August 1990

  • 31.08.90

    Das transzendentale (idealistische) Subjekt ist

    – die Einheit von Herr und Knecht (die gerichtete richtende Instanz, „Teufel und arme Seele zugleich“),

    – Produkt und Substrat der Empörung (im theologischen Sinne),

    – Grund der Dialektik in Philosophie und Geschichte,

    – der blinde Fleck der Theologie (der etablierte Atheismus),

    – die Sünde wider den Heiligen Geist, die weder in dieser noch in der zukünftigen Welt vergeben wird,

    – Schlüssel des Totenreichs („Vorlaufen in den Tod“ als Entschlossenheit und Grund der Eigentlichkeit – Heideggers Fundamentalontologie als Versuch, die ausweglose Erfahrung der verdinglichten Welt von innen zu beschreiben),

    – Subjekt der „Sorge“ (Sorge als vom Herrendenken nicht abzulösende Quelle des Selbstmitleids; ursprüngliche Akkumulation des Herrendenkens und des Objektivationsprozesses gründet im Selbstmitleid: no pity for the poor).

    Die Physik macht aus einem Akzidenz eine Substanz: Sie unterwirft die Dinge der Herrschaft der Zeit (der Vergangenheit).

    Alle denunziatorischen Begriffe in „Sein und Zeit“ sind projektiver Natur: sie treffen die eigene Intention und den Inhalt des Werkes.

  • 30.08.90

    Öffentlichkeit und Schuld: Das säkularisierte Bekenntnis, die Logik der Öffentlichkeit (Schuld = Erwischtwerden, abhängig von der Beweisbarkeit, vom rechtlichen Nachweis) und der Ursprung der Wissenschaft (des Objektivationsprozesses): das säkularisierte Bekenntnis (als Zwangsbekenntnis) will dem Glauben die Form der Gegenständlichkeit und des Wissens aufzwingen (Klima, das ein wirkliches Bekenntnis: nämlich sowohl das Schuld- als auch das Liebesbekenntnis ausschließt; Bekenntnis nur möglich, wenn man geliebt wird): Projektion ins Vergangene; Zwangsbekenntnis schafft double-bind-Situation, macht verrückt; „Realität“ heute psychotisch; Verhältnis zur Schuld: Blasphemie.

  • 27.08.90

    Der Rechtfertigungszwang (Bekenntniszwang) verändert auch das Gerechtfertigte (den Inhalt des Bekenntnisses): den Glauben, den man verteidigt (bekennt). Das wird deutlich an den Äußerungen jenes Anhängers Lefebvres, der die Wiedereinführung der Inquisition forderte und im Zusammenhang damit auch die Todesstrafe rechtfertigte. Zum apologetische Grundzug der Orthodoxie heute gehört offensichtlich auch die Erfahrung, daß eine Verteidigung der Lehre ohne die Hilfe äußerster Rechtsmittel wie Inquisition und Todesstrafe nicht mehr möglich ist. Zugrunde liegt eine Ohnmachtserfahrunmg, die sich anders nicht mehr zu helfen weiß. – Aber ist diese Ohnmachtserfahrung nicht doch real begründet? Und sind nicht die Anpassungstendenzen der modernen Theologie weniger eine Aufarbeitung als vielmehr eine Flucht vor dieser Ohnmacht?

    Das „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ ist die schärfste Kritik am Bekenntnis-Christentum. Das christliche Bekenntnis bedurfte seit je des Pharisäers als Verdrängungshilfe und Projektionsfigur, um die damit verbundenen Schuldgefühle loszuwerden.

    Wie hängen die Begriffe Bekenntnis und Symbolum zusammen? War das Bekenntnis der Vollzug einer Identifikation mit dem Aggressor, und der Formel-Inhalt das Zeichen (Symbol) dieser Identifikation?

    Der theologisch-soziale Doppelsinn des Opfer-Begriffs ist ein Hinweis darauf, daß das eigentliche Opfer das soziale und nicht das kultische ist. Das kultische ist nur die zugleich verdrängte Deckerinnerung ans soziale Opfer. Das Prophetenwort „Barmherzigkeit will Ich, nicht Opfer“ drückt genau das aus.

    Sind die Christen (die Katholiken) Gottesfresser? – Durch die Instrumentalisierung des Kreuzestodes in der Opfertheologie steigern wir die Last anstatt sie mitzutragen (Umkehr des Nachfolgegebots). Die Projektion auf die Juden im christlichen Antisemitismus (in der christlichen Judenfeindschaft) ist die genaue Folge davon, ist die projektive Verarbeitung, die nicht zufällig in Auschwitz endet.

    Gläubige Theologie wäre Theologie im Antlitz Gottes, hieße Theologie so betreiben, als wäre ER anwesend. Gläubige Theologie wäre Theologie als Gebet, Theologie, die Gott als Adressaten hat und jeden Satz vor IHM verantworten muß.

    Die Theologie spricht über Gott hinter seinem Rücken, d.h. sie glaubt nicht an seine Anwesenheit und muß sich deshalb ihrer Wahrheit durch kollektive Zustimmung versichern. (Zusammenhang mit dem Bekenntnis-Begriff!)

    Rosenzweigs Satz: „Von der Welt wissen wir nichts, und dieses Nichtwissen ist Nichtwissen von der Welt“ ist so abzuändern, zu ergänzen und zu verschärfen: „Die Welt ist der Grund unseres Nichtwissens“; es sind die (weltlichen) Bedingungen unseres Wissens, die unser Nichtwissen von Gott und Mensch zur Folge haben. – Das jedoch ändert Struktur und Zusammenhang des Rosenzweigschen Systemkonzepts. – Wäre diese Änderung in einem dann allerdings sehr weitreichenden Sinne christlich zu begründen?

    Liegt das Problem in Rosenzweigs „Stern der Erlösung“ in der Ambivalenz seines Weltbegriffs? Anstelle Gott/Mensch/Welt: Gott/Himmel und Mensch/Erde? Müßte nicht die Summa contra gentiles neu geschrieben werden?

    Adornos Philosophie – vor allem seine Hegel-Kritik – ist der Versuch, den brennenden Dornbusch von innen zu beschreiben (vgl. Franz von Baaders Vergleich der Hegelschen Philosophie mit einem Autodafe).

    Titel-Vorschlag: Verwaltete Theologie oder Bemerkungen zum Begriff der Konfession.

    Ist der Taumelkelch, von dem die Propheten gelegentlich reden, die Philosophie (an der nach Hegel „kein Glied nicht trunken ist“).

    Ist jedes Bekenntnis die Antwort auf eine Anklage (und insoweit Schuldbekenntnis, jedoch ohne wirkliches Schuldbekenntnis): das Zwangsbekenntnis unterstellt, daß jeder (selbst der noch ungetaufte Säugling) zunächst einmal ein Ketzer ist?

    Die autoritäre Forderung des Bekenntnisses ist der Mißbrauch des Bekenntnisses. Sie unterstellt, daß der, dem das Bekenntnis abgefordert wird, grundsätzlich schuldig ist und davon durch das Bekenntnis sich freisprechen kann (vgl. hierzu auch Kant!). Ihr Ziel ist die Identifikation mit dem Aggressor, die absolute Heuchelei.

    Zwei Dinge, die die Neubegründung der Theologie notwendig machen:

    – Ihr Verhältnis zu den modernen Naturwissenschaften (Ausgangspunkt: die spezielle Relativitätstheorie Einsteins), und

    – ihr Verhältnis zu Auschwitz: Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. – Der Knecht Gottes ist Israel, aber wir können es nicht wieder instrumentalisieren wie beim Kreuzestod Jesu.

    Theologie war in ihrer ganzen christlichen Geschichte der Versuch, hinter dem Rücken des lieben Gottes über ihn zu reden. Die Folgen liegen heute offen zutage. Theologie ist heute die offene Wunde, und nur wer das realisiert, ist befugt, Theologie zu betreiben. So wie Einstein die offene Wunde der Physik ist, während die gesamte pseudometaphysische Mikrophysik und Quantentheorie einschließlich der pseudomystischen Konsequenzen, die einige glaubten, daraus ziehen zu können, nichts anderes ist als die Instrumentalisierung dieser Wunde (Salz für die Wunde). Insofern ist allerdings die Quantenphysik in der Tat die Erbin und Nachfolgerin der europäischen Theologie.

    Den Begriff der Umkehr auf die Dogmatik anwenden. Hilfe wäre das „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, das parakletische Denken; Frage, ob die gesamte Dogmatik zu retten ist.

    Die Aufspaltung der Eschatologie, die Trennung des Himmels oben von der zukünftigen Welt, ist historisch erledigt; ihr ist die Grundlage entzogen seit Kopernikus, seit Newton, seit dem Fall Galilei.

    Bekennen darf man nur, wo man geliebt wird; das Zwangsbekenntnis ist in einem letztlich auch kosmologischen Sinne der Grund des Übels.

    Verteidigendes Denken: Heute sind wir schon soweit, daß die Verteidigung eingeschränkt, teilweise ganz ausgeschlossen wird (u.a. bereits durch das Rechtsdogma von der Verteidigung als einem „Organ der Rechtspflege“, d.h. der Staatsräson, die es auch erforderlich machen kann, einem Vorurteil Rechtskraft zu verschaffen).

    Adornos Idee des Nichtidentischen, die Grundlage der Negativen Dialektik, steht in der prophetischen Tradition des Eintretens für den Armen und den Fremden. Diese Tradition wird übrigens unmittelbar aufgenommen und zitiert in der Analyse des autoritären Charakters, unter dem Titel „no pity for the poor“.

    Das Phänomen der aggresiven Sanftheit (Drewermann) wäre doch etwas genauer zu beschreiben: Grund ist das verdrängte, nicht aufgearbeitete Selbstmitleid.

    Die letzte moralische Barriere ist die Sprache; wenn die zerbricht, brechen alle Schranken; wie es scheint, ist es kein Zufall, daß die, die sich deutsch fühlen, des Deutschen in der Regel nicht mächtig sind (vgl. das in KuS zitierte antisemitische Flugblatt aus der Zeit des Vormärz).

    Gibt es eine Geschichte der Aufführungsform, der musikalischen Bearbeitung und Darbietung des Deutschland-Liedes. Kann es sein, daß die Form, in der es heute öffentlich dargeboten wird, die von den Nazis zusammen mit dem unsäglichen „Horst-Wessel-Lied“ für die öffentliche Darbietung eingerichtet wurde? Daß es sich sozusagen um die vom Horst-Wessel-Lied infizierte und vergiftete Version handelt?

    Läßt sich das historische Bekenntnis-Problem auch in der Musikgeschichte nachweisen (Entsinnlichung, Vergeistigung der Musik unter christlichem Einfluß, vgl. Kurt Blaukopf oder Wiora)?

    Die Übertragung der Schlüsselgewalt an Petrus (Mt 16,19, worauf übrigens die „strenge Weisung“ folgt: „niemand zu sagen, daß er der Messias sei“) begründet keinen Rechtstitel, sondern eine bis heute nicht wahrgenommene Pflicht.

    Wurden Marcion und die Gnosis nur deshalb so wütend abgewehrt, weil sie den Christen das Bild ihres verdrängten Selbstverständnisses vorhielten?

    Zum Problem des Islam: Gibt es im Islam die Idee eines moralischen Subjekts, des Gewissens? Hat der Islam das (aristotelische) Erbe der objektiven Vernunft angetreten und zugleich seine Widersprüche rein herausgearbeitet? Ist der erfolgs-, nicht moral-orientierte Politik-Begriff des Islam systembedingt? Ist der Islam im genauesten Sinne die Weltreligion?

    Zur Dornen und Distel-Tradition: Sündenfall, brennender Dornbusch, Jotam-Fabel, Gleichnis vom Weizen unter Dornen (Unkraut), Dornenkrone.

    – Der brennende Dornbusch: die brennende Innenerfahrung der Profangeschichte (Auschwitz); die genaue Beschreibung der Grundlage der Gotteserfahrung;

    – Dornenkrone: dieser König der Juden ist der König eines Reichs, das unter der und gegen die profangeschichtliche Herrschaft der Welt heranwächst;

    – Dornen und Disteln als Inbegriff der Welt (des katastrophischen Aspekts der Geschichte).

    Das „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ als der Anfang der utopischen Kraft des Heiligen Geistes, des parakletischen Denkens.

    Hat Kant das Geheimnis der Trinitätslehre durch seine Entdeckung der Form der äußeren Anschauung prinzipiell bereits gelöst? Und hat dazu Einstein die notwendige Ergänzung und Korrektur geliefert? Ist die spezielle Relativitätstheorie eine Teilaspekt der objektiven Bedeutung des brennenden Dornbuschs?

    Der vielleicht entscheidende Satz zu Auschwitz stammt von Thomas von Aquin: „Parvus error in principio magnus est in fine“ (De ente et essentia).

    Der Haß auf das Alte Testament ist begründet im (projektiven) Herrenneid. (Grundlage ist – gegen den Sinn des Textes – ein autoritärer Gottesbegriff: Gott als der Herr der Geschichte, der man selber sein möchte). Das AT verträgt sich nicht mit einem kolonialistischen Geschichtsverständnis (wie klug sind wir doch heute, und wie dumm waren die vergangenen Geschlechter).

    Die Geschichte der Auseinandersetzung der Orthodoxie mit den Häresien ist Teil der Geschichte der Auseinandersetzung mit der Naherwartung der Parusie. Die Orthodoxie stand seit je unter dem Zwang, überlebensfähig zu bleiben in der Welt; sie stand damit immer in der Gefahr der Verweltlichung, der Identifikation mit dem Aggressor. Das Unkraut dessen Vernichtung Jesus dem Jüngsten Gericht vorbehalten hat, sind die Dornen und Disteln aus der Geschichte der Sündenfalls (es sind diese Dornen, unter die nach dem Gleichnis die Weizenkörner gefallen sind, die dann ersticken).

  • 26.08.90

    Der merkwürdige Haß auf das Alte Testament (seinen „orientalischen“ Charakter und Ursprung, ähnlich dem „asiatischen“ Ursprung, auf den im Historikerstreit – in einer zweiten projektiven Verschiebung – noch Herr Nolte die faschistischen Untaten zurückführte) rührt her vom Neid der Volkstümler auf das zugleich bewußt und gezielt mißverstandene „auserwählte Volk“; übriggeblieben ist der Haß auf das Alte Testament, aus dem man nur noch die eigenen verdrängten Untaten herausliest. – Erstes Modell dieses Konstrukts war das antijudaistische Selbstverständnis des frühen Christentums als „neues Israel“.

    Hieraus läßt sich das Kohlsche Erfolgsrezept herleiten, der immer, wenn er eine Niedertracht verkündet, zur Rechtfertigung (Herstellung des guten Gewissens) gleich den Sündenbock mitliefert, auf den das moralische Urteil projektiv abgeleitet wird. (Die Unmoral der anderen zugleich anprangern und als Rechtfertigung der eigenen Unmoral nutzen. Selbstmitleid als Umkehr der Empathie (und als Grund des moralischen Rigorismus). Trick der Empörung. Zu ändern nur durch „Umkehr“ im wörtlichen Sinne.)

  • 25.08.90

    Zu Lots Weib (J.Ebach): An die theologische Bedeutung des Anblicks des Schreckens erinnert auch der brennende Dornbusch, wenn man die Auslegung, die die deutschen Chassidim des 12. Jahrhunderts dem Dornbusch gegeben haben, hinzu nimmt: die Schreckenserfahrung (der Dornbusch von innen: die brennende Erfahrung derer, die unter dem Gesetz der Profangeschichte leiden) als Grund der Gottesoffenbarung.

    Zum Swinegel: das Tier, das war, nicht ist und wieder sein wird? Begriff der falschen Identität!

    Nicht das Interesse an der Faktizität des Wunders, wohl aber der Drang, der Wille, die Schale der Faktizität zu sprengen und das was war beim Namen zu nennen. Warnung vor dem Zeitlosen, Überzeitlichen; Erinnerung als Organ des Ewigen in der unabgegoltenen Vergangenheit. Die Macht der Vergangenheit über die Zukunft (If the future will be like the past) läßt sich nur brechen durch Erinnerung und Kritik ihrer Ursprünge, durch Einlösung der vergangenen Hoffnung.

  • 24.08.90

    Zusammenhang zwischen dem unsteten (wurzellosen) Leben Kains, dem „wurzellossen Dornstrauch“ (der zum König der Bäume gewählt wird) in der Jotam-Fabel und der nt Dornenkrone (Ebach, UuZ, S. 59, Anm. 193)?

    „Wo aber das Produkt sich gegenüber dem Produzenten verselbständigt, wo es ihn beherrscht, da wird nach alttestamentlicher Auffassung Arbeit nichtig, da machen Menschen Götzen.“ (ebd., S.99) Nur muß dazu darauf hingewiesen werden, daß Arbeit nicht nur das einzelne Produkt, sondern hinterm Rücken der Arbeitenden auch die zugehörigen gesellschaftlichen Institutionen: den Staat, das Recht, das Geld, die Polarisierung von Armut und Reichtum (die Gewalt der Vergangenheit) produziert. Die Absicherung dieser Instutionen war Aufgabe der Götzen (die an den Opfern der Menschen sich erfreuten), unterm Vorzeichen des Christentums das Bekenntnis (das Malzeichen des Tieres).

    Aufklärung als Kolonialisierung der Natur und der Vergangenheit. Wenn die Distanz zum Objekt durch Herrschaft vermittelt ist (die Distanz ist, die der Herr durch den Beherrschten gewinnt), dann müßte das auch für die historische Erkenntnis gelten (für die Konstituierung der Geschichte als Herrschafts-, Erfolgs-, Siegesgeschichte). Hier ist der Zusammenhang zwischen der Vorstellung, daß auch die Toten (die Besiegten) einen Anspruch an uns haben, und der Kritik der Naturwissenschaften (als Kritik der Todesgrenze) negativ begründet. Die Gnade der späten Geburt ist die „Gnade“ der Erhebung über die Vergangenheit, der Verführung zur unkenntlich gemachten „Empörung“.

  • 24.08.90

    Wenn nach Augustinus im paradiesischen Zustand die Zeugungsglieder ohne Wollust und nur dem Zweck gehorchend fungierten (vgl. Ebach, UuZ, S. 119), so verweist das direkt und zentral auf das Moment der Instrumentalisierung in der Augustinischen Theologie; vgl. hierzu seine „Beweise“ für die Trinität, die dann zum Modell der Hegelschen Dialektik (der metaphysischen Absicherung der Instrumentalisierungslogik) geworden sind, sowie das augustinische Konzept der Konstellation von Lust, Zweck und Scham: Nach Augustinus folgt die Scham der Lust, nicht ihrer Instrumentalisierung: dem Obszönen (parvus error in principio: Ursprung des Faschismus?). Vor diesem Hintergrund wird die augustinische Bemerkung über die Erhöhung der himmlischen Freuden durch den Anblick des Leidens der Verdammten in der Hölle verständlich (Realgrund der Glücks-Scham, die Augustinus dann auf die sexuelle Lust nur abgeleitet hat – vgl. J.Ebachs Interpretation der Geschichte von Lots Weib, s.u.).

  • 23.08.90

    Der Sturm, der Walter Benjamin zufolge den Engel der Geschichte unaufhaltsam der Zukunft zutreibt, kommt „vom Paradiese her“, d.h. er kommt selbst aus der Zukunft; und die Zukunft, in die er treibt, ist eigentlich die anwachsende Vergangenheit: der Trümmerberg, der sich vor dem Engel anhäuft. Die Bewegung dieses Sturms ist die des Sündenfalls; die Trümmer sind der Inbegriff dessen, „was der Fall ist“, der Welt (lt. Wittgenstein).

  • 22.08.90

    Offb. 12: Wenn die Frau nicht Maria, sondern Israel meint (KuS, S. 116), dann wäre die „Wüste“ das Exil (aber könnte nicht auch die Kirche gemeint sein?); und der „Sturz“ des „großen Drachen“ auf die Erde könnte Vorgänge beschreiben, die sich kirchen- und gesellschaftsgeschichtlich beschreiben ließen (Einbeziehung der Kirche in den Herrschaftsprozeß, Instrumentalisierung der Religion; Konstituierung des Subjekts in Philosophie, Gesellschaft und Politik durch Verinnerlichung des Schicksals und des dämonischen Orakels; Ursprung von Glaube und Bekenntnis; Zusammenhang von Geldwirtschaft/Tauschprinzip, Objektivationsprozeß, Politik und Religion, Geschichte der Aufklärung). Telos des Drachensturzes wäre die Verwirrung und Zerstörung der Bedingungen seiner Sichtbarkeit: die universale Verblendung, die in den Naturwissenschaften zu sich selber kommt. – Geschichte des Antisemitismus (alle Vorurteile, auch die des kirchlichen Antijudaismus, sind Projektionen) nutzen als Anleitung zur geschichtlichen Selbstreflektion der Kirche. Der Antisemitismus hat nichts mit der „Judenfrage“, aber umso mehr mit der Geschichte der mythischen Selbstverblendung des Christentums zu tun.

    Nicht Gott/Welt/Mensch, sondern Juden/Ketzer/Frauen als drei Gestalten des „Nichts“, des Andersseins. Wäre es möglich, mit diesen Ausgangspunkten den „Stern“ neu zu schreiben (Unser Nichtwissen von den Juden, Ketzern und Frauen ist der Grund unseres Gespensterwissens, unserer Vorurteile über Juden, Ketzer und Frauen)? Zusammenhang mit den evangelischen Räten (Armut, Gehorsam und Keuschheit)?

    Beziehung unseres Gespensterwissens zum „Bekenntnis“:

    – die Juden sind verstockt,

    – die Ketzer sind heterodox, sie haben das falsche Bekenntnis,

    – Frauen sind bekenntnisunfähig (und verstehen nichts von den Naturwissenschaften).

    Das Bekenntnis ist eigentlich das (männliche) Bekenntnis zur eigenen Potenz (deshalb Symbolum?), daher die Notwendigkeit der Projektionen, die begründet sind in

    – der eigenen Unbelehrbarkeit,

    – der Diskriminierung des Gottsuchens und

    – der Unfähigkeit zur Empathie.

  • 20.08.90

    „In seiner Rechten hielt er sieben Sterne. Aus seinem Munde ging ein scharfes zweischneidiges Schwert hervor. … Ich habe die Schlüssel des Todes und der Unterwelt.“ (Offb 1,16.19) – Zusammenhang mit den Engeln mit dem kreisenden Feuerschwert?

    „Die Wasser, die du gesehen hast, wo die Buhlerin trohnt, sind Völker, Scharen, Nationen und Sprachen. … Das Weib, das du gesehen hast, ist die große Stadt, die die Herrschaft über die Könige der Erde hat.“ (17,15.18)

  • 19.08.90

    Der christliche Missionstrieb rührt u.a. daher, daß die eigene mangelnde Glaubensfähigkeit der Absicherung und Unterstützung durch die Unterwerfung aller anderen unter den nichtgeglaubten Glauben notwendig machte. Die Zweifel (im Anblick der Ungläubigen draußen) waren allein nicht zu ertragen. Oder: erst wenn alle glauben, ist die Wahrheit des Glaubens gesichert. Das letzte Hemmnis waren die starrsinnigen, verstockten Juden, deshalb die irrationale Wut.

    Oder: Der Kampf gegen die Häresien hat im Dogmatisierungsprozeß den Glauben so bestimmt, daß er gegen jeden Einwand gesichert erschien, aber eigentlich nicht mehr geglaubt werden konnte (der Glaube wurde so definiert, daß er, ohne geglaubt werden zu müssen, als kirchliches Bekenntnis vorgeschrieben werden konnte). Darauf beziehen sich Cohens „wer hat denn jemals dran geglaubt“ und Adornos „heute ist schon jeder Katholik so schlau wie früher nur ein Kardinal“. Den gottsuchenden Glauben haben die Häresien verbraucht; so wurde er von den Kirchen verworfen.

    Wenn die Welt das Weltgericht ist (das Urteil über die Vergangenheit), dann ist das Jüngste Gericht das Gericht über das Gericht (seine Umkehr): der Sieg des Erbarmens, die Rettung der besiegten Vergangenheit; und dessen Vorläufer: das parakletische Denken. Der Historismus identifiziert sich mit dem Weltgericht: er verkündet das „Urteil der Geschichte“.

  • 17.08.90

    Ist das Zeichen des Tieres (Geh. Off. 13, 18) das Bekenntnis? (666 ist die Summe aller Zahlen von 1 bis 36 <= (1*2*3)2>)

    Merkwürdig, daß aus dem Begriff der Apokalypse (der wörtlich nur die endgültige Offenbarung der Wahrheit bezeichnet: diese Offenbarung als endgeschichtliches Ereignis oder die reale Geschichte als Teil der Erkenntnistheorie) heute nur noch das katastrophische Moment herausgehört wird, daß er nur noch als Bezeichnung des Weltuntergangs verstanden wird (grundsätzliches Mißverständnis der Johannes-Offenbarung, bedingt durch den veränderten Gegenstandsbezug der Theologie seit dem Beginn des Dogmatisierungsprozesses, dem Einbruch des Herrendenkens in die „altkirchliche Theologie“, dem Ursprung des Konfessionalismus).

    Physik/Naturwissenschaften: das Tier vom Land (aus der Erde); politische Ökonomie: das Tier aus dem Meer (aus den Völkern)?

    (Behemoth, Ijob 40,15ff/ Leviathan, Ijob 3,8 u. 40,25ff, Ps 74,14 u. 104,26/ Rahab, Jos 2 u. 6,22ff, Ijob 9,13, Ps 87,4 u. 89,11/ Meer, Ijob 26,12, Ps 74,13; 77,17 u. 89,19, Offb 21,1/ Drache, <Schlange> 2Mos 7,9.12, <Krokodil> Ez 29,3, <mächtiges, gefräßiges Tier> Jer 51,34, <großes Seetier, Walfisch> 1Mos 1,21, Ps 148,7, <mythisches Wesen> Ps 74,13, Jes 51,9, Ijob 7,12, <Widersacher Gottes> Jes 27,1, <Teufel> Offb 12 u. 20,2)

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