Mai 1990

  • 31.05.90

    Zu Heidegger: Das Vorhandene ist das Zuhandene; beide sind nicht unmittelbar gegeben, sondern gesellschaftlich (oder transzendentallogisch, durch Herrschaft) vermittelt (das kantische Ich, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können, ist das Subjekt-Objekt von Herrschaft und der Repräsentant der Welt, des Realitätsprinzips; das Ich bin nicht ich). Beide stehen im Kontext (im Schuldzusammenhang) von Naturbeherrschung.

    Die (mehr den Leser als die Sache) erschöpfende Geschwätzigkeit Drewermanns, die unkonzentrierte Art zu schreiben, das punktuelle Reagieren auf Reize: das alles sind Symptome der Verdrängung oder Verleugnung. Zentral scheint hierbei die Verdrängung der realen Schuld zu sein (soweit sie rechtlich nicht dingfest zu machen ist): der „Schuldgefühle“, die therapeutisch aufzulösen seien. Ist das sein Befreiungsbegriff? Vgl. die Wendung „Erlösung (was immer das bedeuten mag)“ (Kleriker, ca. S. 90-100?). Bezeichnend, daß der Faschismus (ebenso die Vorgeschichte in Ketzerverfolgung, Inquisition, Antisemitismus, Hexenverfolgung) nur als Folie für den Schuldvorwurf gegen die Kirche, den Klerus, erscheint (vgl. u.a. S. 162f), nicht aber als Gegenstand der Reflexion, der „Gewissenserforschung“ (die D. vielleicht auch für veraltet hält). Insgesamt würde das einer Strategie der Befreiung durch Projektion (die Gefahr jeglicher Therapie) entsprechen, der technischen Handhabung eines Schuldverschubsystems, das die eigene Entlastung mit der Belastung der Außenwelt erkauft, gleichsam die Nachfolge Christi auf den Kopf stellt und glaubt, die Umkehr sich ersparen zu können. Diese Strategie wird mit Angst erkauft, für die er als Palliativ dann den lieben Gott braucht (Verwechslung von Schöpfung mit „Erzeugung“ der Materie). Das Resultat dieser Strategie wäre das pathologisch gute Gewissen (der Quellpunkt psychotischer Normalität; Drewermann weiß offensichtlich nicht, wovon er redet, wenn er dem Klerus eine „ontologische Verunsicherung“ nachsagt; er hätte vielleicht doch auch Sartres Beschreibung eines Antisemiten einmal lesen sollen). Auch Drewermann möchte (wie alle Kleriker heute) „normal“ sein (vgl. S. 170: „Die Künstlichkeit und Exemtheit gegenüber der Normalität …“).

    Das Unsystematische läßt sich mit Händen greifen in D.’s Kritik der Opfertheologie: Mit der Opfertheologie verwirft er auch die zentrale Lehre von der Übernahme der Schuld (des Abstiegs zur Hölle), den zentralen Punkt des Nachfolgegebots (auch hier würde er – Gesetz und Gebot verwechselnd, wie die gesamte Theologie, die den Offenbarungsbegriff verdrängt hat – vielleicht nur noch den „moralischen Zwang“ wahrnehmen, nicht aber mehr den theologischen Grund, den Kontext und Zusammenhang des Begriffs der Nachfolge).

    Der missionarische Eifer und die Ketzerverfolgung sind Symptome der Ich-Schwäche (die mit dem Herrendenken wie der Schatten mit dem Licht verbunden ist): Man glaubt seiner eigenen Überzeugung erst, wenn sie kollektiv abgesichert ist (der passive Glaube bedarf der Bestätigung durch den identischen Glauben der anderen, während der aktive Glaube seine eigene Rationalität entfaltet und der kollektiven Absicherung nicht bedarf). Vermittelt wird diese Absicherung durch die instrumentalisierte Orthodoxie des Dogmas, des durch Autorität definierten Bekenntnisses (und durch die Wut, die gegen alle sich richtet, die die Demuts- und Unterwerfungsgeste der Einstimmung ins kollektive Zwangsbekenntnis nicht mitvollziehen).

  • 30.05.90

    Die Adaptation der Psychoanalyse bietet Drewermann den Vorteil, daß er zwar seine Gegner unter Anklage setzen kann, aber den „moralischen Druck“ (den er bei Metz „tadelt“) dadurch vermeidet, daß er die Moral suspendiert. Er vergißt: Das Problem der Kirche heute sind nicht die Kleriker, sondern das Problem ist der Zustand der Theologie. Und auf den Zustand der Theologie ist eher eine theologische Antwort vonnöten als eine psychoanalytische.

    Die Psychoanalyse gehört wie der Marxismus zu den großen Endprodukten der europäischen Aufklärung, in denen der Primat des Verdachts sich durchsetzt; sie ziehen die Konsequenz aus dem Herrendenken der Aufklärung, gegen das sie ohnmächtig rebellieren. Herrendenken, und zwar oberlehrerhaftes, ist es, wenn Peter Eicher es Drewermann zubilligt, „Lob und Tadel“ verteilen zu müssen. Und wie tief er die psychoanalytische Schule des Verdachts verinnerlicht hat, sieht man an dem Vorwurf gegen Füssel, dem er vorhalten zu müssen scheint, daß er den Bruch mit der Kirche durch seine Konzeption selber provoziert habe(?).

    Drewermann unterschlägt die Tradition; er unterschlägt, daß zum Inhalt der theologischen Erkenntnis ein affektives und ein moralisches Element gehört. Bezeichnend die Verwendung des Freud-Zitats in der Struktur des Bösen. Während Freud anerkennt, daß das Geliebtwerden-Wollen des Ich ein Teil seiner Verflechtung in den Gesamtschuldzusammenhang ist und die psychoanalytische Erinnerungsarbeit als das Medium der Aufarbeitung dieser Verflechtung in den Schuldzusammenhang sieht (wo Es ist, soll Ich werden), hält Drewermann das Ich unkritisch als Ausgangspunkt fest und ersetzt die Erinnerungsarbeit durch einen theologischen Dezisionismus.

    Drewermann scheint die Differenz zwischen jüdisch-christlicher Offenbarungsreligion und dem Mythos nicht zu kennen (es finden sich sogar Anklänge an die diskriminierende Tradition des Gesetzesbegriffs). Diese Differenz, an der die Geschichte der Theologie seit den Kirchenvätern und über die Summa contra gentiles bis ins 17. Jahrhundert sich abgearbeitet hat, scheint er nicht zu kennen: Bei ihm versinkt auch das Christentum in den allgemeinen Religionsbrei, der für ihn als Psychoanalytiker, wenn er nicht die Krücke Jung benutzen würde, eigentlich nur noch Gegenstand der Kritik sein könnte. Einer Kritik, deren Modell in dem psychoanalytischen Psychosebegriff vorliegt.

    Es gibt bei der Lektüre Drewermann Stellen, die provozieren, Stellen, bei denen man innehalten sollte, um zu prüfen ob der Grund der Irritation nicht in einem selber liegt. Wirklich schlimm scheint mir aber die Analogie des lebenschaffenden Gotteshauchs mit einem Furz zu sein. Hier, scheint mir, liegt ein zentraler Punkt für eine Drewermann-Kritik: Wird hier nicht die vom Christentum nicht ablösbare Lehre vom Heiligen Geist weggedrückt, sozusagen wie ein F. ausgeschieden? Ist das Pneuma wirklich nur ein Furz, ist es nur ein flatus vocis, wie es die Nominalisten genannt haben, an deren Tradition Drewermann ohnmächtig und zwangshaft gebunden bleibt. (Dagegen Umkehr des flatus vocis zur Begriffskritik, zum Sprechen des Objekts, zur Namenlehre, die den erhabenen, zarten Indifferenzpunkt bezeichnet, an dem eine neubegründete Theologie anzusetzen hätte.)

    Die Anbindung an die wissenschaftliche Tradition kann zweierlei bedeuten:

    – die Anbindung an das Herrendenken, das in der Wissenschaft naiv und unreflektiert sich durchsetzt und verkörpert (als Mittel der Naturbeherrschung in Natur und Gesellschaft); genau hiergegen richtete sich die Dialektik der Aufklärung: als Aufweis der Verankerung des Herrendenkens in der Struktur des Subjekts, der notwendigen Verknüpfung mit dem blinden Fleck, zu dem das Subjekt dann wird und den es selber im historischen Erkenntnisprozeß verkörpert;

    – das Resultat dieser umwälzenden Arbeit des Herrendenkens (der kopernikanisch-kantischen Wende) wird akzeptiert, zur Kenntnis genommen, verarbeitet, aber in einer Form, in der der Begriff der Umkehr und das Gebot „Richtet nicht“ erkenntiskritische Relevanz gewinnen. Gegen das anklagende und richtende Herrendenken und sein Resultat wird Revision eingelegt: Begriff des parakletischen, verteidigenden Denkens. Über den Zusammenhang dieses Denkens mit der Idee des Heiligen Geistes, der dritten Person in der Gottheit, wäre nachzudenken. Hierbei wäre zu prüfen, ob nicht die Einbindung ins trinitarische Dogma, ob nicht das Abschlußhafte dieser Lehre die blasphemische Entmächtigung des Heiligen Geistes (durch Instrumentalisierung und Hypostasierung) zwangsläufig zur Folge hatte. Hier ist der Heilige Geist selbst zum Gegenstand des Herrendenkens geworden. Nicht die Lehre ist unwahr, wohl aber die Form ihrer theologischen Adaptation. Hieraus wäre die Idee eines entkonfessionalisierten Christentums, einer entkonfessionalisierten Kirche, die Kritik des Bekenntnisbegriffs und seiner Funktion in der Geschichte der Kirche, des Glaubens und im Selbstverständnis des Christen abzuleiten.

    Verräterisch auch der Begriff des Bösen bei Drewermann, den er schließlich umstandslos mit der Psychose, mit dem Wahn identifiziert. Waren Hitler, waren die KZ-Schergen, waren die kleinen Denunzianten nur Psychoten? Dieses Konstrukt liegt nahe, wäre aber insoweit näher und differenzierter zu fassen, als anhand einer zeitnahen, aktualisierten Welt- und Gesellschaftskritik die (im klinischen Sinne) psychotischen Züge der Normalität aufzuzeigen und seine Abkunft aus der gegenwärtigen Gestalt des Realitätsprinzips (und des Ich) nachzuweisen wäre. Ein dialektischer Psychosebegriff hätte nachzuweisen, daß die Bahn des Realitätsprinzips heute direkt in psychotische Strukturen hineinführt. Drewermanns ungemein produktiver Erkenntniseinsatz steht durch den mimetischen Anteil, ohne den er nicht zu leisten wäre, selber in der Gefahr, diesem psychotischen Bereich zu verfallen. Die Gefahr erhöht sich in dem Maße, in dem er versucht, sie durch Projektion zu neutralisieren. Kuno Füssel und Eugen Drewermann sollten vielleicht doch gemeinsam prüfen, ob es nicht möglich ist, anhand der Beziehung zwischen dem materialistischen Begriff des falschen Bewußtseins und dem Psychosebegriff dieses Dunkel aufzuklären.

    Sind die innerkirchlichen Ängste in der Endphase des Nationalsozialismus, daß nach den Juden die Kirche drankomme, die Katholiken, – waren und sind diese Ängste eigentlich so unbegründet? Ist der Schluß, den Karl Thieme nach dem Krieg daraus gezogen hat, daß auch der Antiklerikalismus Verwandtschaftszüge mit dem Antisemitismus aufweist, so unbegründet? Hier könnte es sich um Ängste handeln, deren Realteil von ihrem paranoiden Teil sich fast nicht mehr trennen läßt (Zusammenhang mit der psychotischen Struktur des Normalen?).

    Kennt Drewermann eigentlich eine wirkliche Angstbearbeitung; benutzt er nicht statt dessen den lieben Gott nur als Palliativ? Sozusagen: Wer in Gottes Hand ruht – diese schöne fromme Vorstellung! -, hat es nicht nötig, Angst zu haben. Aber wird hier Angst nicht nur verdrängt, und affiziert das nicht auch die Gottesvorstellung? Gibt es überhaupt bei Drewermann eine Theologie, die dem Anspruch des Gottsuchens genügt? Leitet sich sein Gottesbegriff her von einem nicht abschließend aufgeklärten Bedürfnis (Konsumideologie, Reflex der Betreuungskirche)? Verweist nicht der Begriff einer „ontologischen Verunsicherung“ in dem Klerikerbuch auf den Dezisionismus Drewermanns? Man sollte Drewermann einen Lehrstuhl geben, aber dann die Auseinandersetzung mit ihm beginnen; es lohnt sich!

    Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich eingehen: Ist das nicht ein Hinweis darauf, daß das selige Leben ohne die großartige Objektivität der Kinder nicht zu gewinnen ist; jene (präödipale) Objektivität, die noch nicht durch den blinden Fleck des Ich getrübt ist, bei der die Entzündung durchs Ich noch nicht eingetreten ist.

  • 28.04.90

    Nominalismus und Theologie: Der mittelalterliche Begriffsrealismus (insbesondere die Verwechslung von Namen und Begriff) ist die Grundlage der Verknüpfung von Religion und Herrschaft, der Instrumentalisierung der Religion (Beziehung zur Trinitätslehre!). Vgl. hierzu insbesondere die scholastische Namen-Gottes-Theologie, z.B. Ernst Schlenker: Die Lehre von den göttlichen Namen in der Summe Alexanders von Hales, Freiburg 1938.

    Der Nominalismus vertritt dagegen das Recht des Namens, auch wenn er die Kraft des Namens aus Gründen der Abwehr von Magie leugnet (flatus vocis – jedoch in anderer Bedeutung als bei Drewermann). Nominalismus und negative Dialektik.

    Vgl. hierzu Benjamins Erkenntniskritik (theologische Kritik des Wissens; die Dinge beim Namen nennen; Adams Kraft der Namengebung, der Benennung); oder Franz Rosenzweig (Name ist nicht Schall und Rauch!).

    Zusammenhang mit einer messianischen, parakletischen Erkenntnistheorie (Begriff der helfenden, rettenden Erkenntnis; Beziehung zum Herrendenken).

  • 28.05.90

    Asymmetrie des Rosenzweigschen Konstrukts: Die drei Gestalten des Nichtwissens lassen sich auf eine zurückführen; das weltliche Wissen (das Wissen, dessen Subjekt die Welt, der historische Prozeß, das Weltgericht ist) ist die Ursache des Nichtwissens von Gott Welt Mensch; es ist der blinde Fleck, der sich im historischen Erkenntnisprozeß über alle Gegenstände ausbreitet. Die Allgemeinheit dieses Wissens, seine Intersubjektivität, ist seine (aus der Konstitution des Ich herrührende) negative Kraft. Rosenzweig hat diesen Vorgang (von Thales bis Hegel) als Erkenntnis des All beschrieben (und in der Begründung des Nichtwissens von der Welt erläutert).

    Gewalt ist zu wenig, und Gewaltfreiheit, die sich wirklich begreift ist nicht weniger, sondern mehr.

    Erst die Entkonfessionalisierung der Kirche würde sie aus den Verstrickungen der Welt lösen.

    Die Fragmentierung, die heute die Wissenschaften vorab kennzeichnet, bestimmt zugleich in explosiver Weise das Spektrum der Berufe; die Spezialisierung (Einbahnstraßen-Ausbildung) verhindert diese Entwicklung nicht, sondern verschärft sie. Das berührt auch den Sinn des Existenzbegriffs, der nicht nur aus modischen Gründen obsolet geworden ist. Der Existenzbegriff, der einmal genau das Gegenteil ausdrücken sollte, die Einmaligkeit des Individuellen, bindet das Subjekt an den Bereich des Austauschbaren: an den Bereich der materiellen Berufe. Falsch am philosophischen Gebrauch des Existenzbegriffs war der Versuch, ihm die höheren Weihen der Verantwortung zuzuerkennen, während er in einem System bereits sich definierte, in dem Selbsterhaltung nur noch durch Verrat am moralischen Selbstverständnis, nur durch Zynismus möglich war.

    Ökonomie und Physik unterliegen der Herrschaft der Reflexionsbegriffe.

  • 27.05.90

    Vom Ansatz, von der Begründung und von der Durchführung her ist Schopenhauer („Die Welt als Wille und Vorstellung“) der Konsequenz der kantischen Kritik und dem kritischen Weltbegriff am nächsten gekommen. Seine Hegel-Kritik ist von hier aus durchsichtig.

    Sind die immensen, ständig wachsenden Forschungsmittel, die seit dem Ende des letzten Krieges in die Atomphysik im weitesten Sinne, in die Weltraumforschung und in den Rüstungshaushalt abgezweigt wurden, noch wirklich rational zu erklären; erinnert der Vorgang nicht doch ein wenig an den mythischen hieros gamos (oder auch an den Turmbau zu Babel, der möglicherweise näher am hieros gamos liegt, als bisher angenommen)? – Der Grund mag banaler, darum allerdings nicht weniger harmlos sein: Welcher Ministerialbeamter will sich schon vor dem geballten Sachverstand des Experten, der zudem auf die Referenzen der Großindustrie (als Abnehmer der Forschungsergebnisse wie als Zulieferer der preisexplosiven Forschungsmaschinerie) sich berufen kann, blamieren? Gibt es eigentlich industrielle Großprojekte, die nicht in Beziehung zum Rüstungsbedarf des Kapitalismus stehen?

    Zusammenhang von:

    – Entdeckung, Hereinnahme und Ausbildung der Perspektive in der Malerei;

    – Ende der konstruktiven und Beginn der dekorativen Architektur (Gotik; Renaissance, Barock);

    – Beginn der absoluten Musik;

    – Beginn der naturwissenschaftlichen Aufklärung, Konzeption des Inertialsystems;

    – Trennung von Objekt und Empfindung, Objektivation von Gefühlen, Projektion in Gegenstände, in Natur (Ursprung der Naturästhetik unter der Herrschaft der Melancholie, Entstehung des Genie-Konzepts);

    – Portraits.

    Die Konstruktion der Neuzeit (der Übergang vom geschlossenen zum unendlichen Universum) wird verständlich vor dem Hintergrund des Ökonomischen und wissenschaftlichen Objektivationsprozesses, der Säkularisation (Verweltlichung der Welt).

  • 24.05.90

    Haben „Sinnfragen“ nicht mit Aufhebung von Schuld, mit Versöhnung, Glück, und nur in diesem Kontext mit Erkenntnis (Bedeutung) zu tun? Der Heideggersche Versuch, die Sinnfrage auf das Sein zu beziehen, ist der hochexplosive Grund des Scheiterns der Fundamentalontologie.

    Liegt der „Fehler“ der Hegelschen Logik etwa in der Funktion, dem Stellenwert des Begriffs des „Scheins“ (im „Übergang“ von den Reflexionsbegriffen zum Wesen)?

    K. Boeckl, Die sieben Gaben des Heiligen Geistes in ihrer Bedeutung für die Mystik nach der Theologie des 13. und 14. Jahrunderts (Freiburg i.Br. 1931) – sh. Saturn und Melancholie, S. 253 (Anm. 125).

    Zu den Beziehungen zwischen den „sieben Gaben des Heiligen Geistes“ (Jesaja) und den „sieben Seligpreisungen“ (Bergpredigt) vgl. Saturn und Melancholie S. 256ff.

  • 23.05.90

    In jeder Feindschaft steckt ein Stück Projektion. Diesen Sachverhalt als Interpretationsmuster verwenden bei der Analyse von Antisemitismus, Ketzer- und Hexenverfolgung. Was mich zur Empörung reizt, bin ich selber. So hat z.B. die Gesellschaft in den Hexen sich selbst erkannt: das Totenreich, das sie selbst zu errichten auf dem Sprunge war. Und das Erschrecken war ein Erschrecken über sich selbst. Als die Welt verhext wurde, wurden die Hexen verfolgt. Das Rätsel Swedenborg lösen hilft sicher mit, das Rätsel des Hexensabbat zu lösen.

    Ableitung der Gottesidee aus dem theologischen Erkenntnisbegriff? Wenn das Ich, das seinen Ursprung im Nein hat, der Inbegriff der Negativität ist, der Motor des Abstraktionsprozesses, und nur in diesem Zusammenhang als der Begleiter aller meiner Vorstellungen nach Kant zu begreifen ist, dann hinterläßt dieser Erkenntnisbegriff eine Lücke, die nicht zu schließen ist, die vielmehr als Lücke, als Wunde offengehalten werden muß. Die Ohnmacht des Ich, seine Hilfsbedürftigkeit, ist der Grund seines Geliebtwerden-Wollens (Freud/Drewermann). Sie reicht nicht aus zur Begründung der Gottesidee. Die Konstruktion des Ich gründet im historischen Prozeß, in der Geschichte der Welt, in der Geschichte der transzendentalen Logik, des Begriffsapparats, der die Erscheinungen so gliedert, daß sie dem Ich angemessen, kompatibel sind. Das Ich unterliegt zugleich selber der Logik, die es konstituiert (und wird sich selbst so zum blinden Fleck).

    Das Bewußtsein als offene Wunde ist konstruierbar nur vor dem Hintergrund der Idee des seligen Lebens. Vorausgegangen muß eine Idee, eine Erfahrung der Seligkeit und ein Seligkeitsversprechen sein. Der Anfang der aristotelischen Metaphysik: Alle Menschen streben nach dem Glück, ist durch ihr Ende, ihr Resultat (die Theoria, den transzendentalen Apparat in nuce) nicht abgegolten.

    Alle Wissenschaft ist Naturwissenschaft.

    Beschreibt die Elektrodynamik die Grenze zwischen Gegenwart und Vergangenheit? Beschreibt sie genauer den Vergängnisprozeß? Und sind die Quantenphysik und die Atomphysik gegenständliche Abbildungen der Logik des Zerfalls?

    Ziel ist nicht eine Ökumene, die vielleicht auf irgendeinem Kompromißwege tatsächlich zu erreichen wäre, sondern ein entkonfessionalisiertes Christentum, eine entkonfessionalisierte Kirche. Das läßt allerdings die Lehrtradition, an der alle Konfessionen wie unter einem Erkenntniszwang teilhaben, nicht unberührt.

