Zusammenhang der Begriffe Welt, Gnosis, Person mit der Konstituierung des Privaten: Die Begründung einer besonderen Privatsphäre und deren Abschirmung gegen das Schicksal der Welt, die Einschränkung der Moral auf diese Privatsphäre sind genaue Reflexe eines Weltbegriffs, der nach aristotelischem Modell die Ewigkeit der Welt voraussetzt, d.h. den Begriff einer Welt, die nicht erschaffen ist. Die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts bleibt irrational und eigentlich gegenstandslos, eine reine Willkürsetzung, wenn sie nicht mit einer Kritik des Privaten verbunden ist, mit dem Bewußtsein einer Verflochtenheit des Privaten in den gesamtgesellschaftlichen Prozeß, in den Weltprozeß (das Weltgericht).
Die Rezeption der Stoa scheint bei der Begründung der Privatsphäre, der Privatisierung der Vernunft, eine nicht unerhebliche Rolle zu spielen. Die stoische Ataraxie ist offensichtlich ein Versuch, das Subjekt vor den übermächtig werdenden Problemen eines moralischen Politikbegriffs zu retten, es dagegen abzuschirmen und zu erhalten.
Es gibt nicht nur die Dialektik von Herr und Knecht, sondern auch eine unterirdische Verbindung der Herren mit den Asozialen (eben das macht den Anblick der Asozialen fürs Herrendenken so unerträglich). Der Herr ist (heute) sozusagen der asoziale Knecht; nur so kann er Herr werden. Die Rezeption des Asozialen ins Herrendenken erfolgte beim Übergang von der Sklaverei zur Lohnarbeit, als die Welt Macht über die Herrschaft gewinnt, zu deren Subjekt wird. Nicht daß die vorhergehenden patriarchalischen Verhältnisse moralischer gewesen wären: sie mußten jedoch zumindest den Schein des Moralischen wahren. So galten die Könige als die Verteidiger der Armen; diesen Anspruch haben die neuen Herren nie erhoben; vielmehr gehört die Bestrafung der Armut zur kapitalistischen Tradition.
Ist es ein Zufall, oder hat es systematische Gründe, wenn im NT (und im Talmud) die ersten Beispiele von Lohnarbeit vorkommen? Sind die Christen nicht eigentlich von Anfang an moralische Lohnarbeiter Gottes gewesen (tugendhaft nur aufgrund der Erwartung des himmlischen Lohns)? Und hatte der liebe Gott nicht immer schon etwas von einem welthistorischen Arbeitgeber, der dann allerdings in einer bestimmten Phase der Vergesellschaftung überflüssig, nicht mehr benötigt wurde?
Die Übermacht der Welt, die heute über den Kirchen zusammenschlägt, ist von den Kirchen selber mit begründet worden: mit der Übernahme des philosophischen und politischen Weltbegriffs. Genau an dieser Stelle gewinnt der Bekenntniszwang seine merkwürdige zweideutige Funktion und Bedeutung, verschwindet das Bewußtsein davon, was einmal Symbolum hieß.
Adams Namengebung der Tiere war der Beginn des Austritts aus der tierischen Tradition, aus dem animalischen Bann. Es war der Fehler der Aufklärung (und des deutschen Idealismus), daß sie die Befreiung, die Menschwerdung mit dem Sündenfall identifizierte (den sie dann auch bewußtlos beförderte, indem sie die letzten Widerstände aus dem Weg räumte). Die (paradiesische) Vorstufe der Befreiung war die Namengebung der Tiere: War diese Namengebung ein Akt der Aggression, der Anklage, des Gerichts (Beginn der Naturbeherrschung), oder war sie ein Akt des Erbarmens, der mimetischen Selbsterkenntnis, der Identifikation? Wie haben die Tiere diese Namengebung (das Erkanntwerden durch den Menschen) erfahren? Und wäre das der Punkt, der wiederzugewinnen wäre, um auch die Tiere aus dem Bann zu befreien? Und sind nicht Kafkas Einsichten (Vor der Akademie, Gregor Samsa, der Bau) ein Hinweis darauf, daß der letzte befreiende Akt nur auf dem Grunde einer Tier und Mensch gemeinsamen Erfahrung erfolgen kann?
Vom Tier trennt den Menschen die Vergeistigung der Scham. Beim Tier ist die Scham physisch: kein Tier ist nackt. – Aber Gott gibt den Menschen (nach dem Sündenfall) ein Fell zur Bedeckung ihrer Scham (Zusammenhang von Sündenfall, Naturbeherrschung, Vergesellschaftung und Scham).
Der Nationalsozialismus hat die Kirche vor eine scheinbar unlösbare, jedenfalls bis heute ungelöste Aufgabe gestellt: Die Kirche war immer „staatsfromm“ (notwendige Folge ihres Weltbegriffs; nicht zufällig hat sie den Staat als Teil der Schöpfungsordnung angesehen); der Nationalsozialismus jedoch hätte sie dazu bringen können und müssen, daß der Staat nur als ein Teil der durch den Sündenfall im Grunde verstörten Welt angesehen werden kann. Die Schöpfungsordnungstheorie hängt zusammen mit dem ungeklärten Weltbegriff; sie ist in Grenzen vertretbar für die vorkapitalistische (noch nicht restlos durchs Tauschprinzip definierte) Welt; mit dem Eintritt des Kapitalismus war sie nicht mehr haltbar.