Empörung macht gemein (macht den Reflexionsfähigen zum Sympathisanten des Feindes, des Objekts, damit selber zum potentiellen Feind und Objekt) und verstellt den Blick. Dem Empörten verschlägt’s die Sprache. Wut, die innehält und der Selbstreflektion Raum gibt, findet die Sprache wieder, wird zum Zorn. Der Bekenntniszwang raubt die Sprache (substitutiert sie durch Sprachersatz), gibt der Empörung das (pathologisch) gute Gewissen. Endpunkt der babylonischen Sprachverwirrung (Petrus schreibt aus Babylon – 1 Petr.). Das Ich im „Cogito ergo sum“ ist nicht das individuelle des Rene Descartes, sondern das kollektive des Idealismus. Unter Folter sagt der Angeklagte, was der Ankläger/Ermittler hören will (was in sein System paßt). Für die Naturwissenschaften ist das Freund-Feind-Denken ein erkenntnistheoretisches (transzendentallogisches) Apriori; Resultat des Objektivationsprozesses ist die Unterwerfung eines Feindes (und der Erkenntnisprozeß selber trägt paranoide Züge: die Hypostasierung der Natur ist das Ergebnis einer Verschwörungstheorie und der Grund ihrer selbstzerstörerischen Konsequenzen; er wird stabilisiert durch Identifikation mit dem Aggressor: Genese des transzendentalen Subjekts). Gefängnisse als Installationen zur Reproduktion des Klimas der „zweiten Schuld“: Was in den Gefängnissen passiert, wird ebenso wahrgenommen und verdrängt zugleich wie die Kenntnisse von den KZ’s während der Nazizeit (und die der Verhältnisse in der DDR bis vor einem Jahr – jeder weiß, was los ist, und alle blicken weg). Das pathologisch gute Gewissen wächst auf beiden Seiten (seitdem es keine angemessene Beziehung der Strafe zur Tat mehr gibt). Keiner hat die Chance, die doppelte Schuld (die der Tat wie die der Bestrafung) wirklich aufzuarbeiten. – Alle Probleme des Einigungsprozesses werden unlösbar wegen ihres Zusammenhangs mit der zweiten Schuld und der Verblendung.
19.12.90
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