Der stärkste Widersacher des Hauptamtlichen ist der Selbsternannte (Dirk Treber: „selbsternannte Alt-Grüne“). Ernannt werden darf nur im Rahmen der Ermächtigung zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben: So konnte Kohl z.B. das deutsche Volk zum „ausländer-freundlichsten Volk“ ernennen (Unterschied zwischen er- und benennen: Kohl meint das Amt, nicht das Wesen dieses Volkes). In diesen Kontext gehört es, daß die Pogrome gegen Flüchtlinge sich nach dieser Logik nicht gegen Flüchtlinge und Ausländer, sondern gegen den „deutschen Namen“, über den sie „Schande“ bringen, richten (vielleicht sind ja auch die Juden in Auschwitz nicht ermordet worden, sondern auch da wurde nur der deutsche Name befleckt). Dies ist die Logik geprügelter Kinder: man darf alles, sich nur nicht erwischen lassen.
Haben die Präfixe und Suffixe ihren Ursprung in der agglutinierenden Sprache der „Sumerer“? Gibt es eigentlich in anderen Sprachen auch ein so ausgebildetes und differenziertes System von Prä- und Suffixen wie im Deutschen? Und sind die Prä- und Suffixe nicht verdinglichende Projektionen der Ohnmacht (der durch Substantivierung versteinerten Herrschaftsstrukturen), die die Objektivität zugleich fixieren und aufschlüsseln, so daß mit ihrer Reflexion die Wahrheit selber erkennbar wird.
Sind im Griechischen und Lateinischen (und vom Ursprung her auch im Deutschen?) Präfixe im allgemeinen nur mit den Verben zusammengeschlossene Präpositionen?
Die Prä- und Suffixe sind Ausdruck des Ursprungs der Begriffe aus der Schicksalsidee (Beispiel: Ich fühle mich wie zernichtet durch den entsetzlichen Fatalismus der Geschichte).
Kann es sein, sein, daß es für die einzelnen Prä- und Suffixe Schlüsselworte gibt? Z.B. vernichten, zerstören, erschaffen, entstehen, bekennen, anschauen, aufbauen (alles Verben, die aus dem Kontext der Verdinglichung, Objektivierung, sich begreifen lassen?)
Christlichkeit und Christenheit: -keit drückt den Charakter, das Wesen, aus, -heit das kollektive Subsumtionsverhältnis (diese Differenz gilt nur bei Personen, nicht bei Sachen). Wird -keit immer zusammen mit -lich oder -ig gebildet, und was bedeuten diese Suffixe? Vgl. auch Hoheit (Eure Königliche Hoheit, hoheitliche Aufgaben) und Hörigkeit (zentrale Wortbildungen der durch Prä- und Suffixe bestimmten Sprache). Doppelbildungen wie Hoheitlichkeit (Charakter der Aufgaben des Beamten, Amtscharakter -Zusammenhang mit Obrigkeit: persongewordene Begriffe). Die lateinischen Würdebezeichnungen wie Magnifizenz und Eminenz sind dagegen keine Suffix-, sondern Partizipalbildungen (während im Deutschen der Wohltuende von Wohltätigkeit, die Partizipal- von der Suffixbildung, unterschieden wird: unterscheidet sich auch der Tuende vom Tätigen (der Wohltuende hat das Objekt, der Wohltätige des Subjekt der Wohltat im Sinn)? – Vgl. auch Tätigkeit und Tätlichkeit).
Wodurch unterscheiden sich Partizipien vom Gerundivum (Partizip Präsens mit zu)? Ist das Gerundivum der verdinglichte, gegenständlich geworden Imperativ, Auftrag: das zu Bekennende, das zu Erläuternde, das zu Bezahlende (Vorläufer des Sachzwangs)?
Gibt es einen Zusammenhang der agglutinierenden Sprachstruktur mit der Idolatrie und dem Sternendienst?
Durch Substantialisierung wird die Sprache in die Zone des Falles gerückt (in die Deklinationsfalle).
Wie unterscheidet sich das „libera nos a malo“ vom „befreie uns von dem Bösen“?
Theologische Bedeutung hat das „schaffen“ nur im Präteritum (im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde), während das frei konjugierbare „erschaffen“ die theologische Tradition der creatio ex nihilo in sich enthält.
Hängt die Ausbildung der durch Prä- und Suffixe und durch Präpositionen charakterisierten Sprache (der indogermanischen Sprache?) zusammen
– mit der Änderung und Ausweitung der Konjugationen (insbesondere der futurischen Formen) und
– mit der Herausbildung und Fixierung von Denkstrukturen, dem räumlichen, objektivierenden, verdinglichenden Denken entgegenkommen?
Und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Barock:
– hinsichtlich der Ausbildung der Titel (Hoheit, Ableitung der hoheitlichen Aufgaben), der Hereinnahme der Ehrenbezeichnungen in die Sprache, und
– die Substantialisierungstendenzen, insbesondere die Einführung der Majuskel zur Kennzeichnung der Substantive (in England nur zu Kennzeichnung der Personen)?
Was hat -haft mit „Haft“ und -bar mit „bar“ zu tun? Steckt darin nicht die Erinnerung an die Schuldknechtschaft? Und bezeichnet der Begriff der Schuldknechtschaft nicht den Grund der Vergesellschaftung immer noch am deutlichsten? Ist nicht das Bekenntnis die vergeistigte Schuldknechtschaft?
Vergleiche auch -lich und -ig, die adjektivischen Entsprechungen von -keit und -heit, auch -sam (arbeitsam, strebsam) und -sal (wie Schicksal, Labsal, Mühsal: von mühselig). Woher kommen diese Suffixe, und was drückt sich sprachphilosophisch darin aus?
Ist die deutsche Sprache das bis heute unaufgeschlossene Gedächtnis dieser Herrschafts- und Versteinerungstendenzen, ist sie damit nicht in einem ungeheuren Maße schuldbelastet und so das vorbezeichnet Objekt von Erinnerungsarbeit? (Gibt es nicht merkwürdige Hebraismen in der deutschen Sprache: insbesondere das affirmative „ja“?)
Volk als Schicksalsgemeinschaft; Beziehung des Volksbegriffs (des Begriffs des Völkischen) zum Begriff des Begriffs: Sind bei Hegel nicht die Volksgeister die Träger des Weltgeistes, die die Aufträge des Weltgeistes auszuführen haben und, wenn sie ihn erfüllt haben, zugrunde gehen? Ist hier nicht der Quellpunkt des Antisemitismus (als Konsequenz aus dem völkischen Verständnis der Idee des „auserwählten Volkes“ und, weil dieses Volk sich dem Auftrag des Weltgeistes entzieht, eigentlich seit seinen Anfängen in Opposition zum Weltgeist gestanden hat) Dagegen ist das Christentum seit seiner Anpassung an die Welt, seit Beginn des Dogmatisierungsprozesses, insbesondere seit der Ausformulierung der Trinitätslehre, zum genauesten Selbstausdruck des Weltgeistes geworden. Das „Geht hinaus in alle Welt“ ist nur affirmativ verstanden, sein weltkritischer Aspekt dagegen verdrängt worden. Aber hat das Christentum damit nicht bewußtlos die Schuld der Welt auf sich genommen, und ist es nicht gerade so absolut schuldig geworden?
November 1991
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30.11.91
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28.11.91
Das Relativitätsprinzip stellt genau den abschließenden Abstraktionsprozeß vor Augen: Hier wird – ähnlich wie durchs Tauschprinzip die Stadt (der Markt) – die Mechanik mit all den Folgewirkungen begründet. Zu den ersten Folgewirkungen gehört die Neubegründung der Astronomie durchs Gravitationsgesetz (auf der früheren Stufe des Sternendienstes und des Opfers). Die Ablösung und Konstituierung des mechanischen Objektivitätsbegriffes, dessen Grundlage der Bewegungsbegriff ist (mit der Äquivalenz von Raum und Objekt) verhält sich zum agrarischen (magischen) Objektivitätsbegriff wie das (gegen die Erde sich verselbständigende) Tier zur (ortsfesten) Pflanze. Gelenkfunktion hat das Relativitätsprinzip (auf der früheren Stufe das Tauschprinzip). „Hode hä sophia estin. Ho echon noun …“ (Off 1318)
Tiere sind nominalistische Wesen (sie wurden von Adam benannt). Und es ist kein Zufall, daß in der Apokalypse (beim Fall Babylons) die Könige, die Kaufleute und die Spediteure genannt werden (auch Noah und die Kirche sind Spediteure).
In der Religion übernimmt der Bekenntnisbegriff diese Funktion der (vergegenständlichenden) „Ablösung“: daher die zentrale Funktion des Bekenntnisbegriffs im Kontext der Konstituierung des Weltbegriffs (in der Sexualität – generell in der Sinnlichkeit -wird die letzte Bindung an die vorzivilisierte Welt gesehen; deshalb der Kampf gegen die Sexualität: die Sexualmoral, und die Vergeblichkeit dieses Kampfes: der Wiederholungszwang; aufzulösen nur durch Reflexion).
Die Subjektivierung der Sinnlichkeit ist ein Teil der Selbstverdinglichung des Subjekts (durchs Tauschprinzip, durchs Inertialsystem und durchs Bekenntnis).
Natur und Welt sind Totalitätsbegriffe, deren Funktion u.a. darin zu liegen scheint, uns durch ein quasi abkürzendes Verfahren die Last der Reflexion abzunehmen (die gleiche Leistung hat vor der Konsolidierung des Weltbegriffs die Idolatrie erbracht).
Kriegszeiten sind Bekenntniszeiten, und Bekenntniskriege sind die brutalsten Kriege.
Das hat die Linke nie begriffen, obwohl sie es von Marx hätte lernen können: daß der Materialismus keine Ideologie ist, sondern eine Anweisung, den Vorrang des Objekts anzuerkennen und nicht den Rechtfertigungszwängen zu verfallen, die seit Ursache des Idealismus gewesen sind (auch der Materialismus ist als Rechtfertigungslehre Idealismus).
Die apostolische Nachfolge ist die vergeistigte Form der Genealogie und bezieht sich auf eine Form des Lebens, das sich über die Sakramente reproduziert.
Rock: das Schreien der Steine.
Wer ist eigentlich der Pharao: das „große Haus“? In der Schrift kommt die Bezeichnung mit und ohne Eigennamen vor. Drückt sich in dieser Unterscheidung etwas aus? Sonst ist von Königen die Rede, nur im Hinblick auf Ägypten vom Pharao. Haben die Bezeichnungen König und Pharao den gleichen Stellenwert, die gleiche Bedeutung, drücken sich in den unterschiedlichen Bezeichnungen andere Gestalten von Herrschaft aus (ist der Heideggersche Begriff „Haus des Seins“ pharaonisch)? Hängt es zusammen mit dem Unterschied zwischen dem „Turmbau von Babel“ und dem Sklavenhaus (mit den Fleischtöpfen), in dem die Israeliten (als hebräische Sklaven) beim Pyramidenbau (bei der Erstellung der Todesarchitektur) helfen mußten?
Die babylonische Gefangenschaft ist etwas anderes als das Sklavenhaus Ägyptens; davon ist dann das jüdische Exil wiederum zu unterscheiden (wie ist die Entwicklung von Hebräern zu Israeliten und dann zu Juden: Jesus war zu den „verlorenen Kindern Israels“ gesandt).
Durch das nationalistische Vorurteil, unter dem unsere Geschichtsschreibung leidet, und das wir in die Bibel hineintragen, wird diese entstellt und unkenntlich gemacht; so wird sie automatisch antisemitisch erfahren.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Ursprung des Inertialsystems und der Entwicklung des Bank- und Kreditwesens (Ursprung und Entwicklung der doppelten Buchführung)? Nach dem Relativitätsprinzip ist die Bewegung eines materiellen Objekts der entgegengesetzten Bewegung des Inertialsystems äquivalent (Äquivalenz von Objekt und System; entspricht der Äquivalenz von Masse und Energie in der speziellen Relativitätstheorie Einsteins). Die Erfindung der doppelten Buchführung (Erfolgsrechnung: Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben) war die Grundlage des modernen Kreditwesens; sie hat das Anschauungsmaterial (das fundamentum in re) geliefert für den theologischen Begriff der creatio ex nihilo.
