18.06.90

D. nimmt Rationalisierungen unkritisch als Feststellungen objektiver Tatbestände, Schutzbehauptungen als reale Kausalbeschreibungen. Die Psychologisierung der Kriegsursachen ist Resultat der Verdrängung der materiellen Ursachen.

Erst vor dem Hintergrund der Erkenntnis der objektiven historischen Kriegsursachen (die nicht ubiquitär sind) wird auch der Sinn und das Gewicht ihrer psychologischen Verstärkung erkennbar: insbesondere der Komplex der Komplizenschaft, der dann z.B. auch die Funktion des Antisemitismus (als Überwindung des „inneren Schweinehundes“, als Instrument zur Ausschaltung des Gewissens) erkennbar macht. Hier würde auch die Kritik der Geschichte des Christentums eine ganz andere Bedeutung gewinnen.

D.’s Begriff der Eucharistie ist nur ein weiterer Hinweis darauf, daß dieses Sakrament heute (nach Auschwitz) ohne Reflexion seines barbarischen (kannibalischen) Aspekts nicht mehr nachvollziehbar ist. Aber: welche biblischen Hinweise muß D. verdrängen (vom „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ bis zur Forderung, vor dem Opfer mit dem „Bruder“ – und nicht im Opfer mit sich selbst und mit dem „Schicksal“ (S. 323) – sich zu versöhnen)? Nicht die „Versöhnung mit dem erlittenen Leid“ (die seitens des Täters die Forderung, das Opfer möge sich doch gefälligst damit abfinden, mit einschließt) sondern die Versöhnung des angetanen Leids (über die der Täter nichts vermag, außer durch Erinnerung, durchs Schuldbekenntnis) ist das einzige religiös noch zu begründende Ziel (vgl. S. 328); diese Grenze der Ethik aber ist innerhalb der Ethik, im Rahmen ethischer Argumentation, zu bestimmen, sobald man bereit ist, den Bann der reinen Innerlichkeit, der Psychologisierung zu sprengen und die Realität der Schuld (gegen ihre Verharmlosung zu bloßen „Schuldgefühlen“) sowie den Unterschied zwischen Tätern und Opfern wahrzunehmen und anzuerkennen.

Die Instrumentalisierung ist eine Folge der Ubiquität, der Abstraktion von der historischen Realität (oder der Umwandlung der realen Schuld in Schuldgefühle, Grundlage der denunziatorischen Selbstentlastung). So wird die Psa verinnerlicht, im schlechten Sinne psychologisch und schließlich selber mythisch. Das Vieldeutige des Mythos (seine Funktion im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang) zieht die Willkür an, gibt den Mythos frei zur beliebigen Verwendung (insbesondere zur Selbstrechtfertigung durch Schuldverschiebung).


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