Läßt sich aus dem biblischen Schöpfungsbericht eine Theorie der Sprache entnehmen? Oder ist die Sprache der Schöpfung eine Frage, die immer noch auf unsere Antwort wartet?
– Himmel und Erde sind stumm erschaffen (ohne das Wort).
– Erst das Licht ist durchs imperative Wort geworden (Anfang der Schöpfung durchs Wort).
– Das Firmament, die Lichter am Himmelsgewölbe, wurden, nach der Ankündigung durchs Wort, gemacht,
– die großen Seetiere, die Fische und die Vögel, nach der Ankündigung durchs Wort, geschaffen (nicht vom Wasser hervorgebracht).
– Durch das imperative Wort wurde die Sammlung des Wassers an einem Ort veranlaßt.
– Durch den instrumentalen Imperativ wurde die Erde veranlaßt, die Pflanzen wachsen zu lassen, ebenso die Tiere hervorzubringen (Gott hat dann die Tiere gemacht, und Adam hat sie später benannt).
– Die Menschen wurden erschaffen (3 x „schuf“) nach dem Selbstgespräch Gottes („Laßt uns den Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“).
– Geschieden wurden (stumm, ohne ankündigendes Wort) Licht und Finsternis sowie (mit ankündigendem Wort und instrumental: durch das Firmament) die Wasser oberhalb und unterhalb des Firmaments.
– Benannt wurden Licht und Finsternis (nach der Trennung) als Tag und Nacht sowie das (die Wasser trennende) Firmament als Himmel (Zusammenhang von Scheiden und Be#nennen).
– Instrumentalisierung, Ermächtigung (und Delegation des Scheidens, Herrschens, Hervorbringens und Benennens): das Firmament (scheidet Wasser von Wasser), die Leuchten am Himmel (erleuchten den Tag und die Nacht und herrschen über die Zeiten), die Erde (läßt Pflanzen wachsen, bringt Tiere hervor), der Mensch (herrscht über die geschaffene Welt, benennt die Tiere). Zusammenhang von Instrumentalisierung und Benennung?
– Zu unterscheiden sind:
. das hervorbringende Wort (Licht)
. das imperative Wort (an das Wasser: Sammlung an einem Ort, an die Erde: Wachsen der Pflanzen, Hervorbringen der Tiere)
. das ankündigende (z.T. auch imperative, zweckbestimmte) Wort (das Firmament, die Leuchten, die Pflanzen, Fische, Vögel, Tiere)
. das reflexive Wort (die Menschen)
. das benennende Wort (Tag und Nacht, der Himmel)
. das segnende Wort (an die Fische, Vögel, Tiere und Menschen: „Seid fruchtbar und vermehret euch …“)
– Gottes Wort wird unmittelbar repräsentiert
. als das schaffende Wort durch das Licht,
. als benennendes Wort durch den Tag und die Nacht sowie durch das Firmament (als Himmel) und schließlich
. durch den Segen (der sich an die Fische und Vögel, an die Menschen und an den siebten Tag richtet: die Reproduktion und Ausbreitung des Lebens: das „Seid fruchtbar und vermehrt euch“).
Beim Segen für die Menschen sprach er erstmals „zu ihnen“ (im Plural, nämlich zu Mann und Frau).
Wer spricht wann zu wem im zweiten Schöpfungsbericht? Hier kommen
– nach lauter stummen Tätigkeiten:
. noch keine Feldsträucher, -pflanzen, aber Feuchtigkeit stieg aus der Erde auf und tränkte den … Acker;
. Gott formte den Menschen und blies ihm den Odem ein;
. legte in Eden einen Garten an und setzte dorthin den Menschen (wie vorher die Leuchten an das Himmelsgewölbe);
. ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen, in der Mitte den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse;
. ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; teilt sich in vier Hauptflüsse;
. Zweck: daß der Mensch den Garten bebaue und hüte;
– als erstes Wort das Gebot Gottes an die Menschen („von allem Bäumen …“, mit der direkten Ansprache: „Du“),
– dann erst spricht er (Monolog: „es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei“);
– danach benennt Adam die Tiere (die Gott dem Menschen zuführt),
– dann – nach einem „tiefen Schlaf“ und nach der Trennung von Mann und Frau – spricht erstmals der Mensch (Monolog: „Das endlich ist …“).
– „Beide, Adam und seine Frau, waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.“
– Der erste Dialog (Dialog der Verführung, des Betrugsvorwurfs gegen Gott) ist der zwischen der Schlange und der Frau, während die Interaktion der Frau „mit ihrem Mann“ noch stumm ist.
– „Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren. … versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott … unter den Bäumen des Gartens.“
– Gott ruft Adam, Adam meldet sich, antwortet; Dialog Gottes mit der Frau;
– Gott verflucht die Schlange, die Frau und Adam, sowie im Wort an Adam den Acker.
– Adam benennt seine Frau (Eva, Mutter aller Lebendigen).
– Abschlußmonolog Gottes, Vertreibung aus dem Paradies und Aufstellung der Kerube „mit dem lodernden Flammenschwert“.
– Adam erkennt Eva, seine Frau.
Was war das Wort Gottes ohne den Menschen? Ist nicht in dem (noch unentfalteten, gleichsam embryonalen) sprachlichen Element des Schöpfungsberichts der Adressat dieser Sprache mitgesetzt? Wer ist dieser Adressat? Gibt es ein Hören und Verstehen des Geschaffenen schon vor der Erschaffung des Menschen, oder ist die Schöpfung ein ins Leere, in der Erwartung, daß der Mensch sie einmal vernehmen und begreifen wird, gesprochenes Wort? Ist die objektive Sprache das Element, in dem die Schöpfung bis hin zum Menschen sich entfaltet?
Zum Inertialsystem: die Erhaltungssätze ergeben sich zwangsläufig aus den Orthogonalitätsbedingungen des Systems (nach der Übertragung und Erweiterung der räumlich-metrischen Strukturbestimmungen aufs Inertialsystem: auf die Zeit und die Materie, die „träge Masse“).
Die Reflexion des Herrschaftsmoments im Inertialsystem ist nur möglich, wenn sich das Inertialsystem als etwas Abgeleitetes bestimmen läßt (Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit). Die Kommunikationstheorie, die (nach der falschen Versöhnung mit der Natur) die Versöhnung durch den Konsens ersetzte, verdrängt das Schuld- und Herrschaftsmoment in der Erkenntnis.
Gründet die Sexualmoral im Verbot des Mißbrauchs des Segens? Hängt hiermit die Selbstverfluchung in der Geschichte der petrinischen Verleugnungen zusammen?
Wer den „inneren Schweinehund“ (sc. das Gewissen oder die Gottesfurcht) in sich besiegt hat, hat seitdem Angst vor der „Nestbeschmutzung“ („die Juden haben das Gewissen erfunden“: die Gottesfurcht).
Die private Existenz ist die vergesellschaftete, verdinglichte Gestalt des Lebens „im Angesicht“, seine Geschichte ist mit der des Christentums (und mit der der christlichen Sexualmoral, der Privatisierung der politischen Moral) untrennbar verbunden. Die christliche Sexualmoral gehört in den Kontext der verwalteten Lehre und des verwalteten Segens (der verwalteten Gnade: der christlichen Opfertheologie). Grund ist die Verwechslung der Schöpfung mit der Welt (die dann am Ende die schöpferische Potenz blasphemisch naturalisiert; sie ist vorbezeichnet im trinitätstheologischen Begriff der Zeugung, der den der Versöhnung neutralisiert, indem er ihn naturalisiert).
Zwei Zitierweisen: Neben dem autoritären Zitat, das den Zitierenden der Begründung enthebt, gibt es das Einsichtzitat, in dem die Begründungspflicht fortbesteht, der Zitierende nur die Formulierungshilfe eines anderen in Anspruch nimmt (Verhältnis von Einsicht und Begründung: Problem des Erkenntnisbegriffs).
Die Geschichte der Dogmenentwicklung ist die Geschichte der Identifikation mit dem Aggressor.
Kant hat mit seinem Begriff der „kopernikanischen Wendung“ etwas sehr Wichtiges bezeich#net: Das Inertialsystem und die naturwissenschaftliche Aufklärung übernimmt von dem Herrschaftsauftrag an die Sonne das Herrschen über die Zeit, von dem an den Mond das Erleuchten der Nacht (Bedeutung der Astronomie für die Geschichte der Aufklärung).
Die Welt ist der Inbegriff der Urteile der anderen (des Auslands, der Geschichte, der Wissenschaft), die nur deshalb meine Zustimmung fordern, weil ich selbst für andere ein anderer bin (der ohnmächtig-wütende Protest des Ausländerfeinde gründet in diesem Konzept).
19.01.92
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