Dieser Tage eine Meldung in den Nachrichten: Das israelische Fernsehen bringt jede Nacht live das Bild der Skyline von Tel Aviv; so können die Menschen dort bei einem Raketenalarm in ihren Schutzbunkern direkt den Anflug und evtl. den Einschlag der irakischen Raketen beobachten. Erfüllung der ebenso wahnsinnigen wie makabren Vorstellung (letztlich der Idee des Fernsehens überhaupt): Zuschauer bei der eigenen Vernichtung, zuletzt auch beim Weltuntergang zu sein. – Konsequenzen für eine Kritik der Metaphysik (als Inbegriff der Theoria, der kontemplativen Erkenntnis – auch der Idee der seligen Anschauung Gottes?) und der Transzendentalphilosophie (der Bedeutung der subjektiven Formen der Anschauung für den Erkenntnisprozeß).
Selbstzerstörung der Theologie durch die Metaphysik, durch ihren Gegenstands- und Wahrheitsbegriff.
„Das Bekenntnis (zu den USA im Golfkrieg) begründet unsere Glaubwürdigkeit“: Mittlerweile sind Fragen, die durch Vernunft zu entscheiden wären, schon Bekenntnisfragen geworden; steckt darin die deutsche Krankheit, sich gleichsam nur noch von außen: im Spiegel der Öffentlichkeit zu sehen und so jede Äußerung als Bekenntnis vor der Öffentlichkeit (der Weltmeinung, der Geschichte: dem Weltgericht, als das wir in gut hegelscher Tradition das Ende des letzten Weltkrieges erfahren haben) zu bewerten? Geht es hier nur darum, daß andere „uns glauben“ (und so unser Selbstbewußtsein begründen), und nicht darum, daß wir die Souveränität einer Selbstgewißheit gewinnen, die aus der Kraft der Begründung unseres Handelns erwächst?
Die Abdankung des Subjekts vor der Natur (durchs Bekenntnis, durchs Tauschprinzip und durchs Trägheitsgesetz) ist der Grund der Aggression und des Fanatismus: der Mordlust des Existentiellen.
Identität und Gegensatz (Feindschaft) von Welt und Natur, Tauschprinzip und Trägheitsgesetz (Genesis und Geltung). Natur ist der Inbegriff des Anderen der Welt, des Nichtidentischen, des Nicht-Säkularisierbaren; aber dieses Andere, Nichtidentische, Nicht-Säkularisierbare ist durch die Konstituierung und die Geschichte der Welt vermittelt, ist Produkt der Säkularisation. Der Sieg der Welt über die Natur ist ein Pyrrhus-Sieg: der Besiegte ist nicht die Natur, sondern die Welt selber. Der Feminismus vertritt die Natur gegen die Welt.
Läßt sich die Geschichte von Kain und Abel (und dann Set) auf das Verhältnis von Welt und Natur beziehen? Abel (der Hirt) ist der Jüngere, Kain (der Ackerbauer) der Ältere (und nach dem Brudermord der Gezeichnete und ein Städtegründer, der die Stadt nach seinem Sohn Henoch benannte; und in der letzten Generation die Begründer von Technik und Kultur). Die Welt als urgeschichtlicher „Brudermörder“, der Brudermord die Grundlage des Fortschritts. – In der Nachfolge Sets „begann man den Namen des Herrn anzurufen“, sie endet mit Noach (Adam benannte die Tiere, Abel brachte das erste Tieropfer dar, Noach rettet die Tierwelt vor der großen Flut).
Ist der Zeugungsbegriff in der Trinitätslehre ein Indiz ihrer Unwahrheit? Er unterstellt, daß der Sieg der Welt über die Natur erreichbar, ja schon erreicht sei. Der Begriff der Zeugung ist ein Weltbegriff, kein Naturbegriff (oder vielmehr: ein von der Welt usurpierter Naturbegriff)? – Filius meus es tu, hodie genui te? Wie hängt die Zeugung mit dem Zeugen und dem Zeugnis zusammen (das patrimonium mit dem testimonium)?
Februar 1991
-
03.02.91
-
02.02.91
Bekenntnis, Welt, Komplizenschaft, Existenz (auch Schicksalsgemeinschaft, Volk): Das Bekenntnis der anderen fordert nur, wer sich seiner eigenen Haltung nicht sicher ist: wer ein schlechtes Gewissen hat, das er mit Hilfe der Zustimmung der anderen verdrängen, aber um keinen Preis aufarbeiten möchte (da er glaubt, die Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten, nicht ertragen zu können). Mit anderen Worten: er sucht Mittäter und Komplizen; und wer das Bekenntnis ablegt, erklärt sich dazu bereit. Gründe für eine Erpressbarkeit gibt es viele: bei den Oberen der zu erwartende Gewinn eines Geschäfts, unten die Verantwortung für Frau und Kinder (Beruf, Familie), in jedem Falle sind es Gründe, die man „existentielle Gründe“ wird nennen dürfen, oder auch Gründe der Welterhaltung (im privaten und im politischen Sinne: das Existentielle ist der Existenzfaktor der Welt, dessen Subjekt der Einzelne, ein Staat oder eine andere Gemeinschaftsbindung ist; Ursprung des Begriffs der „Eigentlichkeit“). Der philosophische Existenzbegriff hängt mit dem der transzendentalen Logik zusammen: Glaubensbekenntnis und Schöpfungsbegriff (Konsequenz des Bekenntnissyndroms: von des Erschaffung des Himmels und der Erde zur Erschaffung der Welt; Ursprung der Geschichte der Häresien und des Dogmas).
Wenn nicht mehr Gerechtigkeit die Welt trägt, dann wird das Bekenntnis zu ihrem Einheitsprinzip und zum Grund ihres Bestehens: Der Zerfall des Bekenntnisses löst Erdbeben und Überflutungsängste aus (vgl. Mt 2751).
Wenn Frauen (als Repräsentanten nicht der Welt, sondern der Natur) nicht bekenntnisfähig sind (und nur als Jungfrauen, kraft ihrer Unschuld, heilig werden konnten), so hängt das damit zusammen, daß sie aufgrund ihrer Stellung im System nicht erpressbar sind (was dann merkwürdigerweise von den Männern als Mangel angesehen wurde – vgl. Hegels Wort von der Schuld als der Ehre des großen Charakters!). – An der Formulierung des Dogmas waren keine Frauen mehr beteiligt; aber welche Funktion hatte die Frauen (Mütter?) im Umfeld der Kirchenväter? (Helena, Monika u.a.)
Sind die Frauen das seit Bloch vergeblich gesuchte „Subjekt der Natur“ (und die Männer das der Welt)?
War die Existenzphilosophie die letzte männliche (Bekenntnis-oder Welt-) Philosophie? – Reduziert auf den heroischen männlichen Charakter, die Stummheit und die Komplizenschaft: die Haltung.
Die Konfessionen sind die Endstationen des säkularisierten Christentums: deshalb war hier die Kraft der Häresienbildung verbraucht, erschöpft (Entkonfessionalisierung statt Ökumene). -
01.02.91
Das Existentielle ist die wütende Spitze der Betroffenheit, Verdrängung der Reflexion, zivilisiertes Schamanentum.
Erst wenn die Theologie selbst sich aus ihren double-bind-Fallen befreit, wird ihre Neubegründung möglich sein.
Philosophie als Internalisierung des Schicksals und Instrumentalisierung des Absoluten: das hat der Islam versucht, in Religion zurückzuübersetzen. Der Gott des Islam ist der Schicksalsgott: Versuch, den verinnerlichten Schicksalsbegriff wieder ins Objektive zu wenden, aber das in einer Phase, in der es eigentlich nicht mehr möglich war. Der Islam ist eine kosmologische Religion; er hat die naturwissenschaftliche Aufklärung, die die alte Kosmologie (und deren gesellschaftliches Äquivalent) auf den Kopf stellt, nicht mitvollzogen. Das Christentum hat dann – nach der Rezeption der islamischen Aufklärung – am islamischen Theologie- und Gesellschaftsbegriff festgehalten; es hat die naturwissenschaftliche Aufklärung und die gleichzeitigen gesellschaftlichen Veränderungen nur hilflos und ohnmächtig aus sich entlassen müssen, ohne sie durch Reflexion aufarbeiten zu können: diese Entwicklung lag im blinden Fleck des nachkonstantinischen und nachislamischen Christentums.
In der griechischen Philosophie macht sich das Subjekt selbst zum imaginären Herrn des Schicksals; es verfällt aber eben damit der Gewalt der Reflexionsbegriffe.
Gottvertrauen kann allein das Vertrauen in die göttlichen Verheißungen sein, aber ist das heute noch möglich?
Der Satz, daß Gott niemanden über seine Kraft vesucht, wird heute, da die Geschichte der Versuchung in einen Engpaß treibt und erstmals die ganze Menschheit umgreift, auf die Probe gestellt.
Die Verarbeitung des Kreuzestodes in der Opfertheologie und deren Realisierung in der Volksfrömmigkeit hat (durch die subjektiv gewendete Leidensmystik, durch den Kult des Selbstmitleids) mehr zur Verdrängung des Ereignisses als zu seiner wirklichen Erinnerung beigetragen. Sie hat uns auf die Täterseite transportiert.
Allein in dem Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ wurde der Mechanismus durchbrochen, der uns hinsichtlich des Kreuzestodes Jesu auf die Täterseite stellt.
Ist Hephaistos das Objekt des homerischen Gelächters?
Die spezielle Relativitätstheorie hat das Inertialsystem erstmals der Reflexion zugänglich gemacht, es als Grundlage der Reflexionsbegriffe und ihrer Wirksamkeit, insbesondere der Macht der Derealisierung, erwiesen (vgl. den Zusammenhang mit dem Objektbegriff); in diesem Zusammenhang ist die Quantenmechanik, die das kritische Moment des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit neutralisiert, es erneut instrumentalisiert, tatsächlich ein ferner Verwandter, ein später Nachkömmling der Hegelschen Dialektik.
Die Zensur bei der Berichterstattung über den Golfkrieg ist aus militärischer Sicht schon deshalb notwendig, weil dieser Krieg nicht mehr zu führen wäre, wenn wahrheitsgemäß mit der heute möglichen Aktualität über ihn berichtet würde.
Die ganze Adornosche Philosophie ist eine Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums.
Der Islam ist die Anpassung der jüdischen Religion an die Bedingungen des Heidentums, unter Fortfall der Opfertheologie. Allah ist der Gott des Erbarmens, er verzichtet jedoch auf die Forderung der Umkehr, an dessen Stelle der Islam, die Unterwerfung tritt.
Adorno Aktueller Bezug Antijudaismus Antisemitismus Astrologie Auschwitz Banken Bekenntnislogik Benjamin Blut Buber Christentum Drewermann Einstein Empörung Faschismus Feindbildlogik Fernsehen Freud Geld Gemeinheit Gesellschaft Habermas Hegel Heidegger Heinsohn Hitler Hogefeld Horkheimer Inquisition Islam Justiz Kabbala Kant Kapitalismus Kohl Kopernikus Lachen Levinas Marx Mathematik Naturwissenschaft Newton Paranoia Patriarchat Philosophie Planck Rassismus Rosenzweig Selbstmitleid Sexismus Sexualmoral Sprache Theologie Tiere Verwaltung Wasser Wittgenstein Ästhetik Ökonomie