Februar 1989

  • 11.02.89

    Trauer, Zorn, Verzweiflung: Umkehr = Glaube, Liebe, Hoffnung. Die Legitimation zu strafen ist durch die zweite Schuld, durch die Exkulpation der Urheber des absoluten Grauens, zerstört; Strafe ist wieder zur Rache, zur Rechtfertigung des geregelten Auslebens von Gemeinheit geworden, und das Recht selbst zu einem Instrument der Rebarbarisierung. Vor allem in D., wo das Recht die Empathie untersagt, wo gegen „Sympathisanten“ ermittelt wird, wo die Forderung nach humanen Haftbedingungen Ermittlungen nach § 129a nach sich ziehen, wird Recht zu einem Mittel der Zersetzung von Humanität. Hintergrund, Ursache scheint – wie vor allem die Gewaltdiskussion nahelegt – der Stand der gesellschaftlichen Naturbeherrschung zu sein, die Gewalt, die hier institutionalisiert ist und durchs Recht abgesichert werden soll: Das Recht begründet das Äquivalent des naturwissenschaftlichen Trägheitsgesetzes in der Gesellschaft, ist der eigentliche Ursprung dessen, was in gesellschaftlichem Kontext der Natur „Masse“ heißt.

    „Allein den Betern kann es noch gelingen, …“ – Der Weg zum Handeln ist heute versperrt durch die Struktur der verwalteten Welt, die Praxis nur als instrumentalisierte Praxis innerhalb des Systems zuläßt; diese Praxis ändert nichts mehr.

  • 07.02.89

    Sorge ist Ausdruck der Anbetung des Seins, der „Entsprechung“, der „Hörigkeit“, schließlich der „Gelassenheit“ (gegenüber dem Sein, nicht gegenüber der Freiheit). Die Sorge sorgt sich um das Sein (Hirte des Seins – nicht zufällig der Anklang an das katholische Hirtenamt, das Heidegger für sich wohl im Hinblick auf den deutschen Faschismus angestrebt hatte), nicht um die Opfer des „Seins“; sie ist die ins System eingebaute Verhinderung jeglicher Empathie, in letzter Instanz die Selbstzerstörung des moralischen Subjekts, des Gewissens (sie ist der systemimmanente Repräsentant des Antisemitismus).

  • 06.02.89

    Schlüssel zur Fundamentalontologie: Sorge als paranoische Entmündigung ihres Objekts, bewußtloses Herrschaftsinstrument; Erniedrigung mit gutem Gewissen. Der sich Sorgende genießt das moralische Prestige der Angst, die er um den anderen hat. Sorge, Erhebung, Empörung. Die Sorge hat den, um den sie sich sorgt, nur insoweit vor Augen, als sie um den Eindruck, den er auf andere macht, sich sorgt. Schlüssel zur Fundamentalontologie: Das Sein sind „die Anderen“: als paranoide Projektion der Selbstverleugnung, als Inbegriff des nach außen projizierten Aggressors, der man selbst ist, für den die Verantwortung zu übernehmen man sich weigert. Das Sein eröffnet den Weg des pathologisch guten Gewissens.

  • 04.02.89

    Konkretismus heute: Vermischung von symbolischem Denken und Realismus; in die reale Umwelt-/Friedensbedrohung mischt sich trübe die undurchschaute gesellschaftlich-politische Bedrohung; undurchschaut, weil die Reflexion eine über den Stand des Fortlebens der unaufgearbeiteten faschistischen Vergangenheit wäre, die verhindert wird durch die Mechanismen der „zweiten Schuld“; das Schuldverschubsystem funktioniert hier so, daß die Selbstentlastung als Hysterie, als panikerzeugende Bedrohung durchs Objekt, die freilich nicht bloß irreal ist, wiederkehrt.

    Erkennbar wird dieses System daran, daß es wirksamen Widerstand gegen die zentralen Gefahren (z.B. der allgemeinen Demoralisierung, des folgenlosen Protests, des schnellen Vergessens) nicht gibt. Die BRD bleibt ein „Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten“, die Situation hat sich – trotz wachsenden Unbehagens an der Situation, das allerdings mehr an die Symptome als an die Ursachen sich anschließt – eher verschärft und zugespitzt.

    Die Vergangenheit ist in die Grundlagen unserer Existenz, in das Ich eines jeden verflochten und nicht mehr daraus zu entfernen. D.h. aber: Selbstverständigung ist – auch für die Nachgeborenen – ohne Erinnerung nicht möglich, wobei in dieser Erinnerung auch die Verdrängungen unserer Eltern und Großeltern mit aufzuarbeiten sind. Anders kann niemand mit sich selbst ins Reine kommen. Nicht Kollektivschuld, wohl aber – im genauesten Sinne – Erbschuld, die ohne Umkehr weiterwirkt, demoralisiert, den Zynismus und die Verblendung bewirkt, die heute auch noch die Aufgeklärtesten nicht mehr abschütteln können.

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