18.10.92

Die Idee der Sündenvergebung wird verständlich nur im Kontext der Lehre von der Auferstehung; im Zusammenhang mit der Unsterblichkeitslehre bleibt das Böse unaufhebbar und kann nur zugedeckt werden.
Aufklärung des Geheimnisses: Zusammenhang mit der Genesis der Gemeinheit (Gemeinheit kein strafrechtlicher Tatbestand), Kritik der Öffentlichkeit (der Ontologie, der verandernden Kraft des Seins, des Begriffs und der Welt), Wiedergewinnung der benennenden Kraft der Sprache: Name ist nicht Schall und Rauch. Aufdecken der Blöße und Übernahme der Sünde der Welt, Im Angesicht und Hinter dem Rücken. Keine Wahrheit ohne die Lehre von der Auferstehung (Ethik als prima philosophia). Objektivation, Instrumentalisierung und Fall; Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang. Geheimnis als Positionsbestimmung der Wahrheit.
Es gibt keine Wahrheit ohne die Idee eines Gottes, der die Toten erweckt, ohne die Lehre von der Auferstehung und vom Jüngsten Gericht. Das wird heute deshalb so radikal und konsequent verdrängt, weil es uns so nah auf den Leib gerückt ist.
Der Vorwurf, daß die Intellektuellen heute zu den aktuellen Fragen nicht mehr sich äußern, jedenfalls nicht mehr in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten: kann er nicht auch darin begründet sein, daß die Medien heute reflektierte Äußerungen nicht mehr zulassen, fast grundsätzlich ausschließen. Die Institution der Öffentlichkeit selber hat sich dagegen immunisiert. Heute produzieren die Medien nur noch den Staub, von dem die Schlange sich nährt: Vorurteilsfutter. Antwort der beiden Verlage, die ich auf Neuflagen der Titel von Rosemary Radford Ruether und von Charlotte Klein angesprochen hatte: Es besteht keine Nachfrage.
Heideggers Hinweis, daß wir den Tod nur als den Tod der anderen erfahren, legt den Schluß nahe, daß im eigenen Tod nur die Gewalt des Andersseins erfahren wird. Die Heideggersche Konsequenz des Vorlaufens in den Tod entspricht der Empfehlung, aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen. Der Tod ist ein Teil der Welt; und mit der Weltkritik leisten wir ein Stück Vorarbeit zur Auferstehung der Toten. In diesen Kontext gehört das christliche Motiv der Schuldvergebung (nicht sieben-, sondern siebenundsiebzigmal), aber die wäre endlich auf eine Schuld zu beziehen, die die ganze Last der Vergangenheit mit einschließt.
Es gibt diese beiden Heute: Hodie, si vocem ejus audieritis, und Filius meus es tu, ego hodie genui te.
Über den Zusammenhang von Wissen, Natur und Welt: Philosophiekritik ist Schicksalskritik und damit Herrschaftskritik.
Den verlorenen Stämmen Israels entsprechen im Christentum die verlorenen Schafe.
Mit der Verdrängung der Vergangenheit, die abzulesen ist an der Geschichte der Verurteilung der Häresien, haben wir auch die Zukunft mit einbetoniert. Dies war die Geschichte des Bindens, auf die jetzt das Lösen folgen müßte. Mit der Konstituierung der Vorstellung einer homogenen Zeit (oder mit der Konstituierung des Inertialsystems) wurde die Zukunft in die Vergangenheit versenkt. Das drückt sich aus in der Erinnerung des Opfers (Tut dies zu meinem Gedächtnis).
Ist nicht die gesamte Theologie heute ein Aufdecken der Blöße des Vaters? Jesus ist die Verkörperung der vergangenen Hoffnung: Darin liegt die welthistorische Bedeutung des Kreuzestodes.


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