Das Geld ist insgesamt nur der Ausdruck einer Schuld- und Herrschaftsbeziehung; es gibt keinen Reichtum ohne Armut, die ihm zugrundeliegt und über die er sich reproduziert und erhält, und ohne die Herrschaft über die Arbeit der Armen. Die Theorie vom Ursprung des Geldes in der Schuldknechtschaft ist plausibel und begründet; sie drückt mehr vom Wesen des Geldes aus als das Tauschprinzip (dem die scheinhafte Vorstellung sich verdankt, eine gerechte Gesellschaft ließe sich durch bloße Umverteilung des Reichtums errichten).
Daß im Zeitalter des Antichrist die Söhne gegen die Väter sich wenden, hängt mit der Änderung der materiellen Lebensbedingungen zusammen: deren Konstruktion hat zur Folge, daß das Realitätsprinzip selber: die Selbsterhaltung und die Wahrnehmung der eigenen Interessen die Lebensgrundlagen der nachfolgenden Generationen zerstört. Der Generationenkonflikt hat seine sehr präzise bestimmbaren materiellen Ursachen.
Seht, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe: Aber heute sind auch die Wölfe domestiziert; und wer ist der Herr, der sie domestiziert?
Die kirchliche Verurteilung der Abtreibung (die letzte Gestalt des kirchlichen instrumentellen Gebrauchs des moralischen Urteils) übersieht, daß wir in einer Gesellschaft leben, in der es fast schon ein Verbrechen ist, überhaupt noch Kinder in die Welt zu setzen.
Die Kirche scheint heute (aus Verzweiflung) ihre Aufgabe nicht mehr im Hüten der Schafe, sondern in der Domestikation der Wölfe zu sehen (etwas ähnliches scheint Heideggers Begriff vom Hirten des Seins zu bedeuten). Aber so wird sie selber hündisch (Mt 76, 1526; Phl 32; Off 2215).
Adornos Bemerkung „Heute ist schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal“ trifft den Sachverhalt von der verkehrten Seite: Nicht daß sie so schlau sind, ist ihnen anzukreiden, sondern daß sie die Arglosigkeit verdrängen, verleugnen, diskriminieren: daß sie das Nachfolge-Gebot nicht mehr kennen. Oder anders ausgedrückt: Heute hat die Leugnung auch den einfachen Gläubigen schon ergriffen (Beginn der Selbstverfluchung). Die Kirche selbst erzwingt erstmals diese Leugnung, weil sie die Schuld alleine nicht mehr erträgt. Das ist die Stunde der Laien-Theologie.
Das Objekt des „et ne nos inducas in tentationem“ ist die Privatisierung der Religion, die verkennt, daß die Privatsphäre nur noch ein Anhängsel der Maschinerie ist, die aufgrund der Privatisierung der Religion nicht mehr wahrgenommen werden kann: hinter dem Vorhang verschwindet; und daß diese Privatsphäre mit dem durch die Gewalt der Maschinerie unwiderstehlich fortschreitenden Objektivationsprozeß selber verändert wird.
Lenins gelegentlicher Hinweis auf die Bedeutung von Elektrizität und Sozialismus verweist genau auf den kritischen Punkt: Die Elektrizität ist das Instrument, mit dem die Ausbeutung ins Unsichtbare verschoben wird; sie erweist sich so als das technische Korrelat des Kolonialismus. (Läuft die Entdeckung und technische Nutzung der Elektrizität parallel mit der Einführung der Girokonten?)
Die biblische „Hurerei“ verweist auf den (politisch-gesellschaftlichen) Zusammenhang von Empörungs- und Unterwerfungslust (von Hoffart und Niedertracht). Die befreite Lust ist etwas anderes.
Wer sind die Vögel des Himmels: gehören auch die Tauben dazu? oder sind es nur die Raubvögel? Wie steht es mit den Singvögeln?
Der Fehler der Gnosis liegt darin, daß sie das konstitutive Moment der Subjektivität im Demiurgen leugnet, den in der Subjektivität gründenden Schuldzusammenhang auf den Demiurgen (und im Subjekt auf den Leib und die Sexualität) verschiebt, damit die Gnosis zu einer Exkulpationstheorie macht (Demiurg als Sündenbock: Entsühnung durch Gnosis). Die Gegenposition zur Lehre vom Demiurgen ist in der Tat die christliche Lehre von der Übernahme der Schuld der Welt, das Nachfolge-Gebot. Die Gnosis ist der Inbegriff der Leugnung der Nachfolge, nur daß die Lösung, die die christliche Tradition dann im Dogmatisierungsprozeß glaubte gefunden zu haben, eine Kompromißbildung war, die auf andere Weise dann am Ende zu einem fürchterlichen Instrument der Exkulpierung, der Gnosis, geworden ist.
Es gibt eine erpresserische Ohnmacht, genauer: eine selbstinduzierte erpresserische Ohnmacht. Eine Ohnmacht, die der Liebe des anderen nicht glaubt, weil sie sich ungeliebt fühlt; die aber glaubt, diese fehlende Liebe durch den demonstrativen Ohnmachtsgestus erzwingen zu können.
19.08.91
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