Die aristotelische Metaphysik ist von der aristotelischen Körperphysik nicht zu trennen, zu der u.a. auch die Lehre vom natürlichen Ort gehört, die dann durch die noesis noeseos, durch das Denken des Denkens, das (über das teleologische Element darin) eins ist mit dem ersten Beweger, direkt in die Metaphysik einmündet. Mit der Kritik und Auflösung der Zweckursachen, mit der Subjektivierung der Teleologie und d.h. mit der Etablierung des Inertialsystems verliert die aristotelische Metaphysik ihre Basis. Das ist vermittelt durch die Theologie, durch die Einführung des Schöpfungsbegriffs in die aristotelische Metaphysik (in die er nicht hineinpaßt). Durch die Idee einer creatio ex nihilo gewinnt zwar der aristotelische Gott Schöpferkraft, gewinnt er seine besondere Art von Allmacht, die ihn dann allerdings (durch die genau hier logisch erzwungene nominalistische Revolution) gleichsam von innen aushöhlt, als Hypostase des Staates erkennbar macht. Nicht Gott, sondern der Staat ist „Schöpfer“ der Welt; und die creation ex nihilo ist ein Deckbegriff der unbegriffenen ökonomischen Funktion des Staates.
Quellpunkte des Systems sind:
– die Geldwirtschaft,
– dann der (aus der Verbindung der philosophischen Gotteslehre mit der theologischen Schöpfungsidee entspringende) theologische Bekenntnisbegriff,
– und am Ende das Inertialsystem (mit dem daraus entspringenden christologischen Naturbegriff).
Die Etablierung des Inertialsystems ist von ähnlicher geschichtsphilosophischer Relevanz und Bedeutung wie der kirchliche Dogmatisierungsprozeß, mit dem sie genetisch, strukturell und logisch zusammenhängt.
Die fürs Inertialsystem konstitutive (systembildende) Beziehung zur Vergangenheit hat ihr Modell und ihr Vorbild in der Beziehung zur Vergangenheit, die bereits den Prozeß der Dogmenbildung bestimmt. Die „Überwindung“ der Vergangenheit (der vergangenen Gestalten der Religion oder der Erkenntnis) ist in beiden Fällen erkauft mit der unkenntnlich gemachten Wiederkehr des Verdrängten.
Das newtonsche Gravitationsgesetz und seine Optik gehören zum Inertialsystem als Stabilisatoren (als Wächter des Orthogonalitätsprinzips) dazu.
„Oh Haupt voll Blut und Wunden …“: das tiefste Symbol des Inertialsystems (eigentlich insgesamt die Passionsgeschichte: mit dem „Warum schlägst du mich?“, der Königsparodie und der Dornenkrone, aber auch unter Einschluß des Unschulds-Händewaschens des Pilatus).
Der Satz Adornos „Ideologie ist Rechtfertigung“ ist im strengen Sinne christologisch, bringt die „Sünde der Welt“ auf den heutigen Erkenntnisstand.
„Wenn die Welt euch haßt …“ Das heißt doch auch: der Haß, den ihr verspüren werdet, wird so subjektlos sein wie die Welt; das ist der Hintergrund und die Grundlage für das Wort am Kreuz: „… denn sie wissen nicht, was sie tun“. Und dieses Wort scheint heute zum Wesen und zu Signatur der Welt insgesamt zu werden: Wer weiß noch, was er tut? Vgl. hierzu auch das Ende des Buches Jona. Heute verstricken sich alle in Schuld, die es immer noch nicht wissen und sich wohl dabei fühlen. Nochmal: „Wenn die Welt euch haßt …“ Aber wenn der Geist kommt, wird er das Antlitz der Erde erneuern, das hinter diesem Haß der Welt nicht mehr zu erkennen ist.
Drei Bemerkungen zur Kritik der Naturwissenschaft:
– Das Inertialsystem ist das Referenzsystem aller naturwissenschaftlichen Erscheinungen, Begriffe und Gesetze;
– es konstituiert sich durchs Relativitätsprinzip, durch das Gedankenexperiment, das die Orthogonalität aller Strukturen im Inertialsystem (bis hin zur „Trennung“ von Raum, Zeit und Materie); dazu gehören die Formulierung des Gravitationsgesetzes (die Identität von träger und schwerer Masse) und der Grundlagen der Optik (Feststellung der endlichen Lichtgeschwindigkeit);
– mit der Etablierung des Inertialsystems ist die Herrschaftslogik mitgesetzt, als Logik des Zusammenhangs von Objektivation und Instrumentalisierung.
Rosenzweigs Bemerkung zu Schopenhauer und Nietzsche, daß sie als erste die Welt nach ihrem Wert für sie (für Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche) beurteilen, bezeichnet den Punkt, an dem erstmals die Sünde der Welt in die Philosphie hereinragt.
Der Konsensbegriff und die Kommunikationstheorie übersehen, daß die Logik – nach dem Hegelschen Nachweis – ohne ein dezisionistisches Moment nicht zu halten ist; eben deshalb bedarf die Hegelsche Rechtsphilosophie eines Souveräns und seiner Legitimierung durch Geburt. Es gibt in der Tat keine Wahrheit ohne die Idee der Versöhnung.
Bis heute hat die Kirche ihre Hähne immer rechtzeitig geschlachtet.
Ohne Metaphorik verliert die Sprache ihre benennende Kraft; aber die Metaphorik lebt von der Logik der Umkehr. Sie verhält sich zur Identitätslogik wie die Begründung zur Kausalität. Ohne Metaphorik verliert die Sprache mit der benennenden auch die begründende Kraft („Traum der Menschheit, sich von einem Punkt des Raumes zu einem anderen Punkt des Raumes zu bewegen“).
Weltbegriff: historisch, logisch und theologisch.
19.05.92
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