16.06.90

Nach Kant und Hegel (aber auch in Kenntnis der in jeder Hinsicht verhängnisvollen Folgen kirchlicher Dogmatik) dürfte dieses Verfahren (Philosophie als Streit von Meinungen, von denen eine wahr sein soll) eigentlich nicht mehr möglich sein. Insoweit ist das D.’sche Konzept in der Tat regressiv. (Jede Meinung ist als Produkt von Instrumentalisierung unwahr. – „Bekenntnis“ und Meinung.)

D.’s Kriegstheorie (begründet in Angst, die durch moralischen Druck einer veräußerlichten Ethik erzeugt und verstärkt wird) ist a) spekulativ und b) zu harmlos. Er bringt keine wirklichen Belege für seine Theorie. Daß er ausgerechnet an Franziskus und Tolstoi sich ärgert, die nun wirklich nicht zu Kriegen aufgehetzt haben, läßt nur auf seine eigenen Verdrängungen schließen. Vor allem aber übersieht er den gesamten (insbesondere am Faschismus zu studierenden) Komplex von gezielter Verführung, Herstellung von Komplizenschaft, Erzeugung des pathologisch guten Gewissens (die Ausbeutung von Angst, Ich-Schwäche, Schuldgefühlen ist nur ein Teil des Arrangements). Statt dessen denunziert er Beispiele der Umkehr.

Die Gefahr der Psa liegt darin, daß sie mit der Hypostasierung des Unbewußten aus einem Adjektiv einen Substanzbegriff macht, aus einer Eigenschaft ein Ding. Wahr daran ist, daß es in der Tat (nach Groddeck) so etwas wie eine Dramaturgie des Es, etwas Subjekthaftes im Unbewußten gibt; aber dieses wäre konkret abzuleiten; im Übrigen ist das Es zwar unbewußt, aber es ist nicht „das“ Unbewußte: Das Unbewußte ist (als Negation des Bewußten) zunächst gegenstandsbezogen, Hinweis auf eine Verdrängung und auf deren Resultat: eine verkürzte, eingeschränkte Sicht der Realität, der Objektivität, die dann eine Art naturhaften, subjektlosen Subjekts (gleichsam den Schatten des verdrängenden „Ich“, das „Es“) nach sich zieht, konstituiert. Darauf bezieht sich in Büchners „Dantons Tod“ der Satz „was ist das, was in uns hurt, mordet …“ Dagegen setzt Freud das aufklärerische „Wo Es ist, soll Ich werden“. Wer (wie u.a. Jung und jetzt auch Drewermann) das Negative des Unbewußten verdrängt und gar von den heilenden Kräften des Ub redet, sollte vielleicht doch einmal darüber nachdenken, an welche Angst-, Schuld- und Gewaltquellen er damit rührt, welche Schleusen (des Vorurteils, der Verblendung, der Aggression) er öffnet.

Doppelter Effekt der methodischen Kraft der Ubiquität:

– es begründet eine dem Inertialsystem nachgebildete Objektivität, und

– es stellt eine Gegenwart her, die die Fremdheit ausschaltet und verdrängt, indem sie die Gegenwart dem Vergangenen angleicht, die Differenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit (die Todesgrenze) tilgt.

Die Ubiquität der Mythen ist ein Reflex davon, daß es im Bereich des Mythos einen Ausweg aus dem Totenreich nicht gibt.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie