17.06.90

Zu der unsäglichen Interpretation des „Peer Gynt“ („Krieg und …“, S. 261ff): Das Verständnis der „Mutter Solveig“ als Symbol der „Mutter Kirche“, in deren Schoß zurückkehren muß, wer die verlorene Einheit mit Gott wiederherstellen will, beweist das inzestuöse Religionsverständnis D.’s; die Sünde liegt hier offensichtlich in der Freiheit, die sich aus der symbiotischen Beziehung lösen, aus dem Bann der Mutter heraustreten will; das erklärt seine gereizte Ablehnung der politischen Theologie. D. braucht die „Geborgenheit“, und zwar eine Geborgenheit, die ihn dann für sein Handeln in der feindlichen Welt vorab freispricht, gleichsam Generaldispens erteilt: die Moral soll ihm nicht mehr in die Quere kommen. Daher sein Haß auf den „Klerikalismus“ und die offene Nähe zum Antisemitismus. Er selbst will, was er der politischen Theologie vorwirft: die sich aufopfernde Mutter (vgl. auch „Kleriker“, S. …) retten.

Es ist Abwehr und auswegloses, zwanghaftes Reagieren zugleich, wenn D. offensichtlich Handeln nur noch als „Machen“ kennt (S. 271, vgl. hierzu auch die dekouvrierende Einleitung zur „Krieg und …“). Ist es auch ein „Machen“, wenn ich ein Kind, das in den Brunnen gefallen ist, rette? War der Widerstand gegen den Faschismus, war das Retten von Juden ein „Machen“?

D.’s Kanonisierung des eigenen Werks: Er wirft mit dem schlichten Hinweis auf sein eigenes Buch … vor, daß er den Stand der exegetischen Forschung nicht kennt.

D: ein Wolf im Schafspelz?

„… und jeder psychische Mißklang im Inneren hinterläßt spürbar seine sozialen und politischen Folgen draußen“ (S. 273): Stellt D. hier die Kausalbeziehung auf den Kopf, um die andernfalls notwendige Schmerz- und Trauerarbeit zu umgehen?

„… statt weiterhin zerstörerisch an seiner Exklusivität zu hängen“ (S. 275): Hier verwechselt D. die notwendige Entkonfessionalisierung des Christentums mit seinem Untergang in einem allgemeinen Religionsbrei. (Hat die extensive Analogiensammlung von Mythen und Märchen bei der Exegese nicht auch den Nebenzweck, den wirklichen Text zu verwischen, sich auf ihn im Detail dann nicht mehr einlassen zu müssen?)

Kann es sein, daß jeder „Fortschritt“ eigentlich nur eine andere Gestalt des schlechten Alten realisiert? Die Abschaffung der Sklaverei war erst möglich, als die Herrschaftsbeziehung (im kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnis) gesellschaftlich institutionalisiert (entpersonalisiert, objektiviert) und zugleich individuell verinnerlicht war; auch die Abschaffung der Todesstrafe hatte ihre Vergesellschaftung und Verinnerlichung zur Voraussetzung.

Ist etwa D.’s Rückgriff auf den archaischen Kannibalismus bei seinem Eucharistieverständnis exakt der Punkt der Remythisierung des Christentums, und zugleich der Bekenntnispunkt, an dem nur noch das non credo den Weg in ein versöhnungsfähiges (entkonfessionalisiertes) Christentum eröffnet? (S. 290ff) – Übrigens hier wieder der Eindruck wie schon in den SdB, daß D. strategisch geschickt Material beibringt, das u.a. den Nebeneffekt des Spurenverwischens hat.


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