19.11.92

In Hegels Philosophie vereinigt sich die Klugheit der Schlange mit der Geschichte der drei Leugnungen. Ihr fehlt einzig die Arglosigkeit, um wahr zu sein.
Hans-Jochen Vogel übersieht, daß Engholm und Rau nur die Konsequenzen aus seinem eigenen politischen Konzept, das auch keins war und nur bis zur Häme reichte, ziehen: sie ziehen den Schmusekurs vor. Sie möchten eine Art der Versöhnung, ein Glück im Winkel, eine Politik des allseitigen Wohlgefallens. Aber so produzieren sie selber die Schallmauern, in die sie eingesperrt sind, und die eigentlich Gummiwände sind, deren Ausdehnung die CDU seit je so bestimmt hat, so daß die Drecksarbeit von der SPD (als „Ehrensache“) übernommen wurde. Die SPD hat als ehrlicher Heizer immer dann Feuer nachgelegt, wenn der konservative Zug in Gefahr geriet, ins Stocken zu geraten.
Mit der Diffamierung der Kritik an den Godesberger Beschlüssen, sie sei „bösartig“, appelliert Engholm an das Bild des unschuldigen Opfers, in dem er sich gern präsentieren möchte. Dieses Bild mag die Grundlage von (allerdings nicht unbedenklichen) Erlösungskonzepten sein, es ist keine Grundlage für eine eigene inhaltliche Politik. Mit der Geste des Beleidigtseins kann man sich in der Familienbande gegenseitig erpressen, aber man sollte dieses Spielchen aus der Politik heraushalten: Es liegt zu nahe an der Paranoia (die nach der Barschel-Affäre vielleicht in der Tat eine Gefahr Engholms ist); und Verschwörungstheorien sind dann nicht fern.
Das Bild vom Zug, der auf einen Abgrund zurast, wird immer deutlicher. Die, die heute skandieren: „Wir sind doitsch, wir sind doitsch“, antizipieren den Jubel über den Urknall, der in Wahrheit ein Endknall ist (wie die ganze Physik im Entscheidenden die Zeitrichtungen verwechselt, und die Korrektur dieser Verwechslung durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit bis heute nicht begreift), und der der besorgten Heideggerschen Frage: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts“, einmal die empirische Grundlage zu verschaffen in der Lage wäre. Es fragt sich dann nur: für wen? Denn man mag es wenden wie man will: Die Selbstzerstörung der Welt wird keine Zuschauer haben (hier endet das Unbeteiligtsein des Zuschauers); aber vielleicht ist gerade das für die gewitzten Urheber (für die Politikerkaste und ihre Claqueure in den Medien und in Wissenschaft und Philosophie) der entscheidende Trost: Es wird keinen Kläger (kein Ausland, keine Geschichte, keine Welt, die dann noch ihr Urteil fällen könnte) mehr geben. So wird das letzte politische Verbrechen unwiderlegbar (und Auschwitz war nur die nicht ganz gelungene Generalprobe).
Die Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele korrespondiert der Vorstellung von der Ewigkeit der Materie; sie ist insoweit eine Gespensterlehre, und der christliche Himmel, das Jenseits über den Wolken, ist nie einer gewesen.
Das Eingedenken ist etwas anderes als der seis positive, seis negative Totenkult (die Mausoleen des real existierenden Sozialismus oder das Schänden der Gräber durch die Rechten).
Die Wehen und die Schmerzen der Geburt, die im Fluch über Eva genannt werden, beziehen sich auf den an die Schlange gerichteten Fluch: „Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinen Nachwuchs und ihren Nachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.“ Dieser Zusammenhang scheint dem zu korrespondieren, der zwischen der Schlange und Adam im Bilde des Staubs benannt wird.
Robert von Ranke-Graves weist gelegentlich darauf hin (Die weisse Göttin, S. 417ff), daß der Fisch ein Realsymbol der Auferstehung sei. Das könnte ein Licht darauf werfen, daß neben Himmel und Erde und dem Menschen nur die großen Seeungeheuer, die Fische und die Vögel im strengen Sinne erschaffen sind. Mit der Schöpfung ist auch die Auferstehung erschaffen; das trennt die Schöpfung von der Natur (der Fisch als realsymbolische Präsenz des Rätsels der Auferstehung).
Ist nicht die Vorstellung, daß die Welt im Bilde der Natur die Menschen überlebt, ein Stück patriarchalische Paranoia? Ein Stück jener Paranoia, die mit dem Objektbegriff und mit der monadologischen Isolationshaft, in die sich das patriarchalische Denken selber versetzt, essentiell verknüpft ist.
Der Weltbegriff leugnet die Schöpfung: das bereschit, den Anfang und den Himmel und die Erde; der Natubegriff leugnet die Auferstehung: den fünften Schöpfungstag.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie