Das Bürgertum – als Subjekt des Rechts – ist der Ursprung der Utopie, der Idee einer Gesellschaft, die – ihrer selbst mächtig – der Unterdrückung eigentlich nicht mehr bedarf. Die Funktion der Strafe sollte es sein, den Irrenden auf den rechten Weg zurück zu führen; ihre reale Funktion jedoch war die Abschreckung: sie war Strafe für andere, und der einsitzende Delinquent nur zufälliges Opfer wie das Tier im Experiment. Eigentlich jedoch – und das verweist auf das Moment des Scheins im Ursprung der Utopie – war die Strafe (die der Intention nach immer nur den anderen treffen durfte, mit dem niemand sich zu identifizieren wagte) reine Demonstration der Macht, die Grenze zwischen Subjekt und Objekt in der von Macht geprägten Gesellschaft, eine Grenze, die mitten durchs Subjekt verläuft (und hier Ich und Es, Bewußtsein und Unbewußtes trennt). Oberhalb dieser Grenze ist die eine, wahre und eigentliche Welt, der der anständige Mensch angehört; unterhalb liegt das Verdächtige, Verrufene, die Schuld. Strafe ist das Instrument der Internalisierung des Terrors, sie wirkt zugleich auf eine infame Art desorientierend: Strafe wirkt nur von oben nach unten; die Vorstellung, das Verhältnis ließe sich umkehren, die Oberen könnten zur Rechenschaft gezogen werden, ist der Grund für das Mißlingen jeder Revolution bis heute (Austausch des Personals, nicht Änderung der Verhältnisse). Die wirkliche Revolution wäre die Abschaffung der Strafe (und des richtenden Rechts).
16.06.88
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