September 1989

  • 28.09.89

    Der Schock ist ins Zentrum der Konstruktion des heutigen Bewußtseins gerückt (vgl. Lyotard: „Heidegger und ‚die Juden’“; S. 44); Ursprung und Resultat ist insbesondere am Verhältnis zur Natur, an der Industrie und an den modernen Naturwissenschaften abzulesen. Die Physik hat das konstitutive Vermögen des Geistes, die Fähigkeit, das Mannigfaltige begrifflich aufzuschlüsseln und zu verbinden, zersprengt; sie zeigt die Welt im Zustand dieses Schocks. Die Blindheit, die Verblendung, die geblieben ist, zieht alle ihre Kraft daraus, daß sie den Geist durch eine Zone der Angst und des Schreckens vom Bewußtsein trennt; die Folge ist eine Anästhesie, die heute selbst auf die Träume zurückwirkt, sie vom Bewußtsein fernhält, ins Unbewußte verdrängt. -Rs. setzt diesen Schock (den er allerdings zugleich so präpariert, daß er auf eine Weise verständlich zu werden scheint, die seine Wirkung aufhebt, d.h. ihn unverständlich macht) an den Anfang seiner Philosophie: als Gegenstände des Nichtwissens.

  • 18.09.88

    Philosophie und Gebet: Das Gebet ist das einzige Korrektiv gegen das Vorurteil (Henri Bremond, korrigiert durch den letzten Satz des „Geist der Utopie“).

  • 16.09.89

    Sünde wider den Heiligen Geist oder theologische Erkenntniskritik: Die Welt als Inbegriff der Objektivität (der ersten und zweiten Natur) ist zugleich Inbegriff der gefallenen Natur. Die den Weltbegriff begründende Subjekt-Objekt-Beziehung hat selbst ihren Grund und ihr Modell in der Freund-Feind-Beziehung; sie orientiert sich an der Beziehung von Sieg und Niederlage und schließt die Idee der Versöhnung im striktesten Sinne aus. Die so strukturierte Welt aber begründet damit den Zwang zur Identifikation mit dem Sieger (mit den Überlebenden: daher die Verdrängung des Todes, der Zwang zur Erkenntnis des Alls im Sinne der Kritik F.R.’s: dieses All ist das objektivierte, unterworfene Universum); diese Welt ist, solange nicht Kritik ihr Konzept relativiert und Umkehr ebenso wie als theologisch-moralische auch als erkenntnistheoretische Kategorie begriffen und wirksam wird, Ursprung jeglichen Fanatismus, des religiösen wie des politischen, des Konfessionalismus (Fundamentalismus) wie des Nationalismus (als identitätsstiftende Instanz, gleichsam als transzendentales Subjekt). Das Identitätsprinzip (das auch das theologische Dogma beherrscht) führt direkt ins Freund-Feind-Denken hinein, es ist ohne Verdrängung nicht zu halten.

    Die Siege der Kirche und deren Produkte: die Orthodoxie und der Triumphalismus, sind ihre Niederlagen.

  • 13.09.89

    Theorie und Praxis oder der „faustische Mensch“: Goethes Hinweis auf den Teufelspakt war als Beunruhigung gedacht, nicht als Rechtfertigung; diese führt direkt in den Faschismus. Die Probleme der Deutschen mit ihrem Faust haben ihren Grund in den gleichen Verdrängungs- und Verleugnungsmechanismen, die seit den Ursprüngen des Faschismus bis hin zur „zweiten Schuld“ das deutsche Gemüt beherrschen. (Naturwissenschaft und Kapitalismus repräsentieren den „Sündenfall“, sind Produkte des Teufelspakts.)

  • 10.09.89

    Der Weg von der Theorie zur Praxis führt über die Theologie. (Vergleichbar dem Sachverhalt, den der Satz „Verstehen bedeutet nicht Verzeihen“ bezeichnet.) Benjamins Begriff der „göttlichen Gewalt“ bezeichnet genau den Punkt (Differenz zwischen revolutionärer und „göttlicher Gewalt“?).

  • 03.09.89

    Gibt es eine Stelle in der Schrift, an der Jesus Maria als Mutter anspricht? (Es gibt Stellen, die das Gegenteil belegen.)

  • 03.09.88

    Zusammenhang von Sexualangst, Frauenfeindschaft und Naherwartung: Könnte es nicht sein, daß der Ursprung darin zu suchen wäre, daß die Erwartung des nahen Gottesreiches, der endgültigen Erfüllung, die alle Seligkeit für Menschheit und Welt in sich schließt, in der (sexuellen) Lust eine Konkurrenz, eine falsche Vorwegnahme und damit die Gefahr einer Verzögerung, wenn nicht Verhinderung der Parusie sah? Sowohl die gnostische Verachtung der Materie als auch die Prävalenz der mönchischen Lebensform scheinen Reaktionen auf die Enttäuschung darüber, daß die Parusie auf sich warten ließ, zu sein (übrigens noch heute: deshalb erscheint es notwendig, diesen Gesichtspunkt mit einzubeziehen, damit die konkretistische Verfälschung der Apokalypse, die die Zeichen der wirklichen verdrängt, nicht alleine übrig bleibt).

    Die Verinnerlichung des Christentums, die Sexualangst und der Verzicht auf Kritik an der Welt (Politik und Gesellschaft) gehören zusammen.

    Luthers Rechtfertigungslehre ist nur verständlich vor dem Hintergrund seiner augustinischen Sexualitäts-/Lust-/Erbsündenlehre. Die concupiscentia und die „sündige Lust“ sind in der Tat nicht aufhebbar und nur durch Nichtansehung zu rechtfertigen.

  • 02.09.89

    Ebenso wie Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft ist auch der Antisemitismus nicht wirklich überwunden, sondern nur teilweise neutralisiert; er lebt fort auf eine weit gefährlichere Weise: als selbst- und weltzerstörerisches Potential. Der Schatten des Absoluten ist das einzige, was von der Religion geblieben ist.

    Was not tut, ist nicht die Religion, wohl aber ihr einziger Inhalt: das Gott-Suchen und das Verlangen nach Gerechtigkeit. Das aber ist ohne ein Zerbrechen der Institutionen, ohne radikale Entkonfessionalisierung des Christentums, ohne einen Kirchenbegriff, der durch Umkehr begründet wird und den Antisemitismus, die Ketzerausgrenzung und die Frauenfeindschaft (den Sexismus) ausschließt, nicht mehr möglich.

  • 01.09.89

    Antisemitismus, Ketzerverfolgung und Frauenfeindschaft: die Kehrseite der Trinitätslehre und der Inbegriff der Sünde wider den Heiligen Geist zugleich?

    – Antisemitismus: der Haß gegen die Vaterimago, gegen das Gewissen, oder die falsche Autonomie (der Schatten des Absoluten? – vgl. Lyotard: Heidegger und die Juden);

    – Ketzerverfolgung (Dogma, Bekenntnis, Inquisition; Jesus selbst ein Ketzer?: er erscheint nur als Objekt im Credo – „geboren, gekreuzigt, gestorben und begraben“): die kirchliche Usurpation des Gerichts, Entäußerung als Selbstentfremdung (Vernichtung des Inhalts), Religion als Blasphemie (Selbstzerstörung durchs richtende Urteil, Rezeption der Philosophie als „Empörung“, Rückfall in den Mythos aus Angst vor dem Mythos);

    – Frauenfeindschaft (Sexismus), Hexenverfolgung: Diskriminierung des Trostes, der Hilfe, der Empathie, des verteidigenden, Parakletischen Denkens (Rückfall in Magie aus Angst vor der Magie). – Besondere Affinität (Parallelität) der Geschichte des Dogmas zur Stabilisierung des Patriarchats und zur Diskriminierung der Frauen im Christentum?

    Trinitätslehre: an der Welt gespiegelte Theologie, solange gültig wie die Weltgeschichte (= Herrschaftsgeschichte), oder solange gültig wie die episkopale (= weltliche) Verfassung der Kirche? – Christus nur bis zum „Ende der Welt“ bei der Kirche (vgl. Rosenzweig, Briefe S. 73f). Trinitätslehre als notwendige Konsequenz der Subsumtion der Theologie unter die Vergangenheit, Vergangenheitsform der theologischen Wahrheit (Instrumentalisierung wie Naturwissenschaft; Christentum als Ausbildung einer Theologie des futurum perfectum).

    „Macht Euch die Erde untertan“: Es heißt nicht: macht Euch den Himmel untertan (das entscheidende Argument gegen das Dogma!) – Aber die unterworfene Erde ist zur Welt, zum Universum geworden und hat den Himmel zum Verschwinden gebracht (das Dogma als Reliquie des Himmels?).

    David-König (Messias)/Cäsar-Kaiser (Imperialismus): Ursprung der politischen Theologie. Seit wann ist Kyrios ein Gottesname?

    Disteln und Dornen/Dornbusch/Dornenkrone: vgl. den Dornbusch in der Jotam-Fabel (Königsfabel, Ri 9,8) und bei Deutero-Isaias: „Zypressen wachsen statt des Dornengestrüpps“ (Is 55,13).

    Ursprung der Schrift: Zusammenhang mit dem Ursprung der Städte (vgl. die Kainsgeschichte), der Geldwirtschaft, des Königtums? (Weltlich wird die Welt durch die Stadt als logisches und transzendentales Zentrum – als Inertialsystem.)

    Trier, Liebfrauenkirche: der Heilige Geist als Stuka (Ähnlichkeit mit der ästhetischen Form der unsäglichen Raketen-Madonna).

    „Mühselig“ (selig der Mühe: Entschuldung, Versöhnung durch Arbeit als zentrale Denkfigur der Herren-/Opfer-Theologie, vorauseilende Anpassung an Lohnarbeit und Kapitalismus? Arbeit und Erbschuld – vgl. armselig), „Misericordia“ (Barmherzigkeit, ein Herz für die Armen?):

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