Gibt es eine Statistik über die Entwicklung des Geldumlaufs in den Industrieländern, und kann man unterscheiden zwischen Geldmenge und Zirkulationsgeschwindigkeit? Die vollendete Dynamisierung zeigt sich daran, daß der Wert des Geldes heute nur noch in Ausnahmefällen (imgrunde nur in rückständigen Ländern) von den Goldreserven der Zentralbank abhängt; die reale Abhängigkeit bezieht sich auf die Außenhandelsbilanz (zu deren Stabilisierung, wie im Falle der früheren Getreideeinkäufe der Sowjetunion, u.a. die Goldreserven eingesetzt werden können). – Der Fehlschluß der staatskapitalistischen Länder liegt darin, daß sie glauben, die Regeln des Tauschprinzips (der Geldwirtschaft) beibehalten und zugleich die Gesetze der Geldwirtschaft beherrschen zu können. Hier geraten sie zwangsläufig in die Rolle des Zauberlehrlings (sie lösen Entwicklungen aus, deren Folgen sie nicht überblicken können).
Der Annihilierungsprozeß, der jeder Kapitalschöpfung zugrunde liegt (und im Kreditwesen instrumentalisiert wird), gewinnt gegenständliche Bedeutung in jeder Form der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals (bis hin zu den imperialistischen Raub- und Vernichtungskriegen). Deshalb war der Weltanschauungskrieg (und seitdem jeder Religionskrieg) ein Vernichtungskrieg (und aus dem Antisemitismus ableitbar).
Am Abend in einer Talk-Show Ernst Fuchs, der darauf hinweist, daß es eine unmittelbare Erfahrung des eigenen Ursprungs und des eigenen Todes nicht gibt: Beides, die Zeit vor meiner Geburt und mein Tod, ist mir eigentlich nur durch Mitteilung von außen und durch Rückschlüsse aus meiner Erfahrung mit anderen, bewußt. Ich für mich bin ewig, das Bewußtsein meiner zeitliche Endlichkeit (meines Anfangs und meines Endes in der Zeit) ist nur ein Reflex meiner Welterfahrung. Vergleich mit der sinnlichen Erfahrung (der Wahrnehmung der sinnlichen: der erleuchteten und farbigen, der warmen und kalten und der rauschenden, tönenden und klingenden Welt), die ebenfalls in ihrer Unmittelbarkeit nicht mitteilbar ist, außer über die Sprache nicht mit der Erfahrung der anderen kommuniziert. Dieses Ewige wird durch Objektivierung aufgehoben, vernichtet, bleibt unerinnert. An ihre Stelle tritt das Ich, das selber in den Weltzusammenhang verflochten (und somit wie die Welt sterblich) ist. Es wird wiedergewonnen nur als die Erfahrung und das Bewußtsein der Ewigkeit des anderen. -
27.11.91
„Auschwitz ist in hohem Maß die Folge einer gnadenlos instrumentalisierten Vernunft.“ (Götz Aly und Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung, Hamburg 1991, S. 485) Die Feststellung wäre zu er-gänzen durch den Hinweis, daß diese „gnadenlos instrumentalisierte Vernunft“ ohne das Vorurteil nicht möglich gewesen wäre: Sie war effektiv nur nach Osten, nicht gegen den Westen. D.h. zu den Voraussetzungen der Instrumentalisierung gehörte auch die Verinnerlichung dessen, was man die Zivilisationsgrenze nennen könnte. Im Westen gab es Feinde, mit denen man glaubte, sich auf gleicher Ebene messen zu können; im Osten gab es nur noch „Untermenschen“ (mit nur graduellen Abstufungen zwischen Polen, Tschechen, Russen, Zigeunern und Juden); im Verhältnis zur zivilisierten Vernunft standen sie auf der Seite der unterworfenen Natur. Die Instrumentalisierung der Vernunft war angewiesen auf das Gelingen der Instrumentalisierung der Moral, die nur noch als Stütze des Herrendenkens verstanden wurde: als Mittel der Identifikation mit der Macht (das drückte u.a. in Begriffen wie „Humanitätsduselei“ und „Kampf gegen den inneren Schweinehund“ sich aus). Die Gemeinschaft der zivilisierten Welt wurde als die Gemeinschaft des Herrendenkens verstanden, und dessen reinste Ausprägung war der Faschismus. So wurde der Krieg im Osten – im Gegensatz zu dem im Westen – als „Weltanschauungskrieg“: als organisatorisch durchrationalisierter Vernichtungskrieg geführt.
Quellen des Vorurteils: Sexualmoral und Bekenntnislogik (transzendentale Logik als säkularisierte Bekenntnislogik).
Noch heute werden die pogromartigen Ausschreitungen des Fremdenhasses nicht an ihren realen Auswirkungen (z.B. an realen Morden) gemessen, sondern an ihrer Außenwirkung: an der „Schande“, die solche Vorkommnisse dem „deutschen Namen“ zufügen (Bundeskanzler Kohl). Ähnlich wurde wurde argumentiert, als im Krieg die Vorstellung einer „Endlösung der Polenfrage“ in die Diskussion gebracht wurde: „Daß man die Polenfrage nicht in dem Sinne lösen kann, daß man die Polen, wie die Juden, liquidiert, dürfte auf der Hand liegen. Ein derartige Lösung der Polenfrage würde das deutsche Volk bis in die ferne Zukunft belasten und uns überall die Sympathien nehmen, zumal auch die anderen Nachbarvölker damit rechnen müßten, bei gegebener Zeit ähnlich behandelt zu werden.“ (Vgl. Aly und Heim, S. 422)
Das „grundsätzlich“ im Juristendeutsch erinnert an Radio Eriwan: „Im Prinzip ja, aber …“ Und von dieser Art ist der Satz Kohls: „Es gibt kein ausländerfreundlicheres Volk als die Deutschen.“ Hier beißt sich die Blindschleiche in den Schwanz (und beginnt sich selbst zu verschlucken): Was Kohl allein interessiert, ist das Urteil des Auslandes (der Welt, der Geschichte); und das will der Ausländerfeind ja gerade wegbringen. So verstärkt sich das Xenophobie-Syndrom.
Der Fortschritt des Christentums gegenüber dem Hellenismus (des christlichen Weltbegriffs gegenüber dem griechischen Kosmos: Bedingung der Möglichkeit der neuen Gestalt von Naturbeherrschung) liegt darin, daß es die räumlich Grenze gegen die Barbaren in eine zeitliche umgewandelt hat: Der Missionsauftrag wurde verstanden als Auftrag, in „aller Welt“ die „frohe Botschaft zu verkünden“ und „die Heiden zu bekehren“, d.h. alles aus dem Blickfeld zu schaffen, was an die überwundene Vergangenheit erinnerte. Das kehrte dann in der Aufklärung als der ambivalente Begriff des „Wilden“ (der undifferenzierten Einheit von Heiden und Nichtzivilisierten) wieder. So wurden mit dem Objekt (mit der Natur) die Erinnerung und ihre gegenwärtigen Repräsentanten zum Weltanschauungs-Feind. Heute mißt sich der Grad der Zivilisiertheit (und der Bekehrung) an dem der Zustimmung und der Teilhabe am naturwissenschaftlichen Aufklärungsprozeß. Die historische Verdrängungsleistung schlägt immer wieder in den Vernichtungswillen um, wenn ein gegenständlicher Repräsentant die Verdrängungsleistung in Frage stellt. -
26.11.91
Naturwissenschaft, Sexualmoral und die Geschichte der Scham („Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren“).
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25.11.91
An der Mundpartie erkennt der in die Geheimnisse der Zivilisation Eingeweihte, ob der andere bereit ist mitzulachen (ob er Person ist: vgl. das Augurenlächeln und den Eicherschen Begriff der „Augurenreligion“ – Michael Weinrich in Einwürfe 4, S. 140). Wer hat angefangen, sich zu rasieren, und seit wann? Die Philister und die Ägypter waren bartlos. Für die Griechen sind die Barbaren sowohl die Bärtigen als auch die Stammelnden.
Hat das Rasieren etwas mit der Herstellung des poker-face zu tun? Und ist das poker-face nicht das Gesicht dessen, der selbst den Witz erzählt und nicht darüber lachen darf?
Das diabolein beginnt mit der Erkenntnis des Guten und Bösen und endet mit der Unfähigkeit, rechts und links zu unterscheiden.
Diabolos (oder die entsetzliche theologische Verwirrung im Katholizismus; vgl. die Versuchungen Jesu – Mt 41-11, Mk 112-13, Lk 41-13): Wer andere „durcheinanderwirbelt“, verwirrt den Orientierungssinn. Der Verwirrte kann rechts und links (sowie vorn und hinten) nicht mehr unterscheiden. Er kennt nur noch oben und unten, aber in einer Weise, die es ihm verwehrt, sich oben zu halten. Unsere Theologie müßte auf den Stand gebracht werden, auf dem die Dichtung seit Goethes „Faust“ (vgl. auch Thomas Manns „Doktor Faustus“) und die Philosophie seit Hegels „Phänomenologie des Geistes“ bereits ist. Mit der Etablierung des Raumes (i.e. des Inertialsystems) gegen die Natur und mit der Zurichtung der Ökonomie zum System (durch die Subsumtion der Arbeit unters Tauschprinzip und durch dessen unversale Ausbreitung: die Zerstörung aller „naturwüchsigen“ Verhältnisse) wurde die Orientierungskraft der Offenbarung (ihre erhabene Anthropozentrik) zerstört.
Das Wort Satan hat nach Gershom Scholem im Hebräischen die Bedeutung „Ankläger“, die Bezeichnung Diabolos ist griechisch und bedeutet „Verwirrer“. Die hebräische Bezeichnung stammt aus dem Rechtsbereich, die griechische aus dem räumlich-logischen.
Der Ankläger ist der Verführer: er verführt zur Empörung oder zur Rechtfertigung. Maßgebend ist ist der projektive Umgang mit der Schuld.
Was uns das Festeste zu sein scheint, der Raum, das Geld, das dogmatisierte Bekenntnis (die Orthogonalität, die Stabilität und die Orthodoxie) ist gerade die Quelle und der Ursprung der Verwirrung.
Unterm Zwang des Systems ist die Moral (vgl. die Konstruktion der Wertethik: Moral als anklagende, urteilende, richtende Instanz; Zusammenhang mit dem akkusatorischen Objektivationsprozeß; die Wertethik kennt kein Pardon) zu einem Instrument im Schuldverschubsystem geworden: mit der Nutzung des Scheins der exkulpatorischen Kraft des moralischen Besserwissens (des moralischen Urteils und des vergesellschafteten Bekenntnisses, deren innere Triebkraft die Empörung ist) ist sie zu einem Instrument des hemmungslosen Projektierens geworden, das sowohl dem Gebot der Feindesliebe als auch dem Nachfolgegebot widerspricht (dem Gebot, die Schuld der Welt auf sich zu nehmen, anstatt sie -sich selbst exkulpierend – in den anderen dingfest zu machen).
Omne ens inquantum est ens est bonum: dieser Satz enthält einen utopischen Begriff des „Seienden“. -
24.11.91
Das analsadistische Vokabular schließt die Mimesis a limine aus. Es dementiert das „non olet“. Im Kontext einer homosexuellen Komponente (des männlichen Sexismus) macht es die Sexualmoral zur Basis der Kapitalismuskritik (Grundlage der Personalisierung).
Das petrinische Vorurteil: Personalisierung und Sexualmoral gehören zusammen und sind Folgen der Bekenntnislogik. Deshalb kann der Katholizismus die Sexualmoral nicht aufgeben und Frauen nicht zum Priesteramt zulassen. Dieses Syndrom kommt in der Abtreibungskampagne in die Nähe der Selbstverfluchung.
Steckt nicht in jedem Werturteil eine sexualmoralische Komponente (und ist das analsadistische Vokabular der Kern aller Werturteile)? Oder umgekehrt: Ist das Wertgesetz das obszöne Zentrum des Kapitalismus?
