Gewalt hat einen Adressanten und einen Adressaten (Waldenfels): sie hat m.a.W. sprachliche Struktur. Das Entscheidende an der Gewalt ist nicht die Verletzung von Eigentums- und Rechtsverhältnisses, sondern ihr Verhältnis zur Sprache, letztlich zur Theologie. Auch das Gewaltmonopol des Staates (und die Idee eines Rechtsstaats, der allein auf das Gewaltmonopol des Staates sich gründet) ist ein Eingriff in göttliches Recht, ist blasphemisch.
Jede Strafe ist zutiefst fragwürdig geworden. In den Gefängnissen sitzen ohnehin nur noch die, die keine Alternative mehr hatten; und sie sitzen deshalb, weil die, die sie verurteilen, es nicht wahrhaben können, daß es Menschen in dieser Gesellschaft gibt, die keine Alternative mehr haben. Ebenso wie die Schuld unterliegt auch das Verbrechen einem Vergesellschaftungsprozeß; das Subjekt von Schuld und Verbrechen verlagert sich immer mehr von den Einzelnen weg in die gesellschaftlichen Institutionen, letztlich in den Staat; nur durch Projektion (aus Gründen der Selbstentlastung, der Freisprechung der Herrschenden) wird diese Schuld auf die Opfer abgeleitet (die Armen sind selber schuld; sie sind die Schuldigen). Die KZs der Nazis waren ebenso entsetzlich real wie symbolisch: für die anderen war die Tatsache, daß einer ins KZ kam, ein ausreichender Beweis, daß er schuldig war. Jede andere Beurteilung hätte Ängste ausgelöst, die keiner mehr ertragen hätte. (Ursprung und Auswirkung des pathologisch guten Gewissens, des Bewußtseins, nichts gewußt zu haben.)
Paradoxe Situation: Schuldig (nicht im strafrechtlichen, wohl aber in theologischem Sinne) sind die Strafenden, die Bestraften hingegen (zwar nicht unschuldig, wohl aber:) Opfer. Und die theologisch allein noch bestimmbare Schuld (die nicht mehr beichtfähig ist) fällt nicht mehr unters Strafrecht, sondern definiert nur noch die Bedingungen und den Rahmen der Gottesfurcht. Strafe als Rationalisierung und Vergesellschaftung von Rache, als Mittel des Rechts, ist auf Teilhaber am Gewaltmonopol, an den mit Strafbefugnissen ausgestatteten Institutionen (auf Politiker und auf Richter) eigentlich nicht mehr anwendbar. Die Probleme der rechtlichen Aufarbeitung der Naziverbrechen rühren daher. (Diese Probleme scheinen sich bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht zu stellen: der Untergang der DDR, der Zusammenbruch der staatlichen Institutionen, ist der Beweis, daß die Macht- und Rechtsausübung illegitim war. Diese Leute waren nicht befugt: Das Gewaltmonopol dieses Staates hatte keine reale Grundlage: keine ausreichende Wirtschaftsmacht; keine ausreichende Macht zur Definition und Stabilisierung des heiligen Tauschprinzips).