19.6.96

Am Ende des Jakobusbriefes heißt es: „Wer einen Sünder von seinem Weg des Irrtums bekehrt, der wird seine <eigne> Seele vom Tode retten …“ – Geht es hier (bei einem Sünder, der auf dem Wege des Irrtums sich befindet) nicht um das Problem der Sünde ohne Schuld? Entspricht das nicht dem Ochs-Esel-Problem, das auch auf das der Sünde ohne Schuld verweist (auf Joh 129)? Gibt es nicht einen Zustand, in dem die Sünde des einen die Schuld des andern ist? Und war das nicht schon das Problem des Ezechiel, auf das das „dixi et salvavi animam meam“ verweist? Und ist nicht der Jakobus-Satz eine Verschärfung, eine Zuspitzung des ezechielischen Satzes, nach dem es nicht mehr genügt, es nur gesagt zu haben? Der Fehler des Rechts, den allein die Theologie zu beheben vermag, liegt darin, daß es Sünde und Schuld in eine Kausalbeziehung rückt, indem es den Sünder zum Schuldigen macht (ihr laßt den Armen schuldig werden). Diese Kausalbeziehung ist es, die die erschreckende Verdrängungsleistung nach sich zieht, die den ganzen Bereich der Terrorismusbekämpfung charakterisiert.
Sprengt nicht die Trennung von Sünde und Schuld den Personbegriff? Und gründet nicht in der Tat die Bedeutung, die der Personbegriff in der modernen Philosophie und Theologie gewonnen hat, einzig in der Nützlichkeit dieses Begriffs: in seinem Wert für die Funktion und Verschleierung des Schuldverschubsystems, für die Maschinerie der projektiven Schuldverarbeitung. Person, das ist der Andere für mich, durch dessen Verurteilung ich mich entlaste. Der Personbegriff gründet in einer Konstellation, in der es nur noch Richter und Beschuldigte gibt, keine Verteidiger, sein Korrelat ist die gnadenlose Welt. Insoweit gehört der Personbegriff gleichursprünglich zum Welt- und Naturbegriff. In einer befreiten Gesellschaft ist die Identität der Person (die die Identität der Maske, des Rosenzweigschen „Hintertückischen“ ist) nicht mehr zu halten.
Juristische Personen unterscheiden sich von realen Personen dadurch, daß sie mit dem Ende ihres Bestehens sich auflösen. Modell der Beziehungen zwischen juristischen Personen sind Mutter-Tochter-Beziehungen, die, im Gegensatz zur Vater-Sohn-Beziehung, die gegenseitige Haftung ausschließen. Firmen haben mit Frauen, Kindern und Sklaven das gemeinsam, daß sie eigentlich nicht verantwortlich gehalten werden können: Sie sind nicht rechtsfähig.
Aber: Während eine Firma nur aufhört zu bestehen, geht ein Staat zugrunde, wenn er zu bestehen aufhört (die Mitarbeiter eines in Konkurs gegangenen Betriebs verlieren ihre materielle Existenz, das Volk eines zugrunde gegangenen Staates wird rechtlos).
Zum Jakobusbrief: Der Weg des Irrtums gründet in der Verhärtung des Herzens (der Stein, der bei der Vernichtung Babylons ins Meer geworfen wird).
Ist das Inertialsystem, dieser Reflex der Feste des Himmels im Subjekt, der Stein, der ins Meer geworfen wird?
Das Inertialsystem ist ein System, in dem die Form der Äquivalenzbeziehungen, die den Stoßprozeß determinieren, als vollständiges System (als Totalität) sich auskristallisiert.
Die Urteilsform macht Sätze reversibel (macht Erkenntnissätze instrumentalisierbar). Sie begründet die List der Vernunft.
Hängt die Differenz, die Rosenzweig im Stern der Erlösung zwischen dem Indischen und Chinesischen herausgearbeitet hat, mit der Differenz von Urteilsform und Bild zusammen, oder, mit Kant zu reden, mit der Differenz des „Ich denke“ zu „allen meinen Vorstellungen“?
Sind nicht alle „Kulturen“ Ruinenlandschaften, Denkmäler der Vergangenheit?
Redundanz: Ist nicht die contradictio in adiecto inzwischen zu einem Realitätsprinzip geworden? Hängt der Gebrauch des Namens „Republikaner“ durch faschistische Parteien damit zusammen, daß die res publica keine öffentliche Sache mehr ist? Heute kann man Brutus und Caesar nicht mehr unterscheiden.
Judas: Zu Sokrates gab es keinen Verräter, wohl zu Caesar: Ist das der Grund, weshalb der Caesarismus zu einem Modell der Christologie, und der Mord an Caesar, der den Sieg des Caesarismus begründet hat, zu einem Verständnismodell des Kreuzestodes geworden ist (und trotz Hegel nicht der Tod des Sokrates)?


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