    Gehört zu den Emblemen der Melancholia auch die Dornenkrone (nur bei Lochner?), haben die Theoretiker der Melancholie etwas gewußt? Woher kommt es, daß die Melancholie bevorzugt als Frau dargestellt wird – und dann u.a. auch als Frau mit Dornenkrone?

    Differenz zwischen Dürer und Lochner: Lochners Melancholie fällt bereits unters Vorurteil.

    Luthers Antisemitismus ist eine notwendige Folge des Friedens, den er mit der Welt geschlossen hat, ebenso wie sein Trübsinn. Der theologische Grund davon ist seine Rechtfertigungslehre. Nur die Lutherische Wendung hat dann Erfahrungen ermöglicht, hat Energien freigesetzt, die auf andere Weise nicht hätten freigesetzt werden können: insbesondere der wissenschaftliche Eros, der dann die Theologie ergriffen (und auf den Kopf gestellt) hat, war nur unter den Prämissen des Protestantismus möglich.

    „Experimentaltheologie – Elemente einer theologischen Erkenntnistheorie“

    Das Gleichnis vom ungerechten Verwalter auf die Rücknahme der Schuld, die wir selber in die Realität hineinprojiziert haben, beziehen! Die einzig sinnvolle Interpretation des Gleichnisses?

    Wer es nicht mehr nötig hat, seine Ohnmachtsgefühle zu kultivieren, der bedarf auch der Selbstbestätigung durch Empörung nicht mehr.

    Die Trinitätslehre beruht auf Voraussetzungen, die heute (nach Auschwitz) nicht mehr ungebrochen übernommen werden können. Diese Voraussetzungen sind ein Teil der Verflechtung des Christentums, seiner Konfessionen, in die Welt- und Herrschaftsgeschichte. Die drei göttlichen „Personen“ sind es nicht an sich, sondern für uns. Die Aufspaltung ist begründet in den Erfahrungsbedingungen der endlichen, geschichtlichen, menschlichen Welt (kann ausgeschlossen werden, daß die trinitarische Konstruktion sich am Ende in die Wahrheit der Einheit Gottes auflöst?). Wahr ist, daß die Trinitätslehre die Einheit Gottes unangetastet läßt. Die Begriffe „Hypostase“, „persona“ sind genauer zu untersuchen (auf ihren Ursprung und Kontext). Was bedeutet es, wenn Jesus Sohn Gottes genannt wird, erzeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater? Was bedeutet es, wenn der Geist ex patre filioque procedit? Hat sich das Dogma in seiner lateinischen Rezeption gegenüber der vorhergehenden griechischen Fassung verändert? Und was bedeutet es, wenn z.B. bei Alexander von Hales die Begriffe, in denen das Dogma gefaßt ist, zu Namen Gottes werden, in vollständiger Differenz zu der Namen-Gottes-Lehre der jüdischen Tradition (und zur dritten Vater-Unser-Bitte)? Ist die Heiligung des Substanz- oder Person-Begriffs auch nur im Ansatz denkbar (ist diese Heiligung – und mit ihr die gemeinsame Genesis der Ontologie und des pathologisch guten Gewissens – aber nicht umgekehrt die notwendige Folge des Dogmas; sind nicht beide notwendige Folgen der Instrumentalisierung der Lehre, ihrer Umwandlung in ein Herrschaftsinstrument)? Anstatt die geologischen Strukturen des von den Christen dann so genannten „Alten Testamentes“ zu untersuchen, wurde das Alte Testament seit je nur als Steinbruch benutzt, als Material für apologetische oder erbauliche Traktate.

    Wird das Verständnis der Trinitätslehre nicht bestätigt durch den Paulinischen Satz, wonach am Ende „Gott alles in allem“ sein wird (vgl. hierzu den Hinweis und die Kritik Franz Rosenzweigs).

    Hat die Geschichte mit der Sonne bei Gideon (Josua) nicht doch mehr mit der Geschichte des Patriarchats als mit der der Naturwissenschaften zu tun?

    Hegels Urteil über die Natur als Äußerlichkeit der Idee, die den Begriff nicht halten kann, verweist darauf, daß die Natur als vollständig verurteilte und gerichtete nicht nur das ist (dann müßte sie dem Begriff entsprechen), sondern etwas darüber hinaus; daß sie im Begriff nicht restlos aufgeht.

    Das christliche Dogma und die Dialektik der Aufklärung oder Präliminarien einer theologischen Erkenntnistheorie.

