Zum Begriff der Frage (Seinsfrage, Judenfrage, deutsche Frage) vgl. die Abfolge der Situationen in den drei Verleugnungen Petri:
– die Magd fragt den Petrus (der leugnet),
– dann spricht sie mit den Umstehenden über Petrus (hinter seinem Rücken; der leugnet wieder),
– dann dringen die Umstehenden auf ihn ein (er verflucht sich selbst und leugnet nochmals).
Die erste Frage wird aufgrund der Situation als Anklage erfahren, deshalb (als Rechtfertigung, als Apologie) die Leugnung. In der ersten antwortlosen Frage ist die weitere Entwicklung, die in der Selbstverfluchung endet, bereits enthalten. Das ist präzise die Fragestruktur in der Fundamentalontologie, in der Seinsfrage, in der Judenfrage etc. Die Frage ist objektlos, sie treibt über die gesellschaftliche Gewalt, die sie auslöst, zur Selbstverfluchung des Objekts. Sie ist objektlos, weil sie diese Selbstverfluchung antezipiert und bereits in sich enthält.
„Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.“ (Joh 19f) Er kam in die Welt wie Schafe unter die Wölfe. Die johanneische Welt ist die Wolfswelt (die gefallene Welt), geschaffen, aber nicht die Schöpfung. Vgl. auch Joh 129: „Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt.“ Für diese Welt gilt: Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben.
April 1991
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30.04.91
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28.04.91
Zu den Problemen des Vaterbegriffs gehört es, daß die davidische Abstammung über Josef geht, Josef selbst aber nicht der Vater Jesu ist. Daß Josef später nicht mehr vorkommt, daß aber der Vaterbegriff Jesu trotz allem sehr auf Josef bezogen ist: daß er keinen Vater hat, macht ihm Gott zum Vater. Er hat eine Mutter (was hab ich mit dir zu schaffen?) aber keinen Vater. Der Vaterbegriff scheint dann ja auch in den einzelnen Evangelien mit unterschiedlicher Akzentuiereng, Betonung und Häufigkeit vorzukommen. Der Vaterbegriff ist – wie mir scheint – in der jüdischen Tradition so nicht vorgebildet. Mit dem Vaterbegriff hängt dann auch der fatale trinitarische Begriff der Zeugung zusammen. Frage: Ist das achte Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis geben …, eine Widerlegung oder eine Bestätigung des Christentums? Oder ist die Zweideutigkeit des Zeugungsbegriffs nur eine Suggestion des deutschen Sprachgebrauchs? Im Lateinischen wird zwischen dem generare und dem testare unterschieden.
Die Atome, Moleküle (Avogadrosche Zahl), Elementarteilchen sind Knotenpunkte des durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit korrigierten Inertialsystems.
Ist der „unbewegte Beweger“ des Aristoteles der Inbegriff aller Gravitationszentren (zumindest ist er das seit den Kant-Laplaceschen Weltentstehungstheoriem geworden)?
Die christliche Theologie war seit ihren Anfängen Apologetik. Ihr beliebtestes Werkzeug war – spätestens seit dem ontologischen Gottesbeweis – die Theodizee. Beide, der ontologische Gottesbeweis und die Theodizee, sind den Theologen spätestens mit Auschwitz aus der Hand geschlagen worden. Ist die Trinitätslehre auch eine Gestalt der Theodizee, oder nur ihr systemlogischer Ursprung? Wenn die Theologen nicht in der gleichen Geschichte das Hören verlernt gehabt hätten, hätten sie diese Katastrophe vorher kommen hören (in ihrer eigenen Sprache, in der Sprache der Erbaulichkeit). Die Theodizee war seit je ein Teil der Scheinheiligkeit, die sich im kirchlichen Pomp aufs drastischste manifestiert und darin sich um die Gottesfurcht herumgelogen hat. Wenn doch diese verstockte Christenbande endlich begreifen würde, welche Konsequenzen sie aus dem Nachfolge-Gebot ziehen müßte und daß nicht Gott sich für das Böse in der Welt rechtfertigen muß.
Adornos „Eingedenken der Natur im Subjekt“ bleibt an die Begriffe von Natur und Subjekt gebunden, die eigentlich zu kritisieren wären.
Kennzeichnend für den Zustand der Theologie ist es, daß von den zentralen theologischen Kategorien wie z.B. Gottesfurcht oder „im Angesicht Gottes leben“ nur noch ein erbaulicher Gebrauch gemacht wird, der in den Kontext der Scheinheiligkeit hineingehört. Grund ist die metaphysische Interpretation des Ergebnisses der Säkularisation.
Das wesentlich Neue bei Marquardt ist, daß er begriffen hat, daß nach Auschwitz jede apologetische Haltung gegenüber den Juden untersagt ist; nicht begriffen hat er, daß Mission (die Ausbreitung des Bekenntnisses) insgesamt eine Form der Apologetik ist. In diesem Zusammenhang erweist sich „Empörung“ (der Quellpunkt des autoritären Denkens) als die Versuchung, der unsere Theologie immer wieder erliegt.
Die Einführung des Personbegriffs in die Theologie war die Folge einer falschen Übersetzung durch Tertullian; im Griechischen heißt es soma. Genau hier ist der Punkt, an dem das physische Martyrium (die Heiligung des Gottesnamens) durch das seelische Selbstmitleid ersetzt wird. Hier setzt sich die Kirche an die Stelle der Armen und der Fremden und begründet so ihre hierarchisch-autoritäre Struktur (und den Pompzwang). Durch den Personbegriff ist die Sünde wider den Heiligen Geist fest in der Theologie installiert worden. Und hier ist der Punkt, an dem Gott, Mensch und Welt fast unrettbar in den Schuldzusammenhang eingebunden worden sind.
Trug meine Anpassung an kirchliche Bräuche, insbesondere mein Verhalten im Gottesdienst, vielleicht doch von Anfang an subversive Züge: Ich wollte nicht (zu früh) erkannt werden. Hierzu paßt es, daß ich nach dem Krieg sehr kurzentschlossen Theologie studieren wollte, mir aber nie vorstellen konnte, einmal Priester zu werden.
Auf eine wirkliche Berufung kann man sich nicht berufen (zum Titel des Professors). Bedeutung des Begriffs Berufung: jdn. berufen, sich berufen, berufen werden, Berufung einlegen.
Im Begriff des Feindbildes verschmelzen die Übertretungen des Bilderverbots und des Gebots der Feindesliebe. Sind nicht alle Bilder Feindbilder? Sind nicht Idole (Götzenbilder) Projektionsflächen für die Identifikation mit dem Aggressor und deshalb untersagt? Und ist nicht das Gebot der Feindesliebe der subjektive Aspekt des Bilderverbots?
Der Dekalog wird traditionell so aufgeteilt, daß die ersten drei Gebote als die eigentlich theologischen Gebote als die wichtigsten angesehen werden, während die folgenden nur das Zusammenleben der Menschen regeln, somit zweitrangig sind. Könnte es nicht sein, daß bei näherem Hinsehen die Akzente sich doch ein wenig verschieben.
– Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten: bedeutet doch auch, daß es untersagt ist, Theologie hinter dem Rücken Gottes zu betreiben.
– Ebenso das vierte Gebot: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest und es dir wohl ergehe auf Erden. Hier geht es nicht um die autoritäre Familienbindung, sondern darum zu begreifen, daß man die Eltern nicht als Projektionsfolie für eigene Fehler nutzen darf, daß man am Ende selbst die Verantwortung für den eigenen Charakter übernehmen muß.
Susanne Albrecht und Ezechiel: Das „dixi et salvavi animam meam“ ist nur einem Propheten (im Rahmen von Herrschaftskritik) erlaubt; im profanen Gebrauch (im Rahmen der Kronzeugenregelung) wird es zur Denunziation, zur Verletzung des achten Gebots. Sie hat ihre Haut, nicht ihre Seele gerettet.
Die Staatsfrömmigkeit, die im Titel des Staatsanwalts sich ausdrückt, hat u.a. lutherische Ursprünge (bzw. paulinische). Und der Säkularisierungsschub, den der Protestantismus ausgelöst hat, hat offensichtlich seine Grenze in seiner Beziehung zum Staat. Und diese Staatsbeziehung ist es, die den Protestantismus auf spezielle Weise anfällig gemacht hat für den Antisemitismus, d.h. auf pathologische Weise empfindlich gemacht hat gegen das Moment von Herrschaftskritik, das in der jüdischen Tradition enthalten ist. Hier scheint der kritische Punkt beim Friedrich-Wilhelm Marquardt zu liegen, wenn er sein Votum für Israel auch auf den israelischen Staat bezieht.
Kann es sein, das Marquardtsche Votum für den Staat Israel damit zusammenhängt, daß Israel durch den Staat in den Bekenntnizwang hereingezogen wird? Und Henryk M. Broder und Micha Brumlik sollten vielleicht doch einmal darüber nachdenken, ob nicht ihre Stellungnahmen in der letzten Zeit mehr mit der Schaffung „klarer Fronten“ als mit einer Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zu tun haben, und ob nicht die Aufteilung in Gute und Böse, und die Anwendung des Prinzips „Wer nicht für mich ist, ist wider mich“ in die Mechanismen hineinführt, aus denen der Antisemitismus erwachsen ist: das ist ein böses Erbe des Christentums. Mir ist ein Jehoshua Leibowitz immer noch lieber als ein Micha Brumlik der auf den Bileam Marquardt hereinfällt.
Zur Kritik von Metaphysik: Die Verwechslung von Kontingenz und Geschöpflichkeit ist identisch mit der Verwechslung des Untertans mit dem Geschöpf (und des Staats mit dem Schöpfer: hier trifft die gnostische Kritik des Schöpfergotts).
Wie hängt die Institution des Bundespräsidenten mit der Bekenntnislogik zusammen (Personalisierung des Staates)?
Der Behemoth reicht (wie der Leviathan) in die Saurierzeit zurück; das Rätsel beider läßt sich wahrscheindlich nur gemeinsam lösen.
Was kommt alles zweifach vor? Jahwe und Elohim, die Urflut und die Wasser (über denen der Geist brütet), die Wasser über und unter dem Firmament, Mond und Sonne, herrschen über Tag und Nacht, Behemoth und Leviathan, Kain und Kenan, Adam und Noach.
Zur Konstruktion der Verblendung, des Verblendungszusammenhangs: Grundlage ist die Empörung, die Konstitution des Herrendenkens, des vergesellschafteten Subjekts; vorbedeutet im Verhältnis von Licht und Finsternis, Tag und Nacht, Sonne und Mond, Wachen und Schlaf, Leben und Tod, Name und Begriff. Wir werden geweckt, auferweckt, wenn wir beim Namen gerufen werden. Zusammenhang mit der Trennung von Zukunft und Vergangenheit (Idee der Gegenwart).
Wo und in welchem Zusammenhang erscheint in der Schrift die Aufforderung zu wachen? Wie hängt das Gebot zu wachen mit dem Beten zusammen?
Hier sind die Kinder dieser Welt wieder einmal klüger als wir: Im brain-storming haben sie längst entdeckt, was heute nottut (allerdings auch wieder unter Kontrolle gebracht): die Erinnerungsarbeit.
Im Schöpfungsbericht gibt es sieben Tage, aber nur sechs Nächte: nach dem siebten Tag gibt es keine Nacht.
Hat nicht der Aufklärungsprozeß, die Geschichte der Säkularisation, die ganze Welt in Nacht getaucht? Die Romantik hat nur den Mond entdeckt, nicht die Sonne. Und die Kirche wird den Herrn dreimal verleugnen und beim Hahnenschrei erwachen.
Ferdinand Ebner und Florens Christian Rang sind wohl die ersten im Christentum gewesen, die im Ansatz begriffen haben, welche Konsequenzen sich aus der Idee eine Theologie im Angesicht Gottes ergeben. Bei Florens Christian Rang in seiner Idee einer messianischen Erkenntnistheorie und in dem Ziel, nicht die Unendlichkeit Gottes, sondern seine Endlichkeit zu begreifen. Ferdinand Ebner fällt hinter seine eigene Einsicht zurück, wenn er die Ich-Du-Beziehung wieder in seine Ich-Einsamkeit zurücknimmt. Christ kann man nicht alleine sein, nur gemeinsam mit anderen. Das gemeinsame Gebet, die gemeinsame Auflösung der Ich-Einsamkeit: die Ausgießung des Geistes.
Die Vergöttlichung Jesu, die ihn zum Objekt der Anbetung macht, ist der Balken im christlichen Auge. Hier wurde auf Erden gebunden, was dann auch im Himmel gebunden war; der Weg der Nachfolge versperrt. Vgl. Büchners „Lenz“: Herr Pfarrer, wenn ich Gott wäre, ich würde retten, retten.
Mit dem homoousia haben wir ihn getötet, den cäsarischen Wahn, mit dem wir Macht über den Vater zu erlangen suchten, in die Fundamente der westlichen Zivilisation mit eingebaut. Der Preis dafür war der Antijudaismus (und schließlich der Antisemitismus, die letzte Reichsideologie). „In hoc signo vincis“: Als Siegeszeichen wurde das Kreuz zum Zeichen des Tieres.
Großartig erinnert Freud an „die Stimmung unserer Kindheit, in der wir das Komische nicht kannten, des Witzes nicht fähig waren und den Humor nicht brauchten, um uns im Leben glücklich zu fühlen“. (Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Fischer Bücherei, Frankfurt 1958, S. 193)
Gott schuf:
– Himmel und Erde,
– das Licht (1),
– alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
– den Menschen (6).
Gott schied:
– das Licht von der Finsternis (1),
– die Wasser unterhalb des Gewölbes von den Wassern oberhalb des Gewölbes (2)
Gott machte:
– das Firmament (2),
– die Lichter am Firmament (4),
– alle Arten von Tieren des Feldes, alle Arten von Vieh und alle Arten von Kriechtieren auf dem Erdboden (5).
Es sammle sich:
– das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde (2).
Das Land lasse wachsen:
– junges Grün, alle Arten von Pflanzen, die Samen tragen, und von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin (3).
Das Land bringe hervor:
– alle Arten von lebenden Wesen, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes (5).
Gott nannte:
– das Licht Tag und die Finsternis Nacht (1),
– das Gewölbe Himmel (2),
– das Trockene Land, das angesammelte Wasser Meer (3).
Herrschen sollen:
– das größere Licht über den Tag, das kleinere über die Nacht (4),
– die Menschen: unterwerft euch die Erde und herrscht über die Fische des Meeres, das Vieh, die Vögel des Himmels und alle Kriechtiere auf dem Land (6).
Gott segnete:
– alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln (5),
– die Menschen (6),
– den siebten Tag (7).
Nahrungsgebot:
– Für die Menschen alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen und alle Bäume mit samentragenden Früchten (6),
– für die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und alles, was sich auf Erden regt, was Lebensatem in sich hat: alle grünen Pflanzen (6).Adorno, Aktueller Bezug, Antijudaismus, Antisemitismus, Aristoteles, Auschwitz, Bäume, Bekenntnislogik, Broder, Brumlik, Büchner, Christentum, Ebner, Einstein, Empörung, Erbaulichkeit, Feindbildlogik, Freud, Justiz, Kant, Laplace, Leibowitz, Lüge, Marquardt, Naturwissenschaft, Rang, Selbstmitleid, Sprache, Theodizee, Theologie, Tiere, Wasser -
27.04.91
Jes 22f und Mi 41f auf das Bekenntnis und das verdinglichte Dogma anwenden. Beide sind in der Geschichte des Christentums zur Waffe geworden; an ihnen klebt Blut.
„Schwerter zu Pflugscharen“: d.h. Objektivierung durch Nachfolge ersetzen (Entkonfessionalisierung). „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen (den Acker bebauen).“ -Damit hängt auch Benjamins Wort über Rosenzweig zusammen, daß er es vermocht hat, die Tradition auf dem eigenen Rücken weiterzubefördern, anstatt sie seßhaft zu verwalten. Die Verwaltung ist das gegenständlich-politisch-gesellschaftliche Korrelat des Bekenntnisses. Es gibt keine Verwaltung ohne Bekenntnis, und kein Bekenntnis ohne Verwaltung (so wie keine Verwaltung ohne Hierarchie und keine Hierarchie ohne Verwaltung). Das erste kirchliche Verwaltungsamt ist das des Bischofs, des Aufsehers (des Hüters des Bekenntnisses: Heideggers Hirt des Seins ist ein spätes Echo davon).
Über den geschichtsphilosophischen Zusammenhang von Bekenntnis und Empörung, oder Empörung als Versuchung.
Woher stammt die Legende (und welche Bewandnis hat es mit ihr), daß Petrus mit dem Kopf nach unten gekreuzigt worden sein soll?
Die Diakonie wäre das Wesen des Christentums, wenn die Interpretation von Elisabeth Moltmann-Wendel (unter Bezugnahme u.a. auf Schüssler-Fiorenza) zutreffen würde. Dann wäre das Dienen ein nicht mehr vom Herrendenken entstelltes und verhextes Dienen.
Gibt es eine Beziehung zwischen unserer Beziehung zur präzivilisatorischen Vergangenheit und unserer Beziehung zur Natur (ist die Grenze zur Vorgeschichte auch die zur Natur: der Ödipuskomplex)?
Der Schlüssel zum Lösen liegt nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit und erscheint deshalb als unzugänglich; unterschätzt wird die Kraft der Erinnerungsarbeit, des Eingedenkens. Vgl. hierzu Ezechiel (Auferstehung). Kann es sein, daß die Lösung des Rätsels der Gnosis ein Teil der Lösung im Sinne von Mt 1618 (?) wäre. Hier, in der Auseinandersetzung mit der Gnosis hat die Kirche erstmals gebunden und nicht gelöst. Und diese erste Bindung hatte möglicherweise etwas von dem parvus error in principio (hat die Kirche nicht den gnostischen Demiurgen dann in der Tat zum Gott der Christen gemacht; oder hat die Gnosis nicht nur offen ausgesprochen, was unter den Händen der Kirche aus Gott geworden ist).
Nicht das Ergebnis des Säkularisationsprozesses ist falsch, sondern seine Interpretation. Hier wird die Humesche Tradition, die durch Kant nicht widerlegt, nur lokalisiert worden ist, wichtig.
Der säkularisierte Staat ist es erst wirklich, wenn er die Rechtfertigungszwänge abbaut, die insbesondere in den schuldbezogenen Institutionen wie die Justiz fortleben. In welcher Beziehung zum Bekenntnissyndrom steht die Institution des Bundespräsidenten (des säkularisierten Königs)?
Modell für die Verdoppelung ist das Sich-Verstecken Adams. Wo versteckt sich Adam? Haben die Bäume, unter denen er sich versteckt, etwas mit den Dornen und Disteln zu tun? Adam redet sich dann auf Eva heraus, Eva auf die Schlange; und was sagt die Schlange?
Geliebt wirst du einzig, wo du ohne Furcht dich schwach zeigen darfst (Adorno: Minima Moralia). Das hängt zusammen mit der Utopie eines Lebens ohne Rechtfertigungszwang. Deshalb: Seid klug wie die Schlangen … Ohne Rechtfertigungszwang kann man nur leben, wenn man den Schein durchschaut, der anklagendem, richtenden Denken zugrundeliegt. Das Durchschauen dieses Scheins wäre das Ziel einer Kritik der Säkularisation, aber eine Kritik dieses Scheins ist nur in theologischem Zusammenhang möglich. Beweis: Eine Kapitalismus-Kritik, die die Prämissen des Kapitalismus, die Herrschaft des Tauschprinzips, nicht antastet, führt in schlimmere Dinge hinein als der Kapitalismus. – Die Gottesfurcht ist nichts anderes als der Grund der Freiheit vom Rechtfertigungszwang, und der Rechtfertigungszwang hat keine theologischen, sondern nur gesellschaftliche Gründe. Der Schein ist nur aufzulösen durch Auflösung des Schuldzusammenhangs, oder durch Auflösung des Schuldverschubsystems, der den Schuldzusammenhang konstituiert. D.h. er ist nur aufzulösen in Befolgung des Nachfolgegebots, des Gebots, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, der Arglosigkeit oder des Verzichts darauf, Selbstentlastung durch Projektion der Schuld zu erreichen.
Die Gnadenlosigkeit des Christentums ist eine Folge der Gnadenlehre.
Eindruck beim Lesen des Interviews mit Jehoshua Leibowitz: er scheint gelegentlich so zu antworten, daß er nur die Frage ad absurdum führt; das hängt dann mit der Qualität der Fragen zusammen. – Es scheint eine Beziehung zu geben zwischen seiner Kritik der Psychoanalyse und der Ablehnung des Christentums; unklar, ob ihm diese Beziehung selber bewußt ist. – Der Interviewer fragt gelegentlich wie ein beflissener Schüler; gibt es eigentlich einen Lehrer, der nicht darauf hereinfällt? Genau hierin drückt sich etwas vom prekären Verhältnis des Professors zur Öffentlichkeit aus, das mit einer gleichsam existentiellen Verunsicherung verbunden ist, die durch die Bestätigung durch Schüler gemildert wird (der Professor ist auch eine öffentliche Person, wie Schauspieler, Politiker, Huren, Journalisten: alle müssen über eine Schamgrenze sich hinwegsetzen).
Es scheint eine Querbeziehung zu geben zwischen der Konstitution von Wissenschaft, der Prostitution und der Hexenverfolgung. Die Hexenverfolgung scheint ein erster Ausdruck dessen zu sein, was Ralph Giordano die zweite Schuld genannt hat. An diesen (nicht ungefährlichen) Punkt rührt die Kritik des Bekenntnisses; sie könnte zum Auslöser der „verfolgenden Unschuld“ werden, die in der Konstruktion und Dynamik des instrumentalisierten Bekenntnisses, die heute fast nicht mehr zu umgehen ist, gründet. Der Hinweis auf die christlichen Ursprünge von Auschwitz – ein Komplex, zu dem J. Leibowitz auch den Marquardt zitiert – scheint hiermit zusammenzuhängen. An die gleiche Frage rührt der Satz, den Georg Büchner Danton in den Mund legt: „Was ist das, was in uns hurt, mordet, lügt, stiehlt …“
Galileis Blick durchs Fernrohr und der Habitus des Zuschauers: Es ist der Habitus des Zuschauers, der den ganzen Apparat von Schuld, Verdrängung und Projektion mit einschließt, absichert und stabilisiert. Hiermit hängt es zusammen, wenn Auschwitz nicht vergangen ist, sondern gegenwärtig in seinen Metastasen in der Dritten Welt fortlebt, wo in unserem Auftrag gehungert und gefoltert wird. Frage: Wann greift der Mechanismus wieder aufs Zentrum über?
Gibt es eine Beziehung zwischen den Mizwot und den evangelischen Räten?
Wie verhält es sich mit Bileam? (Bileams Esel, der Engel mit dem feurigen Schwert und dazu in der Apokalypse die Warnung davor, Bileams Lehre zu folgen – bezieht sich auf das der Bileam-Geschichte folgende Kapitel).
Der Feminismus (z.B. Christa Mulack) gibt gelegentlich zu sehr der Versuchung nach, historische Sachverhalte wie auch biblische Lehren moralisch anstatt strukturell zu interpretieren. Hier reproduziert er den Fehler, den er kritisiert. Hier tritt er patriarchales Erbe an. Der biblische Gottesname gilt für die erste Person, er liegt vor der Scheidung in männlich und weiblich. Er ist nicht in die dritte Person (in der es erst die Geschlechtertrennung gibt) übersetzbar. Und hier – so scheint mir – übersetzt auch Martin Buber falsch. -
26.04.91
Gibt es einen Zusammenhang zwischen er-/bekennen und er-/bezeugen (er-/beleben)? „Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain.“ (Gen 41) Hängt die „Zeugung“ in der Trinitätslehre eher mit dem Bezeugen als mit einem (mythischen) Erzeugen zusammen? „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ (Mt 317) Vgl. auch Röm 13f: „… das Evangelium von seinem Sohn, der dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids, der dem Geist der Heiligkeit nach eingesetzt ist als Sohn Gottes in Macht seit der Auferstehung von den Toten …“
Bekenntnis des Namens, Zeugenschaft (Martyrium) und Heiligung des Gottesnamens. Ist der Sohn Gottes (pais, dagegen uios mou) eigentlich der Knecht Gottes (vgl. NJB, Anm. zu Mt 317 und 43)?
Anm. zu Joh 176 (NJB): „Christus wurde gesandt, um den Menschen den „Namen“, d.h. die Person, des Vaters zu offenbaren …“ Eben nicht die Person, sondern den Namen. Diese Verschiebung (vom Namen auf den vergegenständlichten, verdinglichten Träger des Namens, die Person) ist Folge und Ausdruck der Instrumentalisierung des Bekenntnisses und der Theologie; sie wäre begründet, wenn das Bekenntnis eine Personenbeschreibung wäre – wie beim Personalausweis oder auch beim Steckbrief: Zusammenhang mit der akkusativischen Objektivierung, der blasphemischen Versetzung Gottes in den Anklagezustand: seit wir ihn vor unseren Richterstuhl zitieren, muß er sich per Theodizee rechtfertigen. Welche Folgen die Personalisierung des Namens hat, wird deutlich an dem, was in der Konsequenz dieser Tradition den Frauen angetan wurde: sie mußten bei der Eheschließung ihren Namen abgeben. Sie waren ohnehin nicht bekenntnisfähig – Confessor ist ein männlicher Heiligentitel -, behielten ihren Namen und konnten heilig werden nur als Jungfrau und wurden nach Tertullian, der den Personbegriff in die lateinische Theologie eingeführt hat, wenn sie in den Himmel kommen, zum Mann.)
Drückt die homoousia nicht das Gegenteil dessen aus, was wir heute darunter zu verstehen meinen: das Wesen als das gegenständliche Korrelat des Begriffs, der am Namen die Taufe der Vergangenheit vollzieht. Die homoousia ist der früheste (nur mißverstandene) Ausdruck und Beleg dessen, was Hegel als erster den Tod Gottes genannt hat.
Beitrag zur Erkenntniskritik: Die modernen Naturwissenschaften verletzen das achte Gebot: „Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“ (Ex 2016).
„Das jüdische Nein und die christliche Theologie“ (Verwegenheiten, S. 311): Die Schuld liegt nicht in der Verstocktheit der Juden, sondern in uns, die wir nicht fähig waren, den befreienden Gehalt unserer Theologie endlich auch ans Licht zu bringen (und aufzuhören, Theologie „hinter dem Rücken Gottes“, d.h. ohne Gottesfurcht, zu treiben). -
25.04.91
„Auf der anderen Seite steht überhaupt ein Verzicht auf theologische Theoriebildung über das Judentum und das christlich-jüdische Verhältnis; man strebt eine rein praktische Beziehung an …: ein offenes gegenseitiges Lernverhältnis … Bekenntnis ist immer Negation eines anderen, während Lernen mich immer in meine Schranken verweist.“ (Friedrich-Wilhelm Marquardt: Verwegenheiten, S. 276) Nicht nur „Verzicht auf theologische Theoriebildung über das Judentum“, sondern allgemein: Korrektur des theologischen Theoriebegriffs, soweit er Theorie „Über“, d.h. hinter dem Rücken seines Objekts sein will: soweit er am szientifischen Objektivationsprozeß sich orientiert. Nicht nur am Beispiel Judentum, sondern am gesamten Inhalt der Theologie muß sich ein Lernen bewähren, das den Komfort des begrifflichen Erkennens, auch wenn auf ihn ohne Gefahr der Regression nicht verzichtet werden darf, als Sünde wider den Heiligen Geist begreift: durch den erreichten Stand des historischen Objektivationsprozesses hindurch (und nach vorbehaltloser Rezeption der nominalistischen Philosophiekritik, allerdings ohne die kurzschlüssige Konsequenz, der Name sei nur flatus vocis, „Schall und Rauch“) einen Erkenntnisbegriff wiedergewinnt, der sein Maß an der benennenden Kraft der Sprache hat. Eine solche Erkenntnis setzt insbesondere die Kritik des Bekenntnisbegriffs: die Entkonfessionalisierung der Theologie voraus. Der Bekenntnisbegriff (und das durch ihn bestimmte Dogma) ist in der Tat hellenistisches Erbe, Erbe der Philosophie und Produkt der Anpassung theologischer Erkenntnis an die Erfordernisse und Strukturen institutioneller (kirchli-cher und politischer) Herrschaft. Der instrumentalisierte Bekenntnisbegriff (dessen Verhältnis zum neutestamentlichen noch zu klären wäre) verletzt durch seinen Objektbezug sowohl das biblische Bilderverbot als auch das Gebot der Feindesliebe. Dieser Objektbezug aber ist die Grundlage jeder „theologischen Theoriebildung über …“ (die den instrumentalisierten Bekenntnisbegriff voraussetzt) In diesem Zusammenhang hat der Bekenntnisbegriff die gleiche Funktion wie die subjektiven Formen der Anschauung in der kantischen Erkenntniskritik: er definiert das Medium, das Referenzsystem, in dem die synthetischen Urteile apriori theologischer Theorie allein möglich sind, allerdings mit der (historisch verhängnisvollen und systemlogisch seit je mit dem kirchlichen Antijudaismus verbundenen) Folge der Unerkennbarkeit der Dinge an sich.
Daß die christliche Assimiliationsfähigkeit, nachdem sie an der „heidnischen Antike“ sich bewährt hat, an der „jüdischen Widerstands- und Selbstbehauptungsfähigkeit“ gescheitert sei (ebd. S. 276), dieser Satz übersieht, daß gerade die zweite an der ersten gescheitert ist. Walter Benjamin hat als Kriterium der theologischen Erkenntnis und des Offenbarungsbegriffs die Kritik des Mythos, des Schicksals, begriffen. Der Ursprung der Philosophie aber läßt sich als Verinnerlichung des Schicksals, als Aneignung der objektivierenden Gewalt des Schicksals durchs Subjekt (das so zum Subjekt wird) begreifen (der Dämon des Sokrates). Die objektivierende Gewalt des Schicksal hat sich im Begriff niedergeschlagen, dessen Objektbeziehung mythischen Ursprungs ist und den Mythos perpetuiert. (Bei Heidegger, der den Geburtsfehler der Philosophie zu ihrem einzigen Inhalt gemacht hat, drückt sich das im Begriff der objektlosen Angst aus: das „Dasein“ ist als verinnerlichtes Subjekt-Objekt des Schicksals selber sowohl Ursprung als auch Objekt der mythischen Angst, nachdem es die projektive Ableitung der Angst durch den historischen Objektivationsprozeß an die Wissenschaft abgegeben hat.) Die Kritik des Objektbegriffs (des historischen Objektivationsprozesses) ist heute zur notwendigen Kritik des historisch-gesellschaftlichen Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs geworden, ohne die es einen angemessenen Theologiebegriff nicht mehr gibt: Wir müssen endlich aufhören, Theologie hinter dem Rücken Gottes zu treiben, wie wir begreifen müssen, daß der Objektivationsprozeß (dessen theologischer Zentralbegriff der des Bekenntnisses war) zwar unvermeidlich war, aber nur durch kritische Selbstreflektion seine Beziehung zur Wahrheit wiederzugewinnen vermag. Im Begriff des Bekenntnisses hat der Mythos im Zentrum der Theologie überlebt.
Ist die Israel-Theologie Marquardts nicht doch der verzweifelte Versuch, über Judentum und Israel den Realitätsbezug wiederzugewinnen, den die Theologie durch ihre Instrumentalisierung verloren hat, anstatt – und dabei ist die jüdische Tradition in der Tat eine unersetzliche Hilfe – durch Erinnerungsarbeit den Schuldzusammenhang aufzulösen, der in der Geschichte des Bekenntnisses die Wahrheit des Christentums zur Unkenntlichkeit entstellt hat.
Wenn Petrus ein Typos der Kirche ist (wie Karl Thieme immer gelesen hat), könnte es dann nicht sein, daß Mt 1618 wahr ist, nur die Kirche(n) bis heute halt nur gebunden, aber noch nicht gelöst hat (haben), und vor allem: daß diese Lösung mit der des Bekenntniszwangs zusammenfällt.
„Barths Zeit stand ganz real im Zeichen des „Vergehens“ Israels“ (Marquardt: Verwegenheiten, S. 284): Das sind nun wirkliche sprachliche Verwegenheiten, wenn nicht Entgleisungen. Ich würde sagen: Barths Zeit stand ganz real im Zeichen der Vorgeschichte des Holocaust, des größten Verbrechens der Menschheitsgeschichte. Der obige Satz, wenn er denn im übrigen so stehen bleiben sollte, müßte enden: „… im Zeichen des antisemitischen/antijüdischen Vorurteils über das „Vergehen“ Israels“.
Oder: „Christliche Theologie nach Auschwitz und seither kann nur ethisch sein, wenn sie bemüht ist, mit den wirklichen und allen möglichen Opfern, Ganzopfern, den zum Holocaust Bestimmten, sich zu einen; nur dann, wenn sie Gottes Erbarmen und Gottes Gericht nicht weiter nur im Blick auf sie zu erkennen sich bemüht, sondern in einer neuen Anstrengung auch von ihnen her.“ (S. 285, Hervorhebungen z.T. von mir, H.H.) Wenn ich den Satz richtig verstehe, kann er doch eigentlich nur bedeuten, daß Theologen immer noch für sich in Anspruch nehmen, „Gottes Gericht … im Hinblick auf sie (die Juden) zu erkennen sich (zu) bemühen“, jetzt, nach Auschwitz, nur eingeschränkt durch die zusätzliche Anstrengung, Gottes Gericht „auch von ihnen (den Juden) her“ zu erkennen, als ob nicht das eine (Gottes Gericht über andere zu erkennen) genau die Hybris wäre, die zu Auschwitz geführt hat, und nur das andere (sich selbst in der Erwartung des Gerichtes Gottes zu erkennen) das einzig Zulässige, der einzig mögliche Weg zur Erfüllung des Nachfolgegebots, unter dem auch Theologen stehen. Dann aber kann christliche Theologie nach Auschwitz nur bestehen, wenn sie – anstatt „mit den wirklichen und allen möglichen Opfern … sich zu einen“ – endlich zu begreifen versucht, daß sie im Anblick von Auschwitz (und in dieser Gefahr steht auch die Opfertheologie im Anblick des Kreuzes) auf der Täterseite sich befindet (Mt 2540+45). Der Versuch, mit den Opfern sich zu einen, steht in der Tradition christlicher Einigungs- und Innerlichkeitsmystik (Ziel aber ist weder die Einigung mit Gott, noch die mit den Opfern, sondern die Einung und Heiligung des Gottesnamens: darin ist die jüdische Tradition mit der zweiten Bitte des Herrengebets einig); zulässig und gefordert ist nur der von uns zu leistende Teil an der Versöhnung: Reue und Umkehr; dazu gehört die Kraft zur Identifikation mit den Opfern, die Kraft, sich in die Erfahrung dessen, was wir ihm angetan haben (oder antun), „hineinzuversetzen“, das aber heißt: die reale und konkrete Schulderfahrung nicht zu verdrängen; aber das ist etwas anderes als die (Flucht in die) Einung. Die Versöhnung selbst kann ohne Verletzung der Gottesfurcht nicht antizipiert werden. -
24.04.91
„Ich halte Hypnose für die oberste Stufe der Überzeugung“ (Jeshajahu Leibowitz: Gespräche über Gott und die Welt, S. 178): „Überzeugt“ wird der Richter durch die glaubwürdige Aussage von Zeugen, während der Angeklagte bekennt. Die Überzeugung ersetzt das fehlende Bekenntnis. Beide sind (im forensischen Gebrauch) sinnvoll nur im Hinblick auf das richtende Urteil. Wirksamer als die Überzeugung ist aber in jedem Falle das Bekenntnis; deshalb die Ausbreitung der Folter in der Welt nach Auschwitz. Allerdings beeinträchtigt die Folter die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses: die fehlende Glaubwürdigkeit wird ersetzt durch die Gewalt; das Opfer (das Objekt) ist in jedem Falle schuldig (wie in der Physik und im Hexenprozeß).
Intersubjektivität ist die vollendete Form der Überzeugung: Hier wird die Gesellschaft insgesamt (ohne Ausnahme) zum Zeugen. Hergestellt wird die Intersubjektivität durch Mathematik (die kantischen Formen der Anschauung), durchs Tauschprinzip oder durchs Zwangsbekenntnis (in der Religion durchs Dogma, im Staat durchs Feindbild). Ist Intersubjektivität ohne (reale oder potentielle) Folter herstellbar?
Zur trinitarischen „Zeugung“: Meint das „Heute habe ich Dich gezeugt“ nicht eigentlich das „Bezeugen“?
Die Gefahr bei Marquardt ist die der Theologisierung Israels (vgl. „Verwegenheiten“, S. 160f, 169ff und 183ff). Eine Israel-Theologie, die nicht vermag, Auschwitz und die Palästinenser mit einzubeziehen, grenzt an Blasphemie, erinnert an eine Bewältigung der Vergangenheit, die den Antisemitismus bloß umkehrt, aber seine Prämissen konserviert: an einen Exkulpierungsversuch, der dem Wiederholungszwang verfällt. Das grenzt an theologischen Kolonialismus. Hier ist der Satz von Leibowitz vielleicht nicht unwichtig: „Der Glaube, der darauf gegründet ist, daß ich über Gott Bescheid wüßte, ist Götzendienst.“ (S. 124) Das Bilderverbot gilt nicht nur in der Anwendung auf Gott. -
23.04.91
Das „Semper aliquid haeret“ ist heute zum Grundprinzip wissenschaftlicher Erkenntnis und gesellschaftlichen Handelns geworden: Es kommt nur darauf an, nicht widerlegt werden zu können (so wie bei der Vorbereitung der Gesetzgebung in der obersten Verwaltung oder auch bei Entscheidungen nachgeordneter Behörden nur darauf, daß der Referent sich selbst salviert: für die Folgen seines Tuns nicht verantwortlich gemacht werden kann). Hier treffen sich systemnotwendig unverantwortliches Handeln und sein Spiegelbild im Objekt: der Verfolgungswahn der Opfer, die das, was ihnen widerfährt, sich nur als böse Absicht der Herrschenden erklären können. Auf den sogenannten Terrorismus reagieren die Herrschenden deshalb so irrational und wütend, weil sie im Terrorismus auf das Prinzip ihres eigenes Handelns treffen. Die Differenz ist nur noch eine Machtfrage: deshalb ist das Gewaltmonopol des Staates und seine exzessive Auslegung heute so wichtig.
Letzte Folge der Verletzung des Bilderverbots: Das Bild, die Verdoppelung der Natur, wird zur Realität, zur zweiten Natur, an der man sich ebenso den Kopf einrennt wie an der ersten. Aber dieses Verdoppelungsprinzip (Grund der Ebnerschen „Ich-Einsamkeit“) ist das der Existenz, des Überlebens in der vom Herrschaftsprinzip verhexten Gesellschaft. Wir sind alle nur noch Doppelgänger, Schauspieler (Maskenträger: personae) unserer selbst, deshalb atheistisch.
Ist die Apokalypse die Gestalt der Tragödie im Bereich der Offenbarung: Repräsentiert das „Tier“ den tragischen Helden, die notwendige Folge seines Verstummens? Warum gibt es keine spekulative Grammatik?
Vgl. hierzu Ferdinand Ebners Bemerkungen zum Atheismus, dessen tiefe gesellschaftliche Verwurzelung er allerdings nicht begreift, den er deshalb (ohne den Grund hierfür erkennen zu können) auch verharmlost. Die Einsicht, die den Grund der Weltanschauung aus den Angeln heben könnte, wird so selbst wieder zur Weltanschauung, zu einer persönlichen, privaten Angelegenheit. -
22.04.91
Wie steht der Professor zum Confessor, Bekenner? Woher stammt der Titel und Begriff des Professors?
Profession ist der Beruf (professionell), Profeß das Gelübde, das die endültige Zugehörigkeit zu einem Mönchsorden besiegelt. Wie verhält sich die Profession zur Konfession (professionell zu konfessionell); auch der Beruf ist ein Ich-Stabilisator, und der Professor wird berufen.
Woher kommt die Bezeichnung Diplomat (sprachlich und historisch)? Diplomat und Wahrheit, „diplomatische Antwort“. (Kehrseite: der Enthüllungs-Journalismus und die linken Enthüllungs-Theoretiker; sie nutzen die gleichen Tricks: wenn eine Hypothese nicht widerlegt werden kann, ist sie öffentlich brauchbar. Nutzung der Reflexionsbegriffe.)
Der Satz, daß das Kabarett nichts ändert, gilt auch für den Enthüllungs-Journalismus. (Der „Spiegel“ bewirkt selbst dort nichts, wo er etwas auslöst; er macht nur süchtig (wie das Lachen).
Der verzweifelte Versuch der Linken, Zugang zu den Techniken der Macht zu gewinnen, ist apriori zum Scheitern verurteilt. (Linke Religionskritik war eigentlich auch immer Stück verzweifelter Kritik an der Herrschaftskritik, die Religion repräsentiert. Dieser Einsicht, war Georg Lukacz sehr nahe; er hat sie, als er sich dem Stalinismus unterwarf, selber verworfen. Und auch seine Schüler haben sie nicht begriffen.)
Entspricht das Verhältnis von Natur und Gnade dem von Natur und Ökonomie?
Hinter dem Rücken: der Tod überfällt die Menschen von hinten. (In dem Trieb, Märtyrer zu werden, spielt das Bewußtsein eine Rolle, daß dieser Tod anders ist. Die Kraft, der Katastrophe standzuhalten: Lots Weib. Der Satz: „Ihr seid das Salz der Erde“ bezieht sich hierauf. Und die Salbung Jesu vor dem Tod macht die Salbung nach dem Tod überflüssig?)
Alles, was uns aus unserer physis überfällt, überfällt uns von hinten (Krankheit und Tod). Und alles, was uns aus Politik und Ökonomie überfällt, überfällt uns von hinten. Davon abstrahieren alle an der Physik orientierten Weltentstehungstheorien.
Wie verhält sich die Salbung des Messias, des Königs zur Salbung der Toten (zur ägyptischen Mumie)?
Was den christlichen Antisemitismus am sogenannten Alten Testament ärgert, ist eine Art der Darstellung, die eine Unschuldsnische nicht zuläßt (Erkenntnis nicht durch moralische Urteile bestimmt, deshalb moralisch).
Hängt die Tatsache, daß Primo Levi in der Lage war, seine Auschwitz-Erfahrung zu beschreiben, damit zusammen, daß er Chemiker war? Oder anders: Sind Mikrophysik, Chemie und Atombombe noch auf andere Weise mit Auschwitz verknüpft, als nur über ihre Effekte?
Petrus in Babylon. (Reinhold Schneiders „Winter in Wien“ in Rom neu schreiben?)
Das „steinerne Herz der Unendlichkeit“: das ist unser Herz.
Zum Sündenfall: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, daß sie nackt waren“. Das scheinen wir heute noch unmittelbar zu verstehen. Verstehen wir es wirklich (Scham, Schuld, Schuldzusammenhang)? Geschichte von Adam und Eva; exkulpative männliche Interpretation; übersehen, wird, daß Adam durch Komplizenschaft die Schuld erst möglich macht. Diese Komplizenschaft aber ist ein Grundmoment der Verflochtenheit der Männergesellschaft in den Schuldzusammenhang (Faschismus-Syndrom).
Was hat es überhaupt mit dem „Baum der Erkenntnis“ zu tun? Baum: Überwintern, Überleben durch Verstockung. Stamm als Vorstufe der staatlich organisierten Gesellschaft (zwölf Stämme Israels; Verstockung durchs Bekenntnis: darin lebt der Baum der Erkenntnis fort; im Bekenntnis wird das Wort der Schlange wahr: „Ihr werdet sein wie Gott, erkennend, was gut und böse ist“; ist das Bekenntnis das Tierfell, das Gott den Menschen gegeben hat, ihre Scham zu bedecken?).
Nacktheit und Scham sind gesellschaftliche Phänomene, konstitutiert durch die Reflexion auf den Blick des anderen. Schamlos und unverschämt ist nicht das Gleiche: Unverschämt ist der fixierende, verdinglichende Bick, der Blick, der den anderen auszieht; die Verworfenheit der Schamlosigkeit gilt nur im gesellschaftlichen Schuldzusammenhang; es gibt eine Schamlosigkeit aus Arglosigkeit, die frei von Scham ist (aber diese Arglosigkeit gilt nicht im Blick auf die Herrschenden; hier gilt: Seid klug wie die Schlangen). -
17.04.91
Das Modell des Kreislaufs ist der Jahreskreislauf: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. An diesen Kreislauf ist das Leben der Pflanzen gebunden, es verselbständigt sich nicht dagegen. Anders das Leben der Tiere, daß sozusagen den Grund dieses Kreislaufs in sich aufgenommen, verinnerlicht hat. Läßt sich so (auf der Grundlage der Korrespondenzen zwischen dem Inneren und der Außenwelt) die Astrologie begründen? Aber auch die dem Menschen verliehene Macht: Adam benennt die Tiere. Gleichzeit werden Sonne und Mond als Herrscher des Tages und der Nacht bestimmt.
Die Pflanzen überleben (überwintern) durch den Samen (und die Wurzeln?). Die Bäume überleben die Jahre durch Verholzung, Verstockung (Hypertrophie der Wurzeln). Hängt das mit dem gemeinsamen Ursprung der Bäume und der Prähominiden zusammen? Die Säugetiere, deren Leben auch an die Perioden der Jahreszeiten noch gebunden ist (Zeugung, Geburt, z.T. auch Winterschlaf), haben einen gemeinsamen Ursprung mit den blütentragenden Pflanzen (Beziehung der Fortpflanzung zum Licht, Insekten). Ist hier der Punkt, an dem der Ursprung von Behemoth und Leviatan interessant wird?
Hat es etwas zu bedeuten, daß der Begriff Stamm sowohl die vorstaatlichen (geschlechterbezogene) Sozialeinheit bezeichnet als auch den Stamm der Bäume? Ist – bezogen auf die zwölf Stämme Israels – die Verstockung gleichsam ein Naturqualität?
Hoffnung gibt es nur, wenn es Hoffnung auch für die Toten gibt.
Die naturphilosophische Enträtselung des Gesetzes: Der Islam wäre daraufhin zu befragen: Wenn Gott die Welt täglich neu schafft, er gleichsam diese Herkulesarbeit leistet, die Welt täglich vor dem Untergang zu retten, woher kommt dann ihr täglicher Untergang? Wo liegen die Wurzeln des Verhängnisses; sie haben einen politischen Teil, aber sie liegen nicht in der Politik.
Die Vorstellung einer unendlichen Vergangenheit (und eines unendlichen Raumes) ist der Preis für die Konstitution des transzendentalen Subjekts.
Aggression ist ein Symptom für nicht geleistete Trauer- und Erinnerungsarbeit.
Heute trampeln unsere Theologen beim Unkrautausreißen in allen Weizenfeldern herum. Und zwar sowohl die christlichen, als auch die marxistischen Theologen. Alle behaupten, das richtige Unkrautvertilgungsmittel zu haben, aber keiner macht sich Gedanken über die Nebenwirkungen.
Die Stoßprozesse sind der Keimpunkt, an den sich das ganze System der Physik ankristallisiert. Sie sind sozusagen der zentrale Referenzpunkt für alle naturwissenschaftlichen Begriffe, Objektvorstellungen und Gesetze.
Die Gemeinheitsautomatik ist eine Funktion des Empörungsmechanismus.
Zur Bekenntnislogik gehört
– der Feind: das sind die Juden;
– der Verräter (die Sympathisanten des Feindes): das sind die Ketzer, die Häretiker;
und die Bekenntnislogik ist selbst männlich: sie schließt die Frauen aus, die dann nur durch Keuschheit, Erhaltung der Jungfräulichkeit, sich aus ihrer ursprünglichen Verderbtheit (ihrer Unfähigkeit zu bekennen) retten können. Der Rechtfertigungszwang ist männlich.
Der Bekenntnisbegriff versetzt den (männlichen) Gläubigen in die Lage, gleichsam hinter dem Rücken Gottes (durch Vermännlichung Gottes) Theologie zu treiben (Anbetung der zeugenden Kraft, an der nur die Männer teilhaben: „Ich bin ein eifersüchtiger Gott“). Die damit verbundenen Schuldgefühle, mit denen man nicht leben, die man nur verdrängen kann, werden dann zwangshaft projiziert; und hier stehen die drei Projektionsflächen offen, die aufzuarbeiten sind:
– der Antijudaismus,
– die Ketzerverfolgung
– und die Frauenfeindschaft.
Hier gibt es eine Systematik, die auf die drei Verleugnungen des Petrus verweist: Die letzte Leugnung geht einher mit der Selbstverfluchung, dann krähte der Hahn, und er ging hinaus und weinte bitterlich. Hier, wenn die Kirche die Angst verliert, sie könne ihr Gesicht verlieren (vor der Welt schuldig erscheinen), in dieser Lösung der Spannung, löst sich die Schuld.
Das Zwangsbekenntnis ist der Kern, das logische Zentrum einer Struktur, die gegen ihren Inhalt gleichgültig ist; das Entscheidende ist genau diese Gleichgültigkeit gegen den Inhalt. Sie vermittelt die Möglichkeit, den Inhalt zu behaupten, ohne davon berührt zu werden, ihn objektiv zu halten.
In dem Augenblick, in dem Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, d.h. in dem Augenblick, in dem der Bekenntniszwang durchbrochen wird, wird auch der Wiederholungszwang außer Kraft gesetzt, der den Zusammenhang zwischen dem Bekenntniszwang und den scheußlichen Untaten, die im Namen des Christentums im Laufe seiner Geschichte begangen worden sind, einmal herstellte.
Nicht das Proletariat, sondern die Toten bezeichnen diesen absoluten Objektstatus, auf den als reine Negativität die Erlösung sich bezieht.
Das Bekenntnis ist die Verstockung, die die Christen dann den Juden zum Vorwurf gemacht haben.
Die Bekenntnislogik im Christentum hat sehr viel mit der Beziehung des Christentums zur Philosophie zu tun, die dann an einem anderen Objekt, gleichsam durch Verschiebung, Kant auf ihren Begriff gebracht hat. Die Hegelsche Philosophie ist die präparierte Leiche der dogmatischen Theologie. Aber erst Einsteins spezielle Relativitätstheorie, das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, hat (mit der Berichtigung des Inertialsystems)
. dem Bekenntnissyndrom endgültig den Boden entzogen und
. das Modell für die Berichtigung des Bekenntnisses geliefert (vgl. auch Freud, dessen Psychologie das durchs Bekenntnissyndrom, das dem Ödipuskomplex entspricht und wie dieser die bürgerliche Geschlechterrolle prägt, bestimmte Subjekt zur Grundlage hat: der „Penisneid“ und die Bekenntnis-Unfähigkeit gehören zusammen).
Ist nicht die spezielle Relativitätstheorie Einsteins eigentlich die allgemeine, und die allgemeine die spezielle?
Die Lichtgeschwindigkeit ist nur durch „Umkehr“ auf ihren realen Begriff zu bringen. (Das Bekenntnis ohne Umkehr wird zum Zwangsbekenntnis.)
Die moderne naturwissenschaftliche Aufklärung und der Kapitalismus beruhen beide auf dem gleichen Prinzip: dem der Verinnerlichung des Opfers. Der prophetische Satz: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ ist ein erkenntnis- und herrschaftskritischer Satz.
Die Mystik, genauer die christliche Mystik, ist der vergebliche Versuch, der Schuld des Objektivationsprozesses durch die Wendung nach innen zu entkommen. -
15.04.91
Bekenntnislogik ist Kriegs- und Machtlogik: Auch als Opposition arbeitet sie den Herrschenden zu, die diese Logik besser zu handhaben verstehen und ohnehin am längeren Hebel sitzen. (Magisches Denken, das vom Austausch des Personals eine Änderung der Verhältnisse erwartet: Erbe des Bekenntnisdenkens.)
Zum Begriff des Glaubens: das „Für-wahr-Halten“ gilt nicht für theologische, sondern eher für so profane Tatbestände, daß z.B. die Farbqualität, die ich wahrnehme, identisch ist mit der, die ein anderer wahrnimmt. Gegenstand des alten Glaubensbegriffs ist nicht die Existenz Gottes, sondern sind seine Verheißungen: daß er treu ist (und mein Glaube, meine Treue, sie bewahrheitet, bewährt). -
14.04.91
Der Witz spielt sich in der Sprache, die Komik im Objekt ab; beide reflektieren den Bruch zwischen Sprache und Objekt, sei es in der Sprache oder im Objekt (sind Nebeneffekte der transzendentalen Logik). Die Bestimmungen des Witzes (bei Freud) erinnern an die Funktion der hegelschen Reflexionsbegriffe (die gleichsam den „Witz“ – oder auch die List – der hegelschen Philosophie ausmachen). Die drastischste Gestalt der Komik (der Klamauk) ist die des bloßen Unglücks, des Mißlingens, daß durchs Lachen (für den Zuschauer) seinen Schrecken verlieren soll.
Zum Amt und Begriff des Diakons vgl. Elisabeth Schüßler Fiorenza und Luise Schottrof (Umkehr der Herrschaftsverhältnisse).
Die Geschichte der kirchlichen Ämter ist keineswegs harmonisch verlaufen, sondern mit massiven Domestikationsprozessen verbunden. Wenn es zutrifft, daß das diakonein eigentlich die Umkehr: die Umwälzung der Herrschaftsverhältnisse bezeichnet, wird vielleicht noch deutlicher, welche Entwicklung dann das Bischofsamt eingeleitet hat (episkopus: der Aufseher). Dieses Amt ist es ja gewesen, das die Kirche dann in die Kollaboration mit der Politik hineingetrieben hat. Auch die Ambrosianische Kaiserkritik war keine Herrschaftskritik, sondern Teil eines Konkurrenzkampfes, sie war kein Teil der „Umkehr“. -
11.04.91
Eigentlich müßte schon der Satz „Name ist nicht Schall und Rauch“ die unterstellte Nähe des „Stern der Erlösung“ zur Existenzphilosophie widerlegen. Dieser Hinweis ist wichtig, weil gerade die „existentielle“ Interpretation Rosenzweigs (oder von Teilen der jüdischen Tradition im Hinblick auf ihre Rezeption für die christliche Theologie, die Buber vor allem vorbereitet hat) zu genau in den exkulpatorischen Mißbrauch des „jüdisch-christlichen Dialogs“ hineinpaßt. Es scheint einen Zusammenhang zu geben zwischen dem Untertauchen in den sprach- und namenlosen Existentialismus (die Widerstandserfahrung als Realitätsbeweis: das „Vorlaufen in den Tod“) und dem Trieb, die Gottesfurcht zu meiden: Christ sein zu können, ohne das Nachfolgegebot befolgen zu müssen. Die Totaloperation der Verdrängung als Erlösungsersatz. Hier stimmen von Weizsäcker und Marquardt zusammen: Weizsäckers Unvermögen, auf die Kritik des Objektbegriffs überhaupt sich einzulassen, und seine Identifikation mit dem Aggressor (mit der „Kopenhagener Schule“, die es so gar nicht gegeben hat außer in der deutschen Atom-Legende, nach dem Debakel des Heisenberg-Besuchs bei Niels Bohr im zweiten Weltkrieg) gehorchen dem gleichen Prinzip wie Marquardts Israel-Theologie (vgl. seine Ausführungen zur Rezeption des Halacha-Begriffs): der Vorstellung, das schlechte Gewissen könne auch durch Domestikation des Gewissens vermieden werden (Religion für andere oder Religion für den Hausgebrauch: Religion als Blasphemie).
Die Taufe ist der noachidische Akt: Sie steht im Zusammenhang mit Sintflut und Arche (Kirche?). Aber in der Arche werden mit Noah und seinen Söhnen nur die Tiere gerettet (und die Taube kehrt nicht zurück).
Heute ist die ganze Welt erstarrt in Gottesfurcht ohne es zu wissen.
Als die Erben und Nutznießer einer Welt, die andere für uns aufgebaut und zubereitet haben, sind wir auch die Herren dieser Toten, die uns beherrschen (Gesetz der Totenwelt).
Wenn wir der Logik und den Zwängen des Herrendenkens, die in Auschwitz triumphiert hat, entgehen wollen, müssen wir unseren Beitrag dazu leisten: den Anspruch, den die Toten an uns haben, zu erfüllen.
Die Philosophie verdankt sich der Instrumentalisierung der Erinnerung, die sich insbesondere im Begriff der Theorie ausdrückt, und die sich vollendet im Inertialsystem, das dann allerdings mit der Sprache zugleich auch die Kraft der Erinnerung auflöst (Inbegriff der vergegenständlichten Erinnerung).
Der Raum ist die Form der vergegenständlichten Erinnerung, nicht die Form der Gleichzeitigkeit. Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Nachweis, daß der Raum die Gegenwart von sich ausschließt.
Der Objektbegriff, an dem der Nominalismus sich abgearbeitet hat („wieviel Engel haben auf einer Nadelspitze Platz?“), das Individuum, das hic et nunc, die haecceitas: das namenlose Objekt, auf das der Begriffsrealismus sich nicht anwenden ließ, hat durchs Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit seinen Stellenwert so verändert, daß es wieder in die Nähe des Gegenstands der benennenden Kraft der Sprache gerückt wird. Nicht die Längenkontraktion und die Zeitdilatation sind das Entscheidende, sondern der dynamische Prozeß, in dem sie nur Momente sind, und der, wenn er wieder im Inertialsystem dingfest gemacht werden soll, auf die Mikrostruktur der Physik hinausläuft.
Lachen und begriffliches Denken gehören zusammen (dämonisches Lachen, Lachen und Verinnerlichung des Dämons; Lachen und Schicksal; Lachen und Gewalt, beide sprachlicher Natur, aber ohne benennende Kraft: beide haben ein Objekt und einen Adressaten; das Objekt ist namenlos, weil es „ausgelacht“ ist; Lachen und peer-groups (Bindungskräfte), Äquivalent des Bekenntnisses, gleiche Bindungskräfte: Angst ausgelacht zu werden; Lachen ist Anklage und Gericht, Weinen Klage; im Weinen löst sich die Verhärtung, die das Lachen produziert und absichert: der Charakter; befreiend ist das Lachen nur durch Entlastung, durch Anpassung; Lachen ändert nichts, macht nur schlimme Situationen erträglicher; Schuld, Scham, Lachen; Engel Sprachwesen, Dämonen Personalisierungen des Gelächters (der Empörung); Lachen Teil des mysterium iniquitatis).
In jedem Lachen steckt auch ein Stück Verzweiflung; wer nicht verzweifelt, bedarf des Lachens nicht mehr, wie man sich auch nicht vorstellen kann, daß das selige Leben durch Lachen gewürzt werden muß. Freude ist etwas anderes als Lachen, ebenso Glück.
Ist die Erfahrung des Angeklagten-Status, des Objekt-Status, des Ausgelacht-Werdens für Männer und Frauen gleich?
Die Dogmatik ist die Theologie als Erscheinung, nicht ihr An sich; sie ist davon geschieden durchs Bekenntnis.
Die raf-Morde stehen in der Tradition der christlichen Opfertheologie (der Begriff Hostie bezeichnet das Opfertier, das Schlachttier).
Mit der Instrumentalisierung des Kreuzestodes war auch die Todesstrafe gerechtfertigt.
Die Gemeinheitsautomatik hat ihre Wurzeln in der Personalisierung der Schuld und im Lachen, läßt sich davon nicht ablösen (Bekenntnis und Lachen; verhängnisvolle Wirkung der Einführung der katholischen Beichtpraxis auf die Vorurteilsstruktur der mittelalterlichen Gesellschaft; Lachen konstituiert und stabilisiert die Natur und das transzendentale Subjekt). Erst dann, wenn Schuld keine Rechtfertigungszwänge mehr auslöst, ist das Problem der Personalisierung gelöst.
Die Übernahme der Schuld der Welt (Nachfolgegebot) bedeutet nicht, daß man die Strafe dafür auf sich nehmen soll, sondern im Gegenteil: die Strafmechanismen sollen aufgelöst werden. Der Kreuzestod war keine Selbstbestrafung, auch kein „Sühneleiden“.
Theologie als kollektive Gewissenserforschung.
Das Unschuldsversprechen: „Ich will es nicht mehr wiedertun“ ist nicht haltbar; es gibt keine Unschuld im allgemeinen Schuldzusammenhang. Übrigbleibt die Gottesfurcht, aber keine Glaubensgewißheit. Was bedeuten eigentlich die Begriffe Glaube und Bekenntnis in der Schrift; wo und ab wann erscheinen sie? (Hinweis: die Heiligung des Gottesnamens; das Bekenntnis ist das Zeugnis, das praktische Bekenntnis; Zusammenhang mit dem Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis abgeben wider deinen Nächsten. Ist das homologein die Nachfolge? – Dann werden wir in der Tat in seinem Namen Kranke heilen, Blinde sehend machen, Tauben das Gehör wiedergeben und Tote erwecken.)
Das Herrendenken, das Denken „hinter dem Rücken“, braucht als Grundlage und zur Absicherung das Inertialsystem, es braucht die materielle Grundlage und das Bekenntnissyndrom (das Lachen und den Zynismus).
Der Titel „In euren Häusern liegt das geraubte Gut der Armen“ (Kuno Füssel et alii) ist das Motto für
– die Vertreibung der Händler aus dem Tempel und für
– eine materialistische Kirchenkritik, die eine Kritik der Opfertheologie mit einschließt, eine Kritik, die begreift, daß der Gnadenschatz der Kirche Teil dieses geraubten Guts der Armen ist: Hier wird den Armen das Recht vorenthalten, das die Kirche seitdem für sich in Anspruch nimmt; anstatt zu lieben, will sie selbst geliebt werden (Institutionalisierung des Selbstmitleids).
Woher kommt der Name Luzifer? Ist Luzifer ein Geschöpf des dritten Tages? Sind Sonne, Mond und Sterne als Objektivationen des Lichts und erste Subjekte von Herrschaft die ersten dinglichen Objekte, Urbild des Objektbegriffs überhaupt? Sind die Sterne in der Schrift namenlos wie die Objekte (und haben sie ihre Namen nur von den mythischen Helden und dann von der Philosophie)? Oder ist der Himmel, sind die Sterne nur eine Totalität? Hat hier der Engel mit dem kreisenden Flammenschwert seine Stelle? – Woher kommen die Tierkreiszeichen?
Wie entfaltet sich im Schöpfungsbericht das schaffende Wort: Ist nur das Licht durch das Wort geschaffen, alles andere durch Teilung, durch Machen?
Tätigkeiten:
– schuf (Himmel und Erde, den Menschen: als sein Abbild, als Abbild Gottes, als Mann und Frau),
– sagte (es werde, laßt uns machen, übergebe ich euch, gebe ich),
– machte, schied, setzte, sah, nannte, segnete, vollendete, ruhte.
Geschehen:
– es geschah, es wurde, das Wasser sammelte sich, die Erde brachte hervor, ließ wachsen.
Herrschaftsauftrag:
– bei Sonne und Mond Zweckbestimmung, bei den Menschen Herrschaftsauftrag.
Babylon wird ins Meer, nicht in den Abgrund gestürzt.
Der Atem des Menschen ist der Atem Gottes, und das Sprechen eine Funktion des Atems.
Vgl. Hawkings Bemerkung über Newton (Newtons über Leibniz) mit Leibniz‘ fensterloser Monade. Die Erfahrung, daß jeder nur für sich ist und aus dieser Isolationshaft (der fensterlosen Monade) nicht herauskommt, ist vielleicht die schlimmste Erfahrung der Philosophie; nur zu ertragen vor der Hintergrund der Lehre von der prästabilierten Harmonie: das Innere der Monade ist die Außenwelt.
Die Leibnizsche Monade ist längst zum Privatgetto, zur Isolationshaft aller geworden. Da kommt niemand mehr heraus, außer durch die Theologie. Die Isolationshaft des empirischen Subjekts in der Zelle des transzendentalen Subjekts.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist das Indiz, das Symptom für den Status der Naturerkenntnis. Das Relativitätsprinzip (das nicht von Einstein entdeckt worden ist) gehörte zu den Konstituentien der Mechanik, des Referenzsystems, auf das alle Begriffe der Physik sich beziehen. Erst das Prinzip der Kosntanz der Lichtgeschwindigkeit hat die Objektbeziehung, das Verhältnis zur Objektivität bestimmt: die Grenze der Objektivierbarkeit.
Das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist der Goldgrund des Inertialsystems (Begründung der Goldwährung).
Trinitätslehre, Christologie und Opfertheologie sind Produkte der Anpassung der Theologie an den Hellenismus und an den Römischen Staat. Die Lehre, daß Christus in der Zeit herabgekommen und Mensch geworden ist, die Inkarnationslehre, segnet den homogenen Zeitablauf ab.
Die Christologie: der eingeborene Sohn, gezeugt, nicht geschaffen, empfangen vom Heiligen Geist, geboren aus Maria, der Jungfrau, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, abgestiegen zur Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, von dannen er kommen wird, zu richten die Lebenden und die Toten; ist das Logos-Spekulation, sind das die Momente der Namenslehre, der benennenden Kraft der Sprache. Dann wäre sie in der Tat das Hilfsmittel gegen den Hellenismus.
An welchen Stellen und in welchen Zusammenhänge spielt das Tauschprinzip in die Schrift (in die „Gleichnisse“ Jesu) mit herein (Lohnarbeit, Gleichnisse vom „ungerechten Verwalter“ etc.). Vorstufen kapitalistischer Wirtschaftsweisen (im Römischen Reich, von Jesus erstmals in religiösem Zusammenhang reflektiert)?
Das Weltgericht ist ein Gericht, dessen Maßstab der Erfolg ist, das Jüngste Gericht ist das Gericht der Barmherzigkeit über das Weltgericht.
Theologie hinter dem Rücken Gottes ist insofern blasphemisch, als sie das Weltgesetz, die richtende Gewalt, die die Welt repräsentiert, auf Gott anwendet. Sie fällt unter das Wort: Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.
Was sind die „Pforten der Hölle“, die die Kirche nicht überwältigen werden?
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