19.10.89

Die Oberen waren seit je Newcomer; eben deshalb brauchten sie immer schon eine historisch-genealogische Legitimation. Die ersten Reichen waren Neureiche, und die Kultur ist erst ein späterer legitimatorischer Luxus (den übrigens die Deutschen nach ihrer allgemeinen Nobilitierung durch die Nazis erneut benötigten; deshalb der Selbstbestätigungszwang durch die Projektionsfolie der „kulturlosen Untermenschen“).

Herrendenken ist nicht nur Herrendenken: Eher die Übertragung der schlechten Erfahrungen, die die Unteren seit je mit den Oberen gemacht haben, auf die neue Position, wenn sie nach oben kamen. Herrendenken will, was einem selbst als Unterlegener widerfahren ist, partout an andere, die unter einem sind, weitergeben. Herrendenken ist Hoffart und Niedertracht in einem.

Die ersten Herren sind es durch Mimesis an die Natur, deren Herrschaft sie durch List an sich gebracht haben, geworden. Und die Barbarei ist eigentlich Mimesis an die (herrschende) subjektlose Natur, an den finsteren Naturgrund von Herrschaft. Die Geschichte der Herrschaft bildet dementsprechend nicht nur aufgrund ihrer („transzendentalen“) Bindung ans beherrschte Naturobjekt, sondern zugleich durch diese Mimesis hindurch die gleiche Natur ab, in der sie sich hoffnungslos verfängt – bis hin zu dem Punkt, an dem Natur (vielleicht?) einmal sich selbst durchsichtig wird. Herrschaft und Naturerkenntnis sind Teil des naturgeschichtlichen Prozesses, aus dem sie bis heute nicht herausführen. Und der heutige Atheismus ist eine Funktion des Standes der von Politik und Wissenschaft determinierten Identität von Herrendenken und Naturerkenntnis. Immanenz und Transzendenz (Transzendenz nicht nur im Sinne von Überschreiten, sondern in erster Linie als Umkehr und Auflösung) beziehen sich auf dieses praktisch-theoretische Kontinuum.


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