    Wenn heute die Religion selber blasphemische Züge annimmt, wenn sie insbesondere gefährdet ist durch den fundamentalistischen Terrorismus, so hängt das mit der unaufgeklärten eigenen Geschichte zusammen.

    Liefert der Vergleich von „Totem und Tabu“ mit dem „Ursprung des deutschen Trauerspiels“ – beide sind sich im Aufbau sehr ähnlich – einen Hinweis, unter welchen Prämissen die christliche Theologie aufzuarbeiten wäre? (Ist der Ursprung des deutschen Trauerspiels eine Interlinearversion von Totem und Tabu, ist er aus der gleichen Konstellation der Ideen – mit dem Königtum (Christentum?) im Zentrum – erwachsen? Etwas Vergleichbares scheint Walter Benjamin gemeint zu haben in seinem „Programm einer neuen Philosophie“ im Hinblick auf die Verwendung der Kantischen Kritik)

    Die Hoffnung von Karl Thieme in seinem „Am Ende der Zeiten“, daß das Christentum jetzt endlich ins Mannesalter eintritt, scheint sich bisher noch nicht erfüllt zu haben.

    Wenn es stimmt, daß die Geschichte der Aufklärung von den Mythen über die Religion bis hin zu den Naturwissenschaften ein Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, und selbst insoweit in den historischen Naturprozeß mit hereinfällt, ist die Naturphilosophie ein Haupterfordernis einer Philosophie, die den Anschluß an die Theologie wiedergewinnen will. Die Frage hierbei ist, ob der Begriff der Natur selbst nicht ein Teil dieser Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur ist, in diesem Prozeß sich konstituiert und von ihm nicht sich ablösen läßt; und ob eine Naturphilosophie nicht mehr sein müßte als eine Philosophie der Natur. Sind nicht die Begriff Natur und Welt eigentlich identisch, und bezeichnen sie nicht zwei Aspekte der gleichen Sache (abhängig davon, ob sie auf das Subjekt als Subjekt oder als Objekt sich beziehen)? Und müßte nicht eine Naturphilosophie heute Kritik des Naturbegriffs mit einschließen?

    Hat das mittelalterliche Bild von Himmel, Fegefeuer und Hölle, dieses dreistufige Bild des Universums, das später reduziert wurde auf den einfachen Gegensatz von Himmel und Hölle, etwas mit der Hypostasierung der zeitlichen „Ekstasen“ zu tun: der Himmel als die absolute Zukunft (futurum perfectum), die Hölle, das Totenreich, als absolute Vergangenheit (plusquamperfectum), und das Fegefeuer das Zwischenreich, vielleicht so etwas ähnliches wie die Welt? Steckt nicht doch ein ernsthafter naturphilosophischer Gedanke dahinter, wenn dem Himmel das Licht assoziiert wurde und der Hölle das Feuer? – Aber die eigentlich theologischen Assoziationen knüpfen an an den akustischen Bereich: den Hauch, den Atem, den Geist, der weht wo er will, das Wort.

    Hat der „große Fisch“ im Jona-Buch etwas mit dem Tier aus dem Meer in der Geh. Offb. zu tun, und die Flucht des Jona etwas mit dem Exil des jüdischen Volkes (dem direkten, politischen, wie dem indirekten, religiösen: ins Christentum; ist das Tier aus dem Meer die Kirche)?

  • 22.05.90

    Der Weltgeist ist das Subjekt des historischen Prozesses, letztlich des Weltgerichts (= Resultat des historischen Prozesses), nicht identisch mit dem Heiligen Geist. Theologie ist nur zu begründen als Kritik des Weltgeistes, hat diese Kritik zur Voraussetzung. – In welcher Beziehung steht die „Persönlichkeit“ zur „Welt“ (ist jemand eine „Persönlichkeit“, wenn er dem Weltgericht standhält, d.h. Erfolg hat)?

  • 22.04.90

    Heilt Drewermann etwa Neurosen durch Implementierung einer Psychose? Die „Geborgenheit in Gott“, die von Ängsten befreien und Gesundheit sichern soll, unterschlägt die Gottesfurcht (der Weisheit Anfang), entrealisiert und subjektiviert (psychologisiert) die Gottesidee, schafft eine Gewißheit, die von der Anstrengung des Gottsuchens enthebt: ist Teil der Genese des pathologisch guten Gewissens. D.s Gottesidee hat ihre Wurzeln im Selbstmitleid (Gott als Trost), und nicht im Gewissen (Gott als Gerechtmacher und als Verteidiger der Schwachen). Ihr Ursprung ist der Wunsch, geliebt zu werden (nach Adorno eine Folge des Nicht-Lieben-Könnens). Drewermann kennt die Umkehr nicht, oder unterschlägt sie, anstatt sie in eine theologische Erkenntnistheorie (vgl. Rosenzweig) mit einzubauen. Auch D. will eine Erlösung ohne Offenbarung. So blendet er die Realität aus und versinkt im Mythos, im Wahn. Der Preis ist eine erkennbare Affinität zum Antisemitismus.

