19.7.96

Zu der Frage, die der Richter Klein in einer der letzten Sitzungen an sie gerichtet hatte, ob es die raf noch gebe, hat Birgit Hogefeld heute eine Erklärung abgegeben, in der sie u.a. die Frage mit einem Vorgang, den sie aus den Prozeßakten (und aus den Folgen, die er für sie und andere hatte) kennt, beantwortete: einer Realsatire, in der die Paranoia der Ermittlungsbehörden aufs genaueste (und irrsinnigste) sich bekundet. Während allerdings die Paranoia sonst nur die von ihr Befallenen beeinträchtigt, sind im Falle staatlicher Behörden andere die Opfer (in diesem Falle waren es die raf-Gefangenen). Läßt an der von Birgit Hogefeld öffentlich gemachten Geschichte nicht der paranoide Ursprung der Gemeinheit sich demonstrieren, die – insbesondere im Ermittlungsbereich und im Bereich des Strafvollzugs – vom Handeln des Rechtsstaats offensichtlich nicht zu trennen ist?
Gibt es (nicht nur in diesem Prozeß, der als Experimentierfeld der Konstruktion synthetischer Urteile apriori sich definieren ließe) nicht eine innere Beziehung der transzendentalen Logik zur Paranoia, der Kant nur durch die Reflexion eben dieser Logik hat entrinnen können? Gleicht nicht jede Art der Aufklärung (nicht nur die Arbeit der Ermittlungsbehörden) einem Vorgang, in dem es darum geht, einen zuvor bestehenden (quasiparanoiden) Anfangsverdacht auf die Möglichkeit seiner Verifizierung zu prüfen? Im Falle der Vorurteile entzündet sich dieser Verdacht an apriorisch ihm zugeordneten Objekten (Juden, Ausländer, Asylanten, Linke), gewinnt der Verdacht selber schon die Qualität des Beweises, der Unwiderlegbarkeit. Ein Instrument, an dem das Vorurteil sich erkennen läßt, ist das der Beweisumkehr, in der der Verdächtigte seine Unschuld, nicht der Ermittler (oder das Gericht) seine Schuld nachweisen muß. Im Falle der mörderischen (ausweglosen) Formen des Vorurteils (des Antisemitismus, des Hexenwahns) wird dieses Instrument durch Verdachts- und Schuldkonstruktionen perfektioniert, die keinen Ausweg mehr zulassen: durch Reflexionsformen des Verdachts, die im Falle der Widerlegung des einen Verdachts zwangsläufig in einen anderen, der nicht mehr sich widerlegen läßt, hineinführen.
Verunglimpfung: Gehört nicht die Paranoia zu den grundlegenden („heiligsten“) Gütern des Staates, an die man nicht rühren darf, zu den Gründen seiner Empfindlichkeit? Wie hängt die Paranoia mit der Urteilslogik zusammen (der Staat, der die Welt „erschaffen“ und die Natur begründet hat, ist die Gewalt, die Begriff und Objekt trennt, er ist das Substrat des „Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können“)? Wer den Staat „verunglimpft“, verunglimpft die Gewalt des Urteils.


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