Sexualaufklärung ist der falsche Begriff für einen richtigen Sachverhalt; worauf es ankäme, wäre:
– die Fähigkeit, Sexualität ohne Schuldangst (ohne Rechtfertigungs- und Projektionszwang) zu reflektieren;
– die Anerkennung des „erste(n) Gebot(s) der Sexualmoral: der Ankläger hat immer unrecht“ (Adorno: Minima Moralia); und
– die Anerkennung des Satzes, daß ich niemanden zum bloßen Mittel meiner Bedürfnisse machen darf.
Die Übernahme der Schuld der Welt setzt die Fähigkeit zur freien Reflexion des Herrschafts-, Schuld- und Verblendungszusammenhangs voraus, insbesondere die Fähigkeit zur freien Reflexion
– von Sexualität,
– der Naturwissenschaften,
– des Kapitalismus und
– der Religion.
Darin liegt das Befreiende des Christentums (ama et fac quod vis).
Furcht und Zittern: Es müßte heißen: Gottesfurcht, aber ohne Zittern (Zittern gehört zur Herrenfurcht, nicht zur Gottesfurcht).
Die zuletzt von Drewermann wieder genutzte Charakterisierung der jüdischen Religion als Gesetzesreligion, die einen paulinischen Begriff aufnimmt, ist in dieser Form ein Element des Antijudaismus: eher trägt das Dogma die Züge einer Gesetzesreligion als die Tora. Historisch hat sich das Dogma, und nicht die Tora, als Mittel der Anpassung der Religion an die Welt (an dessen Konstitutionsgrund der Gesetzesbegriff erinnert) erwiesen. Der antijudaistische Gebrauch des Gesetzesbegriffs ist Produkt reiner Projektion. Selbst der Dekalog ist keine Verkörperung des Gerichts (das zum Tode führt), sondern eine der Gnade, der Barmherzigkeit (die christliche Tradition, die hier offensichtlich verlernt hat, „links und rechts zu unterscheiden“, hat nicht zuletzt deshalb keines der zehn Gebote verstanden: vom „keine Götter neben mir“ und von der „Heiligung des Gottesnamens“ bis zum Verbot des falschen Zeugnisses wider den Nächsten und des „Begehrens“).
Die weltkritische Tradition des Christentums ist insoweit bis heute nicht verstanden worden, als sie bis heute nicht auf das weltkonstituierende Moment im Subjekt selber bezogen worden ist, umgekehrt: vom Christentum zur Heiligsprechung der Subjektivität als Weltgrund mißbraucht wurde (im christlich-dogmatischen Gebrauch des Person- und des Bekenntnisbegriffs). Anstatt sie auf die Äonenwende, den Ursprung und Verlauf des weltkonstitutierenden Objektivationsprozesses zu beziehen, wurde das Christentum selber zum Träger dieses Prozesses: Seitdem steht es sich selbst im blinden Fleck. Das Geheimnis dieses Prozesses hat Kant in der Kritik der reinen Vernunft: im Zusammenhang von transzendentaler Ästhetik und Logik, ausgesprochen. In diesen Prozeß ist (als verhängnisvolles Erbteil eines Christentums, für das die Umkehr ein Fremdwort geblieben ist) der Exkulpationsmechanismus eingebaut, der dem begrifflichen Denken insgesamt zugrundeliegt.
Die Trinitätslehre als Gottesfurcht-, Umkehr- und Nachfolge-Vermeidungs-Maschine.
Die Philosophie partizipiert an der Stummheit des Helden; und diese Stummheit vollendet sich in der transzendentalen Logik, in der das Objekt endgültig namenlos wird und die Sprache der Erkenntnis ihre benennende Kraft verliert. Diese Stummheit ist erstmals im Universalienstreit: im Nominalismus zum Bewußtsein ihrer selbst gebracht worden (nomina sunt flatus vocis; Name ist Schall und Rauch).
Erinnerungsarbeit ist der Versuch, den Schuldzusammenhang aufzulösen, in dem sich (zuletzt in der traszendentalen Logik Kants) das namenlose Objekt konstituiert, und der Sprache ihre benennende Kraft zurückzugewinnen.
Was hat Jona der Stadt Ninive gesagt?
In Heideggers „Geschick des Seins“ reflektiert sich die schicksalhafte Struktur des Begriffs, sein Verhältnis zum Schuldzusammenhang, seine sprachzerstörerische Gewalt.
Der Logos (die benennende Kraft der Sprache) konstituiert sich in der Übernahme der Schuld der Welt. -
21.11.91
Bekenntnis (Hypostasierung des Raumes, Logik des Geldes) = Isolationshaft des Geistes.
Daß der Himmel sich wie eine Buchrolle aufrollt, ist ein Bild für die Auflösung des Objektivierungsmechanismus, der uns von der Vergangenheit trennt, sie uns gegenständlich macht. Und das wird sein, wenn wir die Sprache beherrschen und nicht mehr die Sprache uns.
Der Durchbruch der naturwissenschaftlichen Aufklärung ist erfolgt, als es gelang, den Raum gegen die theologische Metaphorik abzuschirmen, ihn davon abzutrennen und die theologische Metaphorik als bloß subjektiv und bloße Anthropozentrik zu diskriminieren. Die Raummetaphorik konnte allerdings nicht ganz zum Verschwinden gebracht werden: Die Unterscheidung von oben und unten ist geblieben; sie hat die Erinnerung daran erhalten, daß die Abstraktion von der theologischen Metaphorik nur dem Herrendenken zugute gekommen ist.
Zur Unterscheidung von Im Angesicht und Hinter dem Rücken: sie paßt genau zu dem Hinweis Horkheimers, es sei eigentlich unvorstellbar, daß auf dem riesigen Leichenberg, den die Vergangenheit uns hinterlassen hat (gleichsam auf dem Rücken der Leiden der Vergangenheit), einmal die richtige Gesellschaft errichtet werden könne.
Die Subjektivierung der theologischen Metaphorik, die zusammenging mit der Derealisierung und Subjektivierung der „sekundären Sinnesqualitäten“, hat der Gemeinheit den Weg frei gemacht.
Das, was Levinas (gegen Buber, aber auch gegen den pseudotheologischen Begegnungsbegriff) die Asymmetrie der Ich-Du-Beziehung genannt hat, läßt sich demonstrieren am Verhältnis von Subjekt und Objekt im Raum.
Kant hat dem sokratischen daimon dingfest gemacht im System der transzendentalen Ästhetik und Logik (insbesondere der Raum erfüllt präzise die Funktion des diabolos gegen die Sprache: er macht das Objekt namenlos).
Nach Ebach ist die Wendung Im Angesicht sowohl auf Gott als auch auf den Feind bezogen: Ist nicht darauf das Gebot der Feindesliebe anzuwenden? Erscheint uns das Antlitz Gottes nicht prima facie im Gesicht des Feindes?
Entkonfessionalisierung der Kirchen heißt: aus den Gestalten der selbstverschuldeten Entfremdung der Kirchen heraustreten, sich befreien.
Das Trägheitsprinzip im Inertialsystem entspricht der Winkelfunktion im Raum (Zusammenhang mit dem Verfahren der Begriffsbildung); es bezieht – ähnlich wie die Winkelfunktion die räumlichen Dimensionen – die Zeit und die Materie in ein gemeinsames metrisches System mit ein. Die Konstituierung des Trägheitsprinzips hat das Relativitätsprinzip zur Voraussetzung. -
20.11.91
Zur Bemerkung eines Kirchenhistorikers (zum Verhältnis der Kirchen zum Nationalsozialismus und zur Shoah), es gehöre zu den Verführungen der Nachgeborenen, aufgrund der genaueren Kenntnisse besser über die Vergangenheit urteilen zu können als der Zeitgenosse.
– Der apologetische (exkulpierende) Gebrauch dieses Arguments ist unzulässig: Wenn die Fakten, die Grundlage des Urteils des Nachgeborenen sind, stimmen, wenn sie nicht zu leugnen sind, dann kann man sie nicht durch den Hinweis auf den Vorteil, den der Nachgeborene aus seiner späten Geburt zieht, aus der Welt schaffen.
– Die Wahrheit dieses Arguments liegt an anderer Stelle:
. Die Vorstellung, daß der Nachgeborene aus seiner späten Geburt einen Vorteil ziehen kann, hat christliche Ursprünge, die im übrigen mit dem christlichen Antijudaismus (der Quelle des Antisemitismus) zusammenhängen: Das Bekenntnis ist grundsätzlich das Bekenntnis des Nachgeborenen, der sich von der Vergangenheit distanziert, sie in die Perspektive der Objektivität rückt: der so glaubt, die Vergangenheit (insbesondere die jüdische Vergangenheit des Christentums) „überwunden“ zu haben. Der kirchliche Antijudaismus ist die Projektionsfolie, auf die das kirchliche Dogma, der zum Bekenntnis umgeformte Glaube, aufgetragen wird, und die dem Christen den Sündenbock liefert und die eigene Erinnerungsarbeit erspart (Ursprung der Heuchelei, die sich selbst nicht mehr durchschaut, deshalb ihre Unwahrheit als Aggression nach draußen kehren muß).
. Die projektive Nutzung des besseren Wissensstandes der späten Geburt ist in der Weigerung begründet, das Nachfolgegebot zu erfüllen; sie ist ein Mittel, die exkulpierende Kraft des moralischen Urteils (der Empörung) sich zuzueignen, ohne dem Schmerz der Gottesfurcht sich zu stellen. Aber die Vorstellung, daß die Verurteilung fremder Schuld den Urteilenden in den Stand der Unschuld versetzt, ist schlimmste Magie (und der Grund fürs Überleben der Magie im christlichen Bekenntnis).
Auch die Nachgeborenen stehen im Hinblick auf Auschwitz auf der Täterseite; oder: Auschwitz ist nicht vergangen, seine Voraussetzungen überleben im Bewußtsein und Unbewußtsein der Überlebenden; mitschuldig ist jeder, der diese Erbschuld nicht als Teil seiner selbst begreift, für den er einstehen muß. -
19.11.91
Gott hat nicht die Welt sondern Himmel und Erde erschaffen, d.h. außer der Erde (mit dem Himmel) auch die Umkehr.
Seit dem Ursprung des Weltbegriffs bedarf es der Idolatrie nicht mehr; der Weltbegriff leistet seitdem dasselbe, was vorher der Götzendienst leistete. Und die jesuanische Übernahme (nicht Hinwegnahme) der Schuld der Welt steht in der Tradition der Kritik der Idolatrie und des Bilderverbots. Das Bewußtsein davon klingt nach in dem mittelalterlichen Bild der Frau Welt, die in der Tradition des prophetischen Begriffs der Hurerei und des Bildes der Hure Babylon steht.
Der kirchliche Antijudaismus war das Mittel, die prophetische Idolatrie-Kritik zu adaptieren, ohne sie auf sich selbst (die Kirche) beziehen zu müssen. Ohne den Antijudaismus wäre die Dogmenentwicklung (als Anpassung des die Welt) und ihre Voraussetzung, die Hypostasierung des Weltbegriffs (die Quelle der Häresien) nicht möglich gewesen
Die vollständige Säkularisation der Religion ist der Faschismus.
Der Fundamentalismus ergibt sich aus dem Festhalten des Prinzips der wörtlichen Wahrheit der Schrift unter den Prämissen des Weltbegriffs und des Herrendenkens.
Der Fundamentalismus (miß-)versteht die Bibel als Lehrbuch der Geschichte oder der Physik; er verfällt eben damit dem Bilderverbot.
Die Vergöttlichung des Opfers ist die christologische Verführung.
Ist das Firmament ein System aus Spiegelungen und Brechungen, dessen Entschlüsselung erst gelingt, wenn ein diachronischer Geschichtsbegriff möglich ist?
Die Apokalyptik steht in der prophetischen Tradition, sie ist deren Weiterbildung unter der Voraussetzung des etablierten Weltbegriffs. Und die apokalyptische Vorstellung des Weltuntergangs bezieht sich auf diese Hypostase, ist Produkt und Ausdruck der Auseinandersetzung mit der (nachprophetischen) „Welt“. Die Frage, ob die Apokalyptik in der Form, wie der Fundamentalismus sie dingfest zu machen versucht, auf die physikalische (oder astronomische) Realität sich bezieht, kann offen bleiben (genauer: diese Frage stellt sich jetzt nicht mehr; in den Minima Moralia gibt es ein Stück, das heißt „Nach Weltuntergang“).
Das Buch Jona ist eine postapokalyptische Schrift:
– Die Prophetie richtet sich nicht nach innen, sondern nach außen (gegen Ninive, die „große Stadt“).
– Am Ende stellt sich heraus, daß Gott barmherzig ist (Gericht der Barmherzigkeit über das gnadenlose Weltgericht).
– Gott begründet die Barmherzigkeit mit dem Hinweis auf die 120.000 Menschen, die rechts und links (Gnade und Gericht) nicht unterscheiden können, und auf „so viel Vieh“.
Ist Jona nicht die genaue Gegenfigur zum Bileam (ein jüdischer Prophet gegen Ninive, ein moabitischer/midianitischer Prophet über Israel? Das NT spricht vom „Zeichen des Jona“ und von der „Sünde Bileams“.
Erst wenn uns die Möglichkeit der Auferstehung der Toten nicht mehr erschreckt – und das ist nach Auschwitz unmöglich -, wird der Messias kommen.
Zum Satz Kafkas „Es gibt unendlich viel Hoffnung, nur nicht für uns“: Es gibt keine Garantie, die steht bei Gott.
Es gibt keine Heiligen mehr in dieser Welt, es sei denn, sie heißen Franz K., Schönfließ und Wiesengrund.
Die nach dem zweiten Weltkrieg modisch gewordene Wendung „Ich würde sagen …“ drückt eine geschichtsphilosophischen Sachverhalt aus: Es ist nicht mehr möglich ungebrochen theologisch zu reden (apodiktisch zu urteilen).
Die Realität heute ist ein kurzer Prozeß über die Kinder, die überall von Real-Verboten umstellt sind, deren Übertretung unmittelbar geahndet wird.
Zum Begriff der Strafe (läßt sich das Strafrecht überhaupt noch begründen: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand): Zusammenhang von Strafe, Recht und Bekenntnislogik (Ursprung und Geltung des Weltbegriffs). Der Kreuzestod („Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“) und das Problem der Strafe.
Strafe verhindert a limine (als Institut) die Gottesfurcht, und zwar auf beiden Seiten: durch Fixierung des Strafbedürfnisses (im Interesse der Erhaltung der „Welt“) und durch das, was sie dem, den sie der Strafe unterwirft, antut.
Läßt sich das Nationalprinzip unreflektiert auf die Alte Welt, insbesondere auf Israel, anwenden? Was bedeutet hier Volk, Nation, Sprache? Was heißt Assur, Babel, Moab, Amalek; Kanaanäer sind Händler; Israeliten sind für Ägypten, die Philister, bei Jona für die Schiffsleute (bei Judith für Holofernes) Hebräer (Sklaven, Söldner, Kleinviehnomaden). Wie lautet die hebräische Bezeichnung für die Ägypter, und was bedeutet sie?
Thomas Ziehe (FR vom 19.11.91) leitet das Individuationsprinzip aus dem Konkurrenzverhältnis ab; das Konkurrenzverhältnis bezeichnet aber gesellschaftlich durchaus verschiedene Sachverhalte:
– Im Handel und in der Produktion bezieht es sich auf den Markt,
– in der Verwaltung (wie in der Kirche und beim Militär) auf die Karriere (die Teilhabe am Sakrament der Macht), während
– die Anwendung aufs Proletariat nur auf den „Aufstieg“ aus dem Proletariat sich bezieht.
Sind die Atome das Proletariat der Mechanik, und ist die Astronomie die Verwaltung?
Der Begriff des Daseins ist aus der Hegelschen Diskussion des hic et nunc abzuleiten: Das Da ist das Hier für andere.
Ich habe Elias Canettis „Masse und Macht“ immer als Gegenpol und als Ergänzung zur „Dialektik der Aufklärung“ verstanden: Hier geht es beidemale um die gleiche Sache, das einemal um ihren naturalen Aspekt, das anderemal um ihren historisch-gesellschaftlichen und um ihre erkenntnistheoretischen Aspekt. -
14.11.91
Horkheimers Bemerkung (in: Die Juden und Europa, geschrieben 1939), daß „die Sphäre der Zirkulation … ihre ökonomische Bedeutung“ verliere und „die berühmte Macht des Geldes … im Schwinden begriffen“ sei, ist wahr und unwahr zugleich. Die „zunehmende Ausschaltung des Marktes“ und die Rückkehr zum archaischen Raub ist nicht einfach des Gegenteil des „gerechten Tauschs“, sondern dessen andere Seite; und die Sphäre der Zirkulation hatte ihre „ökonomische Begründung“ nur im Rahmen des Scheins, den das Tauschprinzip selbst erzeugte, zu dessen Erhaltung es aber immer schon der (schließlich staatlich monopolisierten) Gewalt bedurfte. Dieser Schein besteht weiter und verbirgt wie eh und je hinter seiner Fassade die Geschichte der Opfer und den realen Schuldzusammenhang (Rohstoffe: Ausbeutung der Dritten Welt, Krise des Energie- und des Agrarsektors; Arbeitskraft: dank der Instrumentalisierung der Arbeitslosigkeit entfällt die Notwendigkeit der Zwangsarbeit; Verschuldung/Gewalt: Arbeitslosigkeit drinnen und Verschuldungskrise draußen sind nur gegen Unwägbarkeiten abzusichern durch Produktion von realem Vernichtungspotential, dessen Höhe der der Gesamtverschuldung – dem hierdurch erzeugten potentiellen Vernichtungspotential – entsprechen muß).
Wie hängt das E = m.c2, die Äquivalenz von Masse und Energie, mit der Gewalt, die der mathematische Raum gegen die Dinge repräsentiert, zusammen?
Die Gewalt des realen Schuldzusammenhangs läßt sich an der der Exkulpationskräfte, der Rechtfertigungszwänge, messen. Diese verhexen jegliches Bewußtsein: die Erkenntnis, das Wissen und die Logik, durch die Begründung und die Gewalt des Bekenntniszwangs.
Gibt es Untersuchungen über die kabbalistische Zahlenmystik und über die Planeten- und Engellehre? -
13.11.91
Physik und Sündenfall: Die Erkenntnis des Guten und Bösen gründet im Primat des Prädikats gegenüber dem Subjekt; sie markiert die Genesis der Logik und des Begriffs, der dann, indem er sich auf sich selbst bezieht, als Subjekt sich konstituiert, das Objekt namenlos macht, es für die mathematische Gestalt der Erkenntnis, die sich rein im prädikativen Bereich bewegt, freigibt. Ableitung der instrumentalisierenden Gewalt der objektivierenden Erkenntnis (des Zusammenhangs von Objektivation und Instrumentaliserung und seines Ursprungs in der Idolatrie). In der Instrumentalisierung drückt sich die Trennung von Gutem und Bösem aus, die dann durch Verallgemeinerung (durch die Ablösung von der Beziehung auf „mich“ und die Herstellung der Beziehung zum Allgemeinen, letztlich zum Staat) zur reinen Form der Instrumentalisierung wird.
Hat die Geschichte mit dem „dreimal wirst du mich verleugnen“ mit der Beziehung von Bekenntnis und Raum zu tun?
– Zuerst wird Petrus direkt (von vorn) angesprochen,
– dann wird über ihn (zu seiner Seite) gesprochen,
– schließlich dringen die Umstehenden auf ihn ein (von allen Seiten), hier kommt es zur Selbstverfluchung (Steigerung der Identifikation mit dem Aggressor).
Wer ist die Magd, und wer sind die Umstehenden?
Konzept (Thesen):
– Gott hat Himmel und Erde und nicht die Welt erschaffen.
– Die Welt ist ein Teil des historischen Prozesses, an ihn gebunden und nicht von ihm zu trennen (sie konstitutiert sich als Welt im historischen Prozeß, unter nachvollziehbaren Bedingungen, zu denen auch das „Subjekt“ gehört). Der Begriff der Welt hat außerhalb dieses Prozesses keine Bedeutung.
– Der Begriff der Welt zieht dann als zweiten Begriff den der Natur nach sich; beide, Welt und Natur, sind Totalitätsbegriffe, die in bestimmbaren logischen Beziehungen zueinander stehen und deren Anwendung bestimmten logischen Gesetzen unterworfen ist.
– Grundlage ist der Prozeßbegriff, und zwar sowohl im historischen („Fortschritt“), als auch im juridischen Sinne, im Sinne eines Rechtsverfahrens.
– In diesem Rechtsverfahren bezeichnet der Weltbegriff die Momente der Anklage und des Urteils, die Natur das Objekt des Verfahrens (der Anklage und des Urteils). Anmerkung: in der neueren Kirchengeschichte scheint der Protestantismus die Seite der Welt zu repräsentieren (vgl. die Rechtfertigungslehre, das „pecca fortiter“, die Lehre von der Obrigkeit und den zwei Reichen), der Katholizismus die der Natur (Dogmenverständnis, Sakramentenlehre, die Formen der Schuldverarbeitung, mit der Folge heute, daß der übermächtige Exkulpationstrieb die Identifikation mit dem Aggressor fast unausweichlich macht, zu den kirchlichen Bindemitteln gehört).
Klingt in dem „und viel Vieh“ im letzten Satz des Buches Jona der Name des Behemot an?
Es gibt im historischen Objektivierungsprozeß ein Nebenprodukt, aus dem sich zwangsläufig der Antisemitismus ergibt. Wer vom Taumelkelch des Herrendenkens getrunken hat, kommt zu einem Begriff des Absoluten, in dem kein Glied nicht trunken ist.
Der Gedanke an die Nachwelt, die unser Handeln rechtfertigt oder verurteilt, an die „Geschichte“ als letzte Instanz: das Bewußtsein, daß politsche Taten „historisch“ sind, ist der Antike fremd. Wenn ein neuer Pharao die Denkmäler und Inschriften seines Vorgängers zerstört, dann ist das ein magischer Akt: er will nicht die Erinnerung beseitigen, sondern die gegenwärtige, auch nach dem Tod noch weiterlebende Gewalt eines Rivalen. Und wer sich selbst und seinen Taten ein Denkmal setzt, will überleben, nicht in der Erinnerung der Nachwelt „gerechtfertigt“ sein. Die höhere Warte dessen, der bloß überlebt, ist eine Erfindung des säkularisierten Christentums. -
12.11.91
„Je höher der Silbergehalt der Münze wäre, desto größer und denkwürdiger wäre der Ruhm des Königs Sigismund für die Nachwelt und desto strahlender der Abglanz seines Glücks.“ (Nicolaus Copernicus in: Brief der Räte Preußens an Ludwig Dietz; Erich Sommerfeld: die Geldlehre des Nicolaus Copernicus, Vaduz 1978, S. 117).
„Es ist, dünkt mich, eine sehr unphilosophische Idee, unsere Seele als ein bloß leidendes Ding anzusehen; nein, sie leihet auch den Gegenständen.“ (G.C.Lichtenberg: Aphorismen Briefe Schriften, Hrsg. Paul Requadt, Stuttgart 1953, S. 112) – Anwendung auf eine Theorie des Geldes und der Banken? Und was „unsere Seele“ den Gegenständen „leihet“: ist das nicht ein Teil des geldwirtschaftlichen Erbes der Schuldknechtschaft? Ist das Meer als Symbol der „Völker und Menschenmassen, Nationen und Sprachen“ (Off 1715) nicht genau der Inbegriff dessen, was dann „alle Welt“, das „Ausland“, auch die „Nachwelt“ genannt wurde (die Nachwelt ist die Welt).
S. auch „Warum hat Deutschland noch kein großes öffentliches Seebad?“ (Lichtenberg, S. 412ff)
„Und er sagte zu mir: Du hast die Gewässer (ta hydata) gesehen, an denen die Hure sitzt; sie bedeuten die Völker und Menschenmassen, Nationen und Sprachen.“ (Off 1715, vgl. 171: epi hydaton pollon) – „Und das Meer (hä thalassa) gab die Toten heraus, die in ihm waren …“ (2013) – „… auch das Meer ist nicht mehr.“ (211)
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