Der Objektivationsprozeß vollzieht am Objekt die Taufe des Allgemeinen, überzieht die Dinge mit dem Begriffsnetz, hinter dem sie am Ende (wie der Terrorist in der Isolationshaft) verschwinden. Der Knoten in diesem Netz ist das Inertialsystem, dessen Hauptleistung die Identifizierung der Zukunft mit der Vergangenheit ist (unter Ausschluß des jede Gegenwart konstituierenden realen Zukunftsmoments); Keimzelle und Modell ist der mechanische Stoßprozeß (der Widerstand der Außenwelt): er definiert die Äquivalenzbeziehungen, die das innere Formgesetz, gleichsam den Schlüssel bilden für jede mathematische Naturerkenntnis und für alle physikalischen Begriffe, vorab Raum, Zeit und Materie; eingefangen in diesem Netz wird das entfremdete Objekt, das hier wie auch in den anderen, vergleichbaren Objektivationsprozessen als „Masse“ erscheint (Objekt, Masse und Materie bezeichnen den gleichen Sachverhalt unter den getrennten, aber zusammengehörenden Aspekten des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs).
Die „Tatsache“ und ihre „Feststellung“ sind Produkt der Objektivation, der Vergegenständlichung durch Abstraktion: durch den Vollzug der Weihe des Allgemeinen, der Subsumtion unter die Vergangenheit, Konstituierung des Wissens (der transzendentallogischen Strukturen und Gesetze des Wissens).
Dem Islam ist es wegen der Identität von Gott- und Machtgläubigkeit nicht gelungen, den Stoßprozeß, das Grundmodell der Mechanik, zu objektivieren. Wenn Heideggers Fundamentalontologie diesen Objektivationsprozeß und sein Ergebnis nur diskriminiert anstatt ihn kritisch zu begreifen, fällt sie zurück ins islamische Erbe der europäischen Tradition; wie der Islam Weltreligion ist (die in der Welt untergeht, die Objektivation der Welt – durch das der europäischen Staatsidee zugrunde liegende säkularisierte Gewaltmonopol des Staates – nicht mitgemacht hat; Konsequenz aus der Vorstellung, daß Gott „die Welt“ erschaffen hat, vor Gott aber nur der „Islam“, die Ergebung erlaubt ist; Erkenntniskritik, d.h. die gesellschaftlich-historische Ableitung des Weltbegriffs, und die Emanzipation durch Aufklärung, die in der Konsequenz des mechanischen Erkenntnismodells liegen, sind damit blockiert), so ist die Fundamentalontologie Weltphilosophie (Philosophie mit der Welt als Subjekt, Konsequenz aus dem modernen Naturbegriff, der damit ebenfalls der Reflexion entzogen wird). Die Unfähigkeit zur Erkenntniskritik schlägt als Verdummung nach innen.
Der Staat, nicht Gott, hat die Welt erschaffen. Die Differenz zwischen den Buchreligionen läßt sich aus den unterschiedlichen Staatsideen (den historisch begründeten unterschiedlichen Stellungen des Bewußtseins zum Staat) ableiten.
Subjekt und Objekt, Staat und Welt, Gesellschaft und Natur sind aufeinander bezogene und miteinander verknüpfte Reflexionsbegriffe. Sie bedingen (konstituieren) sich wechselseitig. (Subjekt und Person nicht gleichbedeutend; Subjekt hieß einmal das Objekt: der Bezugspunkt des Prädikats im Urteil.)
Jede Religion enthält eine kosmologische Komponente (einen kosmologischen Hintergrund, der in ihre Definition und Struktur mit eingeht), steht in einer Beziehung zur Geschichte der Auseinandersetzung mit der Natur, in die die Geschichte des Weltbegriffs verflochten ist. Der Verzicht darauf, die Reflexion dieser Beziehung ins Selbstverständnis der Religion mit hereinzunehmen, ist der Grund der religiösen Barbarei. Theologie im Angesicht Gottes betreiben schließt eine Beziehung zur Welt mit ein, die im Christentum unter der Idee des heiligen Geistes zusammengefaßt wurde und mit der schärfsten Sanktionsdrohung belegt wurde. Diese Sanktionsdrohung ist heute – in Kenntnis der Dialektik der Aufklärung – erstmals rational begründbar geworden. Zugespitzt könnte man sagen, daß das Christentum durch diese Lehre vom Heiligen Geist von den anderen Religionen, auch von den anderen Buchreligionen, sich unterscheidet. Die Differenz läßt sich anhand der Weltbeziehung dieser Religionen (vorweltlich, weltlich, weltkritisch) entfalten.
Der mechanische Stoß, die wechselseitige Übertragung der Impulse beim Stoß (die Ansteckung durch die Außenwelt, in die das Subjekt mit hereingezogen wird), ist das Abbild, die analoge Nachbildung des Kaufakts und Modell der Vorstellung vom gerechten Preis. Diese hat die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip – logischer Quellpunkt des Kapitalismus und Äquivalent des Inertialsystems – zur Voraussetzung. Die Äquivalenzbeziehung zwischen Arbeit und Warenwert, auf die die Vorstellung vom gerechten Lohn sich bezieht, ist das Modell für die Objektivation der Beziehung von Inertialsystem und Gravitationsgesetz, der Identität von träger und schwerer Masse (das Inertialsystem konnte erst durch Ausgrenzung und Subsumtion der Schwerkraft sich konstituieren: Zusammenhang mit der Geschichte der Instrumentalisierung des Opfers, der Ausbildung der modernen theologischen Gnadenlehre).
Januar 1991
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18.1.91
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17.01.92
Bekenntnis und Eid: Schließt das Verbot zu schwören (Mt 533f, Jak 512) nicht auch gegen das Bekenntnis mit ein?
Zum Begriff der Gemeinheit: „Wehe der Welt mit ihrer Verführung! Es muß zwar Verführung geben; doch wehe dem Menschen, der sie verschuldet.“ (Mt 187) Verführung durch Akkusativierung, durch Anklage: Im Urteil der Welt wird die Liebe zum Opfer (zur demütigenden „Aufopferung“), gegen die das Selbstbewußtsein sich behaupten muß. Aber gelingt das nicht doch nur denen, die ohnehin oben sind; und sperrt es nicht die, die unten sind, in ihrer Angst ausweglos und unrettbar ein: verführt sie zum Selbstmitleid und zur selbstzerörerischen Wut? (Die enttäuschte Liebe und der „Schrecken um und um“ suchen ihre Opfer; Adorno: Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist.)
Die Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit“ spiegelt das Grundproblem jeglichen Rechts, die Beziehung von Schuld und Beweisbarkeit, wider. Im Rechtsstreit ist Schuld nur Schuld, wenn sie beweisbar ist; nicht beweisbare Schuld ist für das Recht nicht existent, nicht wahr. Das ist der systematische Grund dafür, daß Gemeinheit, die diese Lücke ausnützt, kein strafrechtlicher Tatbestand ist. War das Verfahren gegen Jesus nicht eigentlich ein Verfahren gegen das Recht? Und hat die Einbeziehung der Reflexion von Schuld in den Wahrheitsbegriff (die die Grundlage ist für die Kritik der Naturwissenschaften und des Weltbegriffs) nicht weiterreichende theologische Folgen (die Objektivierung stellt Schuld nur fest, reflektiert sie nicht, kennt keine Versöhnung: Wahrheit aber schließt die Idee der Versöhnung mit ein, die weiterreicht als der kommunikationstheoretische Konsens)? -
17.01.91
Der Konfessionalismus hat die Religion neutralisiert. Er hat sie zur Sonntagsreligion gemacht. Das führt dazu, die Prägekraft der Religionen in vorindustriellen Gesellschaften zu unterschätzen, sie nicht mehr ernst zu nehmen. Eine Form dieses Nicht-mehr-ernst-Nehmens ist die Toleranz, die alle Religionen in einen Topf wirft, sie zu einem religiösen Einheitsbrei verrührt (Hauptsache, die Menschen haben noch Religion).
Mit der Ökonomie hat seit dem Ursprung des Kapitalismus auch die Kosmologie sich von der Religion emanzipiert. Und diese Emanzipation verstärkt die unreflektierte Macht der Ökonomie. Beide zusammen, Ökonomie und Physik, definieren den Begriff der Realität, auf den die Religion eigentlich keinen Einfluß mehr hat. Der Lauf der Dinge wird von anderen Gesetzen und Faktoren beherrscht.
Im Westen ist die Religion zur bloßen Konfession, zu einem Teil der Privatsphäre geworden, in der sie weiterhin in ihrer instrumentalisierten Form sich als nützlich erweist: als Mittel zur „Kindererziehung“, zur Stützung der Autorität der Eltern. So jedoch wird sie zugleich verraten; und alle, die an der religiösen Bindung festhalten, werden damit zu Komplizen in der Auseinandersetzung mit den Kindern. Diese Komplizenschaft ist der Kitt der sogenannten religiösen Bindung und der Grund dafür, daß der Bann sich nicht mehr sprengen läßt. Das Bekenntnis (als Zwangsbekenntnis) war seit je das Siegel auf dieser Komplizenschaft.
Wir sind nicht Zuschauer und Herren der Geschichte, sondern deren Objekte und Opfer. Alle Versäumnisse, alle Entlastungsversuche der Vergangenheit haben die Last vermehrt, die auf den Nachgeborenen lastet. Das pseudomagische Potential ist dem Bekenntnis in dem Maße zugewachsen, in dem die Bekennenden sich als nicht verantwortliche Zuschauer des Geschichtsspektakels begriffen.
Der Kreuzweg wäre so neu zu konzipieren, daß er nicht nur die Einfühlung in den Leidensgang, den Passionsweg Christi intendiert, sondern dessen Anwendung auf die gesamte Geschichte.
Horkheimers Satz: „Das Christentum ist die menschenfreundlichste Religion, aber es gibt keine Religion, in deren Namen so ungeheure Verbrechen begangen worden sind“, dieser Satz läßt sich nicht nur belegen, sondern auch begründen.
In der Folge der enttäuschten Parusie-Erwartung wurde das Bekenntnis zugleich entmächtigt und demoralisiert. Das war die Grundlage und das Ergebnis des Dogmatisierungsprozesses. Zurückzugewinnen wäre die Einsicht, daß die Kritik und die Auflösung der Demoralisierung auch den Ausblick auf die Neubegründung der eingreifenden Kraft mit einschließt: an den Namen Gottes rührt. Oder umgekehrt, wenn die jüdische Religion die Heiligung des Namens Gottes als wesentliches Moment des Zeugnisses – bis hin zum Martyrium – begreift, so rührt sie damit an das Geheimnis des Bekenntnisses.
Auch der Islam ist eine Religion der Selbsterhaltung. Der Islam, die Ergebenheit in den Willen Gottes, ist sozusagen der Trick, durch den das Subjekt sich erhält: gegen die unendliche und undurchschaubare Macht der Verhältnisse, an der es sich nicht den Kopf einrennen will, deshalb sich klein macht, um zu überleben. Der Islam ist die Religion der Anpassung an die Welt, das Christentum die des Aufbegehrens, der Empörung: Das Christentum manifestiert sich am deutlichsten in der Geschichte der Häresien.
Die Geschichte des Bekenntnisses bewegt sich zwischen dem Symbolum und dem (apokalyptischen) Zeichen des Tieres (Verfehlung der benennenden Kraft, die uns seit Adam gegenüber den Tieren anvertraut ist).
Die Dogmenkritik kann sich nicht mehr an dem Verhältnis von Schale und Kern orientieren, so als müsse man die Schale aufbrechen, um an den Kern zu kommen; wenn, dann hätte sie sich zu orientieren an dem Modell von Tod und Auferstehung. Das Dogma ist tot: gekreuzigt, gestorben und begraben, abgestiegen zur Hölle; wird es am dritten Tage auferstehen? (Verweist der „dritte Tag“ hier auf die Schöpfungsgeschichte, die Trennung des Landes vom Meer und damit auf die Tiere der Apokalypse?)
Theologie im Angesicht Gottes heißt Theologie als Erinnerungsarbeit betreiben, als Aufarbeitung der Last der Weltschuld seit dem Sündenfall.
Die Neutralisierung der Namenslehre durch den Person-Begriff in der Dogmengeschichte ist der parvus error in principio, Grund der Nicht-Ansprechbarkeit. -
16.01.91
Das Bekenntnis (homologein) steht in der Linie des Nachfolgegebots: durch mimetische Angleichung an das schaffende Wort, den Logos, soll die befreiende Kraft, die Erlösungstat Christi, sich mitteilen. Die dogmatische Anpassung des Bekenntnisses an den philosophischen Begriff stellt dieses Verhältnis auf den Kopf und ist nur durch Umkehr aufzulösen: durch Umkehr im dogmatischen Verständnis der Theologie selber, durch parakletische Auflösung der Instrumentalisierung, des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs (der „real existierenden“ Unwahrheit der Trinitätslehre). Die Binde- und Lösegewalt der Kirche bezieht sich konkret hierauf: bis heute hat die Kirche nur gebunden, nicht gelöst.
Wahrheit im Kontext begrifflichen Denkens, Bekenntnis, Rechtfertigung; Konstitutierung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungsusammenhangs im Kontext dieses Wahrheitsbegriffs, falsch säkularisierte Theologie: Warum steht das lateinische Bekennen (nur als Schuldbekenntnis?) im Passiv: confiteor, confiteri, confessio (ich werde bekannt, ich bekenne mich jemandem? – Hat das confiteor die im Confiteor angegebenen Adressaten, die dann im deutschen „Bekenntnis“ zur Öffentlichkeit anonymisiert, ins abstrakte Allgemeine gesetzt wurden; deren Stelle dann der Staat einnehmen konnte?); warum wird das Bekenntnis hier erlitten (und nur das Erleiden als Leistung aufgefaßt). Hat sich diese passivische Konstruktion als säkularisierte, als Moment eines durchaus weltlichen Herrschaftszusammenhangs, im deutschen „Bekenntnis“ erhalten? Gibt es hier einen Zusammenhang mit der reformatorischen Hypostasierung des geschriebenen Wortes und der Beziehung von Bekenntnis, Glaube und Rechtfertigung? – Steht nicht die deutsche Staatsmetaphysik und der „Staatsanwalt“ in dieser schlimmen Tradition („Gib es zu!“: von der strafmildernden Kraft des Bekenntnisses zum Kronzeugen)? In diesen Zusammenhang gehört die (autoritäre) Umdeutung des Gebots: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“ ins „Du sollst nicht lügen“ (Umkehrung des den anderen verteidigenden in das sich selbst rechtfertigende Denken), oder die Umdeutung des humanen Schutzgebots zugunsten des Beschuldigten in einen generellen Bekenntnis-und Rechtfertigungszwang, dem jeder unterliegt (Folge der Lehre von der befreienden Kraft des Bekenntnisses). Vor einem deutschen Gericht ist auch der Zeuge ein potentieller Angeklagter. Zusammenhang von staatlichem Gewalt- und Wahrheitsmonopol im Kontext eines verdinglichten, akkusativischen, an den Anklagevorbehalt geknüpften Wahrheitsbegriffs (eine Tatsache wird erst wahr durch Feststellung, nicht durch Einsicht)?
Die Rechtfertigung bezieht sich nicht primär auf die Tat, sondern auf ihre Bewertung von außen: durch den Ankläger. Die Rechtfertigungslehre fördert eine Anschauung, für die nicht die Tat, sondern das Erwischtwerden das Entscheidende ist (die Rechtfertigung befreit nicht von Schuld, sondern von Schuldgefühlen; hierbei unterscheiden sich Schuld und Schuldgefühle wie die Tat und die Verinnerlichung ihrer Beurteilung durch andere). -
15.01.91
Georg Lukacs hat in „Geschichte und Klassenbewußtsein“ Hinweise auf eine marxistische Kritik der Naturwissenschaften gegeben, die er zwar später wieder zurückgenommen hat, deren produktiver Ansatz heute duetlich gemacht werden kann: Die von Frankfurter Seite mit dem Hinweis auf die experimentelle „Praxis“ geübte Kritik an Lukacz‘ Begriff des „Kontemplativen“ (der rein anschauenden Beziehung zum Objekt) vergißt die Einsicht der „Dialektik der Aufklärung“, wonach die Distanz zum Objekt durch die Distanz der Herrschenden über die Beherrschten vermittelt ist. Es ist diese (in der kantischen Philosophie durch die Unterscheidung von transzendentaler Anschauung und transzendentaler Logik bereits angezeigten) besonderen Beziehung von Anschauung und Praxis, Ursprung der Beziehung von Verwaltung und Industrie, die hier näher zu bestimmen wäre (Rückwirkung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Natur auf die Gesellschaft; Einbeziehung auch des Motors der Emanzipation – des naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozesses: in den Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhang – negative Trinitätslehre?). Hier ist der Ansatzpunkt für eine gesellschaftlich-geschichtliche Kritik der Naturwissenschaften.
Die kantischen Formen der Anschauung (Raum und Zeit) sind sowohl die subjektiven Bedingungen der transzendentalen Logik (des historischen Objektivationsprozesses) als auch selber objektivierungsfähig (Inertialsystem; Bedeutung des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Identität von träger und schwerer Masse). Sie sind so der Statthalter sowohl des Naturgrundes von Herrschaft als auch seiner Vergesellschaftung im Subjekt (Ursprung der Reflexionsbegriffe und Grund der Konstituierung des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs). Die europäische Gesellschaft ist die historische Gestalt der dem Bewußtsein entfremdeten Empörung, die exakt dem Naturgrund von Herrschaft korrespondiert: Deshalb ersetzt hier immer noch die Empörung das Argument. Bekenntnis als Empörung (Bekenntnis als „Weltanschauung“ – Brutalität der „Weltanschauungskriege“ bei gleichzeitiger Verdrängung des Bewußtseins und der Erinnerung der Brutalität darin begründet).
Der Entkonfessionalisierung der Kirchen entspräche eine Form des Bekenntnisses, die nicht mehr zur Empörung sich anreizen läßt, der Empörung nicht mehr bedarf (wohl des Zorns).
Die Formen der Anschauung sind die Formen der gegenständlich gewordenen, versteinerten Empörung; die Form ihrer Objektbeziehung entspricht der des Hohns, des kalten Auslachens: der apriorischen Verurteilung. Grund der Gemeinheit.
Startbahnprozeß: Die Empfindlichkeit ist ein Gradmesser der verdrängten Sensibilität (Konstruktion des Selbstmitleids; Ableitung seiner gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Folgen; Zusammenhang mit der Geschichte des Christentums). -
14.01.91
Nach uns die Sintflut: Haben wir uns nicht schon überlebt und sind selbst die Sintflut?
Bekenntnis und Öffentlichkeit: Jedes Bekenntnis hat einen Adressaten, vor dem das Bekenntnis abgelegt wird und dessen Urteil gleichsam prophylaktisch in das Bekenntnis mit hereingenommen wird. In der Geschichte des Bekenntnisses hat die Öffentlichkeit in wachsendem Maße diese Rolle des Adressaten übernommen: Die Rückwirkung auf Form und Inhalt des Bekenntnisses ist Ursache der Entwicklung zum Zwangsbekenntnis. (Zusammenhang der Geschichte der Öffentlichkeit mit der der Auseinandersetzung mit der Natur, Zusammenhang von Öffentlichkeit und Gewalt: Am Ende war das Bekenntnis die letzte und fast unabweisbare Form der Gewalt gegen das Subjekt, Instrument der Identifikation mit dem Aggressor. Hier liegt der Zusammenhang von Bekenntnis und den kantischen Formen der Anschauung – dem Inertialsystem. Bekenntnis als Instrument der Verinnerlichung des Tauschprinzips.)
Die heutigen Formen des Fundamentalismus ziehen die falschen Konsequenzen aus der richtigen Einsicht, daß die Mechanismen der Öffentlichkeit gegen Gemeinheit nichts ausrichten.
Das Dazwischentreten der Öffentlichkeit (der institutionalisierten Neutralisierung der Frontalität, des Redens über etwas, hinter dem Rücken der Sache) hat das Bekenntnis von innen zerstört: es hat die Bedeutung des Namens, von der das Bekenntnis lebt, vernichtet. -
13.01.91
Zentrale Stellung des Weltbegriffs: Judentum vorweltliche, Islam Welt-Religion, Christentum weltkritische Religion. Die Geschichte der Häresien hängt mit der Geschichte des Weltbegriffs zusammen; der Ursprung der Häresien ist ableitbar aus dem Geburtsfehler des Selbstverständnisses der Orthodoxie, die seit je die Schöpfung mit der Welt verwechselte; hieraus zogen die Häresien seit der Gnosis logisch die richtigen, aber sachlich falschen Konsequenzen. Die Orthodoxie hat seit je die Symptome (die Häresien) unterdrückt anstatt sie (dem Gebot der Nachfolge und der Feindesliebe gehorchend) zum Anlaß zu nehmen, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen und die Ursachen der Häresien im eigenen Innern zu suchen. Der projektive Anteil im Kampf gegen die Häresien und in der Geschichte der Ketzerfolgung ist immer verdrängt worden, er lag im blinden Fleck der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit. Die Warnung: „parvus error in principio magnus est in fine“ fiel ins Leere. Mit der Reformation (und Gegenreformation) war die Kraft der Häresienbildung deshalb erschöpft, weil angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung und der korrespondierenden Geschichte der naturwissenschaftlichen Aufklärung der Wechsel einzulösen war, den die Kirchen im (konstantinischen) Pakt mit der weltlichen Herrschaft (und die Theologie mit der dogmengeschichtlichen Rezeption des philosophischen Weltbegriffs) unterschrieben hatten. Das theologische Herrendenken war selber Ursprung des weltlichen, gegen das die bis dahin verwandten Mittel (der Inquisition, des Banns und der physischen Verfolgung) dann sich als ohnmächtig erwiesen und nichts mehr ausrichteten.
Birgt der Golfkonflikt nicht ein weit größeres Risiko als z.Z absehbar:
– Religionskrieg, der durch die mögliche Anwendung der militärischen Mittel (ABC-Waffen) die Brutalität und die Folgen des letzten „Weltanschauungskrieges“ übertrifft (das Erbe Reagans: Harmaggedon-Phantasien; Auswirkungen auf Israel, Gefahr des arabisch-islamischen Nationalismus)?
– Weiteres Unrecht im Schatten dieses Konflikts (Litauen – Komplizenschaft der Weltmächte: hat es vielleicht sogar Vor-Absprachen zwischen UdSSR und USA gegeben – Preis für freie Hand im Irak)?
– Wirtschaftliche Folgen: Läßt sich die Dominanz der westlichen Industrienationen halten? Sind weitere Grundstoff-Boykotts und Liefereinschränkungen der sogenannten Dritten Welt mit entsprechenden Folgen auf den „Wohlstand“ im Westen auszuschließen (mit absehbaren politischen Folgen im Innern der westlichen Staaten wie auch im zerfallenden Ostblock aufgrund der schwindenden wirtschaftlichen Möglichkeiten)?
– Weitere politische Folgen: nach dem Zerfall des Ostblocks jetzt Zerfall der moralischen und politischen Hegemonie der USA? Neue politische Rolle der EG (mit dem nach der „Einigung“ gewachsenen und infolge der nationalistischen Welle nicht mehr kontrollierbaren Einfluß der BRD)?
– Vorbereitet u.a. durch den Bau der Startbahn West in Frankfurt? -
12.01.91
Das Bekenntnis war im Ursprung (in den Paulus-Briefen z.B.) Bekenntnis des Namens. Hintergrund und Kontext war das zweite Gebot des Dekalogs; es hing zweifellos mit dem Gebot der Heiligung des (Gottes-)Namens zusammen, die u.U. mit dem Martyrium zusammenfiel, jedenfalls die Passions-, die Leidenserfahrung und deren Beziehung zur Erlösung grundsätzlich mit einschloß. Das Bekenntnis war nicht nur ein abstrakter geistiger Akt, sondern Ausgangspunkt und Quelle praktischer, lernender, gleichsam experimentierender Erfahrung: einer Erfahrung, die auch die Intention der magischen Umsetzung, des Wunders, nicht ausschloß. Das Tabu über die Magie und das Wunder, über den dann als blasphemisch diskriminierten Gebrauch des göttlichen Namens, war, nachdem die Kirche den „magischen“ durch den technischen Gebrauch (durch die Instrumentalisierung der Theologie: Trinitätslehre, Vergöttlichung Jesu, Sakramentenlehre und Opfertheologie), das Wunder durch die verwaltete Gnade ersetzt hatte, dann Teil der antijudaistischen Projektion: In diesem Zusammenhang sind die antijudaistischen Vorurteile über Zauberei, Ritualmord und Hostienfrevel ableitbar und verständlich. Geduldet (und im Hinblick auf das Anerkennungsverfahren gefordert) wurde das Wunder nur noch im Sonderbereich der Heiligenbiographie und Heiligenlegende. Aber auch hier geriet es schließlich in spezielle Konkurrenz zur Technik: als bloße Abweichung von den Naturgesetzen. Gemeinsamer Bezugspunkt war das Verhältnis zur Selbsterhaltung, zu den subjektiven Zwecken in einer (im Wahrnehmungs- und Erfahrungsfeld des Selbstmitleids, auch durch die Schuld der Theologie) verdinglichten und instrumentalisierten Welt. Verwischt (und wegen der politischen Implikationen verdrängt) wurde die Beziehung des Wunders zur Prophetie, zur Erlösung, zur zukünftigen Welt. Hier wurde die enttäuschte Parusieerwartung endgültig storniert; nur durch Selbstmord hat die Theologie den Tod des Wunders überlebt.
Die Entkonfessionalisierung des Christentums führt an das Problem überhaupt erst heran, dessen Lösung vielleicht auch die des Judentums als vorweltliche und die des Islam als Welt-Religion mit sich bringt: Theologie im Angesicht Gottes statt hinter seinem Rücken zu betreiben.
Bedeutung der Feindesliebe: in der Feindschaft die Projektion dessen, was in einem selber steckt und nur verdrängt wurde, zu begreifen: Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit, die zugleich die einzig begründbare Vorarbeit dafür ist, was in den Religionen als seliges Leben vorgestellt erstrebt wurde. Einer Erinnerungsarbeit allerdings, die im Kontext der eigenen Biographie die Schuld der Welt (ihren konkreten historischen Stand) mit aufarbeitet. Hier gilt, daß das Vergangene (Auschwitz, die Inquisition, die Hexenverfolgung) nicht nur vergangen ist, daß das Unaufgearbeitete der Vergangenheit in uns fortlebt und uns zu Wiederholungen des „Verdrängten“ zwingt (der Begriff der Verdrängung trifft den Sachverhalt nicht ganz: dazu gehört auch das im Kontext von Verdrängungen nicht Wahrgenommene: das was vor dem eigenen blinden Fleck liegt). Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß: dieser Satz führt in die direkte Abhängigkeit vom Nichtgewußten, macht mich unfrei. -
11.01.91
Von der geschlossenen Welt zum offenen Universum: Mit der Begründung der modernen Naturwissenschaften ist der antike Kosmos in der Tat untergegangen: im Strudel des Universums. Prinzip des Universums und seiner „Offenheit“ ist die verdinglichende Gewalt des Inertialsystems, das jedes Einzelobjekt zu einem Weltzentrum macht, ihm (allerdings nur als Objekt, d.h. ohne die Chance einer Änderung: gleichsam als reines Opfer) die Last des gesamten Universums aufbürdet. Das physikalische – oder allgemein: das naturwissenschaftliche – Objekt ist reines Exemplar eines Systems, dessen Gewalt in seiner Materialität (im Begriff der Masse und der sie beherrschenden Gesetze) sich ausdrückt. – So erweist sich die Naturwissenschaft als Erbe der Opfertheologie, deren Instrumentalisierung zu den Voraussetzungen der naturwissenschaftlichen Aufklärung gehört.
Das offene Universum ist die Bedingung der Möglichkeit des Plurals „Welten“, die Eröffnung des Abgrunds, der diese Welten von einander trennt und sie zugleich zur selbstzerstörerischen Einheit zusammenschließt, ihr den Schein des selbständigen gegenständlichen Bestehens verleiht. Heidegger hat in seiner Fundamentalontologie die Innenerfahrung dieses Abgrunds beschrieben. Das schwarze Loch ist in jedem Ding (so ist jedes Ding eine Projektion des Selbstmitleids, Ursprung und Produkt der Panik, in der die Vernunft, die Kraft der Identifikation und der Empathie sich von außen nach innen kehren, sich auflösen und verschwinden; die Panik, die objektlose Angst ist der verdrängte Grund der instrumentellen Vernunft, vor dessen Wahrnehmung nur die universale Verblendung noch schützt). – Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit: Wenn es Unsterblichkeit und ein seliges Leben gibt, dann wäre das das stärkste, ja das unwiderlegbare Argument für die Notwendigkeit der Erinnerungsarbeit, die die Geschichte und die Natur mit einbezieht. Die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der realen Geschichte, in der die hypostasierte Natur das Vergessen repräsentiert, macht den zentralen Gedanken der Nachfolge: die Übernahme der Schuld der Welt (oder die Gottesfurcht), zu einer zwingenden und alternativlosen Notwendigkeit. Hier wird das Gebot der Feindesliebe verständlich; und erst hier lösen sich auch die Rätsel der Natur.
Erinnerungsarbeit ist Arbeit gegen den Sog des bleiernen Selbstmitleids und seiner gegenständlichen Derivate. (Das Bekenntnis und seine Inhalte sind im Gravitationsfeld des Selbstmitleids zunächst instrumentalisiert und dann von innen aufgezehrt und zerstört worden; Zusammenhang des Selbstmitleids mit dem Inzest-Tabu; Internalisierung im Rahmen des Ödipus-Konflikts; Zusammenbruch, Einsturz des Gewissens, Faschismus. Neurose/Psychose: Untergang der Neurose in den beiden Weltkriegen; Fortfall des Ödipus-Konflikts; Konsequenzen für die Theologie: Theologie nach Auschwitz)
Natur als Schauplatz der Geschichte: Ästhetisierung der Geschichte nach dem Weltuntergang nicht mehr haltbar; Status des Zuschauers; Affektion auf der Basis des Selbstmitleids = Kunst (Selbstmitleid hat jeder für sich, aber alle gemeinsam das gleiche: Grund des gemeinsamen Selbstgefühls). Rosenzweigs Theorie der Kunst (Zusammenhang mit dem Mythos). Ende der Kunst: Gefühl nicht mehr tragfähig.
Die aristotelische Theorie vom „natürlichen Ort“, dem alle Dinge zustreben, hat ein spätes Echo in Heideggers „Geworfenheit“ und dem „Vorlaufen in den Tod“. -
10.01.91
Die Person ist Gegenstand von (Wert-)Urteilen: darin ist der Zusammenhang der Wertphilosophie mit dem Personalismus bei Scheler begründet. Als Urteilsobjekt aber kann die Person nicht „ich“ sagen (erst die – logisch nicht haltbare – Hypostase des „Ich“ kann zum Gegenstand gemacht werden: das idealistische Absolute).
Ich und Du: Im Liebesbekenntnis wird der Geliebte als göttliches Du angesprochen; darauf antwortet er mit dem Schuldbekenntnis: Ich bin nur ein Mensch. So wird der Schuldzusammenhang aufgelöst: durch Ausbreitung dieser Liebe. – Das Christentum hat dieses Verhältnis auf die Beziehung zu Jesus tendentiell eingeschränkt und so dogmatisch verdinglicht (im christlichen Bekenntnis, in dem die Spuren dieses Verhältnisses noch zu erkennen sind: insbesondere in der Lehre von den zwei Naturen in Christus; das verdinglichte Bekenntnis ist dann zum Modell des politischen Zwangsbekenntnisses geworden – um den Preis der falschen Vergöttlichung des Staates (des falschen Gottessohns), der Hypostasierung des Staates als Prinzip der Anklage, der Stabilisierung des Herrendenkens und des ihm korrespondierenden Verhältnisses des Bewußtseins zur Objektivität, der Erhaltung des so unauflösbar gewordenen Schuldzusammenhangs). Die Ausbreitung durch Nachfolge (in der das Verhältnis von Liebes- und Schuldbekenntnis erlösende Kraft gewinnt) ist von den Kirchen seit je unterbunden worden. – Hierauf beziehen sich die Sätze Adornos: „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil keiner mehr zu lieben fähig ist“, und: „der Ankläger hat immer Unrecht“.
Vor diesem Hintergrund ist die Physik ein Teil der Staatsphilosophie, und ihre Kritik ist ein notwendiges Moment der Kritik an der Selbsterhöhung des Subjekts (der „Empörung“), die stabilisiert und der Reflexion entzogen wird durch eine gleichsam mystische Partizipation an der richtenden Gewalt des Staates. Die Geschichte dieser „Empörung“ läßt sich ablesen an der Geschichte des Natur- und des Weltbegriffs (oder der Herrschaft des Trägheits- und des Tauschprinzips).
Gibt es außer dem Natur- und Weltbegriff noch eine dritte Hypostase des Rosenzweigschen Begriffs des Alls (neben der Neutralisierung des Schöpfungs- und Erlösungsbegriffs durch den Natur- und Weltbegriff die des Offenbarungsbegriffs durch den Begriff der Wissenschaft)?
Raum und Zeit werden nicht von außen an die Dinge herangetragen (oder die Dinge von außen in sie hereingebracht), sondern haften den Dingen an wie das Schneckenhaus der Schnecke. Jedenfalls ist das die mit dem Relativitätsprinzip verbundene Vorstellung. Das einzige Objekt, dessen Beziehung zu Raum und Zeit sich nicht unter diese Vorstellung bringen läßt, ist das Licht (Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: niemand kann über seinen eigenen Schatten springen). Was bedeuten eigentlich das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und die Identität von träger und schwerer Masse für den Stellenwert des Inertialsystems?
Kabarett, Satire, Empörung oder der Genuß, Recht zu behalten: daher die Wirkungslosigkeit des Kabaretts? Lachen als Identifikation mit dem Aggressor (Lachen und Konstituierung des Inertialsystems)?
Alle Religionen tragen heute museale Züge, sind anachronistisch. Gleichwohl gibt es keine Religionskriege mehr. Wenn Kriege so bezeichnet werden (vom Nordirland-Konflikt bis zur Golf-Krise), dann hat das real nur die Bedeutung, daß auch obsolet gewordene Religionen Stellungen des Bewußtseins zur Objektivität repräsentieren und damit Verhaltensweisen stabilisieren, die rationale Konfliktlösungen zumindest erschweren, wenn nicht ausschließen. Die Eröffnung und Begründung von Friedensmöglichkeiten muß die Selbstreflektion der durch religiöse Traditionen bedingten Blockaden von Konfliktlösungsstrategien mit einschließen (im Golf-Konlikt die kritische Selbstreflektion der drei Buch-Religionen).
Ontologie, Wissenschaft und Sprachzerstörung, die „verandernde Kraft des Seins“: das Sein (die Kopula, der indikativische Satz, das apodiktische Urteil) nagelt das Objekt fest, macht es überhaupt erst zum Objekt: setzt es – durch Verwandlung in ein Objekt des Wissens – unter Narkose, durch Subsumtion unter die Vergangenheit (gewußt wird nur das Vergangene, und die Natur nur insoweit, als sie unter die Vergangenheitsform sich bringen läßt). Das Sein ist das sprachliche Äquivalent des Inertialsystems und des Tauschprinzips in der Wissenschaft: Es macht wie diese das Ungleichnamige gleichnamig, es zerstört die Sprache.
Das heutige naturwissenschaftliche „Weltbild“ (das gegenständliche Korrelat eines an Reproduzierbarkeit und Intersubjektivität gebundenen Wahrheitsbegriffs, in dem das Subjekt nicht mehr vorkommt) zieht seine Teilhaber zwangsläufig in den Bann des Vergangenen mit herein. Insoweit ist es ebenso zwangsläufig atheistisch (und jeder Versuch, mit naturwissenschaftlicher Begründung eine Rehabilitierung der Religion zu betreiben, schändet die Religion). Grundlage einer Kritik der Naturwissenschaften ist die Idee des seligen Lebens, ihr Modell die Lehre von der Auferstehung der Toten, nicht die von der Unsterblichkeit der Seele: d.h. die Kritik der Naturwissenschaften verknüpft die Idee einer Resurrektion der Natur (aus dem Totenreich des Inertialsystems) mit der einer Resurrektion des Subjekts (der Befreiung, Erlösung vom Inbegriff und von der Hypostasierung der Selbsterhaltung: vom Bann der Identität und von der Idee des transzendentalen Subjekts).
„Die Ablösung der Herrschaft über Menschen durch die gemeinschaftliche Verwaltung von Sachen“ wäre nur möglich, wenn sich beides wirklich voneinander trennen ließe (vgl. P. Bulthaup: Zur gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften, S. 139). Die Vorstellung, beides ließe sich trennen, fällt hinter die Dialektik der Aufklärung zurück; sie resultiert aus dem undurchschauten Stellenwert der Naturwissenschaften, aus der unbegriffenen Stellung des naturwissenschaftlichen Bewußtseins zur Objektivität. Dazu paßt es, wenn P.B. in seinen Bemerkungen über die Offenbarungsreligion (S. 120ff) unbewußt in antisemitische Konstrukte hineingerät (er hätte vielleicht doch einmal die Propheten und Hermann Cohen lesen sollen). -
08.01.91
Vorrangiges Objekt der Physikkritik ist das Inertialsystem: als Grundlage und Referent aller physikalischen Begriffe. Bedeutung der zwei zentralen Entdeckungen Einsteins:
– spezielle Relativitätstheorie: das System ist gegen gleichförmig-geradlinige Bewegungen invariant (Lichtbewegung keine Trägheitsbewegung; Elektromagnetische Gleichungen nur Form der Objektivation unter den Bedingungen des Inertialsystems, Hinweis auf Differenz zur zugrundeliegenden Realität; Konstanz der Lichtgeschwindigkeit: das System ist endlich, „nach innen“ begrenzt);
– allgemeine Relativitätstheorie: träge und schwere Masse sind identisch: Fallbewegung gleich Trägheitsbewegung: Anpassung des Inertialsystems: das System muß auch gegen gleichförmig beschleunigte Bewegungen invariant sein („Krümmung“ falsche Erscheinung im Inertialsystem, selbstreferentielle Beziehung: „nach außen“ begrenzt).
Das Licht und die Schwerkraft sind dem Inertialsystem transzendent. Ihre Subsumtion unters Inertialsystem (die Schwerkraft am Anfang, das Licht am Ende des naturwissenschaftlichen Objektivationsprozesses): ihre Vergegenständlichung ist Produkt einer Vermittlung, die ihr Resultat nicht unberührt läßt (gibt es hierzu gesellschaftliche Korrelate: die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip begründet den Kapitalismus, die der Privatsphäre, der sinnlichen Qualitäten, der technischen Reproduzierbarkeit der sinnlichen Welt: des Inbegriffs der entfremdeten Subjektivität und der Verinnerlichung der Dialektik von Herr und Knecht, beschließt ihn).
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und der Identität von träger und schwerer Masse?
Die Trägheitsbewegung ist ein Derivat der Fallbewegung („die Welt ist alles, was der Fall ist“). Nur das Licht ist dem Fall enthoben? Die Simultaneität des Raumes (des Inertialsystems) ist ein durch den Fall vermitteltes Derivat der Gegenwart (des Lichts), die dem Vergehen – und dem Wissen – ein Objekt verschafft (die Vergangenheit, die nur als eine der Gegenwart entfallene Vergangenheit sich denken läßt: es gibt keine ursprüngliche Vergangenheit).
Gegenstand des Wissens ist das Vergangene: wie wird es zum Gegenstand des Wissens? In der Physik durchs Inertialsystem, in der Philosophie durch den Begriff (Vernichtung und Aufhebung des Objekts).
War die Virginitas (das weibliche Korrelat des Bekenntnisses) ein Protest gegen den Warencharakter der Frau (Ehevertrag als Kaufvertrag; Beischlaf als Kauf- und Nutzungsakt)? Steckt darin auch ein Hinweis auf die Bedeutung des Bekenntnisses (Vergeistigung der Zeugung: objektiviert in der Trinitätslehre)? Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Bedeutung der evangelischen Räte (Gehorsam, Armut und Keuschheit): Ihr könnt nicht zugleich Gott dienen und dem Mammon. Die unbefleckte Empfängnis war demnach die vom Tauschprinzip unbefleckte Empfängnis; und Maria ist Jungfrau geblieben heißt: sie ist nicht Eigentum des Mannes geworden. Die Biologisierung des Keuschheitsgebots ist (zusammen mit den damit verbundenen paranoiden Blut- und Reinheitsvorstellungen) Modell und Ursprung des Rassenantisemitismus.
Das Bekenntnis liegt in der Nachfolge des Martyriums: der Zeugenschaft. Frauen waren nicht bekenntnisfähig, weil sie nicht Zeugen sein konnten (das Martyrium war möglich, das Bekennertum nicht: Folge der Anpassung an die Welt; gleichzeitig Biologisierung der Jungfrauenschaft). Ursprung der Zeugenschaft ist das (Straf- und Zivil-)Recht: der Nachweis eines Verbrechens und der Vertragsstreit, der Streit über ein Schuldverhältnis, der durch zwei Zeugen aufgelöst, befriedigt werden kann (Vgl. hierzu die Bemerkungen von Lyotard zu Auschwitz).
Die paulinische Kritik des Gesetzes, sein Rechtfertigungs- und Glaubensbegriff, seine Gnadenlehre, seine Christologie, seine Lehre von der Eucharistie, von Tod und Auferstehung, auch seine Frauenfeindlichkeit werden vor diesem Hintergrund verständlich?
Ödipuskonflikt in der realen Geschichte des Christentums begründet? Inzesttabu und Verletzung des Inzesttabus (Mutterideologie als letzte und gefährlichste Phase des Säkularisationsprozesses: vgl. Drewermanns Kleriker-Buch). -
07.01.91
Die Gewalt der ökonomischen und politschen Anpassungsmechanismen, die den Herrschenden zugute kommt und sie gegen Kritik abschirmt und immunisiert, wird stabilisiert und verstärkt durch einen Naturbegriff, der zum Produkt und zum Inbegriff der Instrumentalisierung geworden ist: durch den Stand der Naturwissenschaften und die Unfähigkeit, ihn kritisch zu reflektieren.
Modell des Instrumentalisierungsprozesses in der Natur war der in der Religion: der Dogmatisierungsprozeß. Sein Resultat, das „Bekenntnis“ (und seine dogmatische Ausgestaltung, insbesondere die Trinitätslehre, die Lehre von der Göttlichkeit Jesu und die Opfertheologie) steht zu ihrem Inhalt, zur Religion, in ähnlicher Beziehung wie das Inertialsystem zur äußeren Natur. Die Theologie war ein Teil des Aufklärungsprozesses, dessen immanentes Telos die Naturbeherrschung ist.
Die dogmatische Theologie (hinter dem Rücken ihres Gegenstandes; deshalb ist sie auf den Begriff der Person angewiesen) ist schon durch ihr Objektverständnis, durch die Form ihrer Beziehung zur Objektivität, blasphemisch: Sie leugnet nicht nur die Gottesfurcht, sie verstellt sie, macht sie unkenntlich.
Ob es „einen Gott gibt“, diese Frage ist ebenso müßig wie die, warum es überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts. Sowohl ihre positive wie ihre negative Beantwortung wäre anmaßend. Aber unabhängig davon ist jede Erkenntnis irrelevant, die nicht an den Bedingungen sich messen läßt, die einmal im Begriff der Gottesfurcht zusammengefaßt waren; die Nachfolge ist zu einer Überlebensfrage der Menschheit geworden.
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