenntnis hier erlitten (und nur das Erleiden als Leistung aufgefaßt). Hat sich diese passivische Konstruktion als säkularisierte, als Moment eines durchaus weltlichen Herrschaftszusammenhangs, im deutschen „Bekenntnis“ erhalten? Gibt es hier einen Zusammenhang mit der reformatorischen Hypostasierung des geschriebenen Wortes und der Beziehung von Bekenntnis, Glaube und Rechtfertigung? – Steht nicht die deutsche Staatsmetaphysik und der „Staatsanwalt“ in dieser schlimmen Tradition („Gib es zu!“: von der strafmildernden Kraft des Bekenntnisses zum Kronzeugen)? In diesen Zusammenhang gehört die (autoritäre) Umdeutung des Gebots: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“ ins „Du sollst nicht lügen“ (Umkehrung des den anderen verteidigenden in das sich selbst rechtfertigende Denken), oder die Umdeutung des humanen Schutzgebots zugunsten des Beschuldigten in einen generellen Bekenntnis-und Rechtfertigungszwang, dem jeder unterliegt (Folge der Lehre von der befreienden Kraft des Bekenntnisses). Vor einem deutschen Gericht ist auch der Zeuge ein potentieller Angeklagter. Zusammenhang von staatlichem Gewalt- und Wahrheitsmonopol im Kontext eines verdinglichten, akkusativischen, an den Anklagevorbehalt geknüpften Wahrheitsbegriffs (eine Tatsache wird erst wahr durch Feststellung, nicht durch Einsicht)?
Die Rechtfertigung bezieht sich nicht primär auf die Tat, sondern auf ihre Bewertung von außen: durch den Ankläger. Die Rechtfertigungslehre fördert eine Anschauung, für die nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden das Entscheidende ist (die Rechtfertigung befreit nicht von Schuld, sondern von Schuldgefühlen; hierbei unterscheiden sich Schuld und Schuldgefühle wie die Tat und die Verinnerlichung ihrer Beurteilung durch andere).


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