    Drewermann Bd. II, S. XLII: j Urgeschichte = „ontologisch“ im Sinne Heideggers (Fundamentalontologie der Geschichte).

  • 21.05.90

    Zu Hitler als Generalprobe des Antichrist vgl. Karl Thieme: „Biblische Religion Heute“; sh. ebd. und in „Kirche und Synagoge“ die Hinweise zu Amalek.

    Hirtenbrief der Bischofskonferenzen zum Verhältnis von Christen und Juden (20.10.88):

    – apologetisch

    – Unterscheidung von kirchlichem Antijudaismus und modernem Antisemitismus (Verdrängung der Ursprungsgeschichte; Rassismus nicht einziger Grund des Antisemitismus)

    – Schuld und Projektion (Hinweis auf Abtreibungsproblem: ohne Empathie; bloße Empörung/Verurteilung = Schuldlosigkeit des Urteilenden; schuldig ist der andere; Vorteil der privaten, individuellen Schuldzuweisung, während Antisemitismus und Judenmord kollektive und öffentliche Ursachen hat)

    – Verschweigen der durch die politische Ökonomie verursachten Hunger-Massentode in der Dritten Welt (hier müßten andere angeprangert werden, Mächtige)

    – Abwehr der Instrumentalisierung des Schuldvorwurfs, aber nur, soweit er sich gegen die Kirche richten könnte! – Ist der mit der Abtreibungsfrage verbundene Schuldvorwurf nicht auch instrumental?

    – Unfähigkeit, das, was eigene Gedankenlosigkeit und eigenes Vorurteil anrichten, überhaupt noch wahrzunehmen; Unfähigkeit zu begreifen, welches Gesicht die Kirche selber zeigt; Pflege des pathologisch guten Gewissens

    – Faschismus eine christliche Häresie?

    – Frauenfeindschaft = Ursprung und Paradigma der Sünde wider den Heiligen Geist?

    – Unfähigkeit zur Umkehr; zu parakletischem, verteidigendem Denken

    – Entkonfessionalisierung des Christentums = Abkehr vom Herrendenken = einzige Möglichkeit der Ökumene und der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit

    – Völlig unterschlagen wird das Versöhnungskonzept, das die Schrift selbst vorgibt (Unversöhntes: Knast, Isolationshaft, des Elend in der Dritten Welt, Nichtseßhafte, Sexismus, „no pity for the poor“, Herrschaft und Gericht/Problem des Rechtsstaats, Verwechslung von Recht und Moral, Recht und Gerechtigkeit); Versöhnung = Voraussetzung des Opfers (nicht Folge!)

  • 18.05.90

    Melancholie und Lachen: „Nach Isidor (Etym. XI, 27), der sicher älteren Quellen folgt, ist die Milz, das Erzeugungsorgan der schwarzen Galle, zugleich das Lachzentrum“ (Saturn und Melancholie, S. 104, Anm. 132).

    Die Trägheit (acedia), deren Begriff in den Umkreis der Begriffsgeschichte der Melancholie gehört, bezeichnet genau die Assimilation ans Objekt, ans Tote, die dann zu den Voraussetzungen und Grundlagen des Objektivationsprozesses, der Verweltlichung, der Säkularisation, der von den modernen Naturwissenschaften beherrschten Aufklärung gehört. Nicht zufällig kehrt der Begriff als zentraler Begriff der Physik (träge Masse, Inertialsystem) wieder. (Was unterscheidet die acedia von der inertia?)

    „Als aber Adam sündigte, verwandelte sich die Galle in Bitternis und die Melancholie in die Schwärze der Gottlosigkeit“ (Hildegard von Bingen; vgl. Saturn und Melancholie, S. 141f)

  • 17.05.90

    Sind die Planeten diachronisch, vielleicht sogar zeitlich gegenläufig (Saturn, Planetarisches System und Mythos. das kreisende Flammenschwert)? Auch die unterschiedlichen Erfahrungsstrukturen verschiedener Tierarten (Mäuse, Insekten, Fische), deren transzendentaler Apparat, scheint auf diachrone Strukturen hinzuweisen.

Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie