April 1992

  • 30.04.92

    Das Wasser ist eine realmythische Substanz (Repräsentant der Schuld und der Reinigung von Schuld). Dieser Satz ist ähnlich real zu verstehen wie der Hinweis Franz Rosenzweigs auf den sinnlich-übersinnlichen Charakter der Liebe. Und diese realmythische Substanz (der entdinglichten Masse, der reinen Trägheit, des reinen, raumfüllenden Gewichts, Realobjekt des Massebegriffs – vgl. die ökonomischen „Massengüter“ -, das sich selbst Äußere oder der Auschluß jedes Inneren) erinnert nicht zufällig an den Grundbegriff des Mythos, an den des Schicksals. Die verandernde Kraft des Seins, in der seine Beziehung (und die Beziehung der Philosophie überhaupt) zum Schicksal gründet, wird erstmals angesprochen im Satz des Thales: „Alles ist Wasser“ (erster Begriff einer toten Materie). In welcher Beziehung dazu (und zum Problem der Sünde der Welt) steht
    – das Wasser in der Schöpfungsgeschichte (der Geist schwebte über den Wassern; Trennung der Wasser oberhalb und unterhalb der Feste und Benennung der Feste, nicht der Wasser, am zweiten Tag, Erschaffung der großen Seetiere am fünften Tag),
    – die Sintflut, die Meeres-, Fisch- und Schiffahrtsgeschichten (Jonas),
    – das erste Wunder Jesu: die Verwandlung von Wasser in Wein, sowie überhaupt die auf das Wasser sich beziehenden Handlungen und Gleichnisse Jesu (das Wandeln auf dem Meere, der Sturm, die Schiffe, der Fischfang) und
    – das Tier aus dem Wasser, der Sturz Babylons, das Verhältnis von Völkern, Nationen und Sprachen zum Meer sowie das Nichtmehrsein des Meeres am Ende in der Apokalypse?
    Hängt die Identifikation der Barbaren mit den Bärtigen auch mit dem technischen Aspekt zusammen, daß erst nach Abnahme des Bartes das Gesicht zur Maske paßt, daß eine Maske nur tragen konnte, wer rasiert war? Gab es Königsmasken? Gibt es Masken mit Bart? Zusammenhang mit dem Personbegriff: Wer einen Bart trägt, weigert sich, dem Gesetz der Zivilisation sich zu unterwerfen und Person zu sein.
    Geschichte der Banken als Geschichte der Vergesellschaftung der Schuldknechtschaft; Kredite (als Schulden Dritter) gründen in den Schulden, die die Banken bei ihren Einlegern machen; diese Schulden sind die Grundlagen der Bankengewinne.

  • 29.04.92

    Was bedeutet der Satz, daß Gott die Menschen liebt?
    Wie hängt der Wertbegriff mit der Bekenntnislogik zusammen? Die Unterscheidung von Wert und Gegenstand ist Ausdruck des Zusammenhangs von Gegenständlichkeit und Instrumentalisierung; so verdankt sich die Bekenntnislogik der Objektivierung und Instrumentalisierung des Wahrheitsbegriffs, er wird verfügbar. Und deshalb sind Bekenntnisse Bekenntnisse zu Werten. Die Werte werden in der Reklame (ähnlich wie die Wahrheit als Dogma in der Apologetik) „auf den Punkt gebracht“.
    Der Hegelsche Begriff der Aufhebung ist eine Parodie (und zugleich die Umkehrung) der Idee der Auferstehung. Die Aufhebung verhält sich zur Auferstehung wie der Begriff zum Namen.
    In welcher Beziehung steht die Taube zum Heiligen Geist, wo kommt sie vor (von der Arche Noahs bis zu den Evangelien)?
    Gibt es einen geschichtsphilosophischen Unterschied zwischen Silber- und Goldwährung? Beginnt die alte Geschichte mit der Silber-, die neue mit der Goldwährung?
    Die Geschichte der Beziehung von Gold und Geld ist die Kehrseite der Geschichte von Schulden und Geld. (Ist Gold die Einheit von Licht und Schwere?)
    Inflationen sind Ausdruck von Schuldenkrisen, die durch Sozialisierung der Schulden gelöst werden.
    Hängt der Ausdruck Schulden mit Schultern zusammen (die Schuld auf sich nehmen)?
    Läßt sich das Rätsel des biblischen Schöpfungsberichts auflösen, wenn die Geschichte der Geldwirtschaft durchsichtig wird? Und verweist nicht der zweite Schöpfungstag auf die Entstehung des Geldes (ist das Geld das Wasser – auch bei Thales)?
    Die Erschaffung der Welt findet auch im ersten Schöpfungsbericht ihre Stelle: in der Erschaffung der großen Seetiere. Ist die Trennung des Trockenen und des Flüssigen, die Trennung von Land und Meer, etwas, was nur auf die Wasser unterhalb der Feste sich bezieht? Betrifft sie nicht auch die Wasser oberhalb? Und ist der Meeresbegriff nicht ein Begriff, der auch die Welt der Götter (der Nationen) umfaßt?
    Privateigentum, Geldwirtschaft, Patriarchat gehören zusammen. Reflex und Indikator dieses Zusammenhangs ist der Begriff der Materie; dagegen steht die theologische Idee der Verklärung (Zusammenhang mit dem Satz „Richtet nicht …“ und mit der Kritik des moralischen Urteils: „Der Ankläger hat immer unrecht“). Hier ist es mit Händen zu greifen – und zwar anders, als es die traditionelle, herrschaftsgeschichtlich determinierte Interpretation gern möchte -, wie Materialismus und Empörung zusammenhängen: Empörung ist nicht Empörung gegen Herrschaft, sondern Herrschaft selber ist Empörung. Vor diesem Hintergrund gewinnen die kantischen Antinomien der reinen Vernunft und die „Vorstellung“ des unendlichen Raumes und das Problem der Sexualmoral eine ungeheure Bedeutung (Naturbegriff, Trinitätslehre und Inzest).
    Im Anfang erschuf Gott den Himmel und die Erde; und am sechsten Tag die Menschen (nach seinem Bilde, als Mann und Weib). Und der Kirche ist verheißen, daß, was sie auf Erden binden wird, auch im Himmel gebunden sein wird, und was sie auf Erden lösen wird, auch im Himmel gelöst sein wird.
    Judith war auch eine Hebräerin?
    Die Kirche hat am Ende des Mittelalters ihre häresienbildende Kraft verloren, weil sie sie in Gestalt der naturwissenschaftlichen Aufklärung in einer Form vor Augen hatte, gegen die sie hilflos war. Man kann gegen die Mathematik nicht vorgehen wie gegen Ketzer und Hexen: man kann sie nicht auf den Scheiterhaufen bringen (weil sie in der Tradition der Scheiterhaufen steht, aus deren Verinnerlichung hervorgegangen ist).
    Die Hegelsche Philosophie ist eine Philosophie, die sich im Urteil der anderen versteht und begreift. Deshalb ist der Weltbegriff zentral für die Hegelsche Philosophie.
    „Ninive war eine große Stadt vor Gott; man brauchte drei Tage, um sie zu durchqueren. Jona begann in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag und rief: Noch vierzig Tage, und Ninive ist zerstört!“ (Jon 33f)
    Es kommt nicht nur die Philosophie in der Prophetie vor, sondern auch die Prophetie in der Philosophie, und zwar im Begriff der Barbaren (oder der Materie).
    Ein Zyniker ist ein Fundamentalist, der kein Terrorist werden möchte.
    Gibt es eine Beziehung zwischen Münze und Symbolum (Prägung, Avers und Revers); drückt sich in der Prägung der Bruch aus, und welche Bedeutung haben die eingeprägten Köpfe (Hinweis auf den gemeinsamen Ursprung des Königtums und des Geldes im Opfer)?
    Zur Konstruktion des israelischen Königtums gehört es, daß nicht der Priester, sondern der Prophet den König erwählt und salbt.
    Die Kritik des Bekenntnisbegriffs (und der Bekenntnislogik) wird in der Gestalt der Maria Magdalena verkörpert (Befreiung von den sieben unreinen Geistern).
    Gibt es eine Beziehung zwischen der Bindung Isaaks, dem Sieg Abrahams über die Könige von Sodom etc. und der Melchisedek-Geschichte. zwischen Moloch, Melek und Melchisedek? Und stellt sich nicht über Melchisedek eine Beziehung her zwischen dem Hebräer Abraham und dem biblischen Hebräerbrief? Bei Abraham und Isaak erscheint die Geschichte mit Abimelech, dem Philisterkönig, während die Ägypter-Geschichte auf Jakob (Israel) und Josef vorausweist? Wie verhält sich Abimelech zu Melchisedek?
    Barock als Geschichte der Privatisierung (und Vegrgesellschaftung) von Herrschaft, als Teil der Geschichte der Säkularisation (Absolutismus, Gegenreformation, Barocktheologie, Ursprung der Gnadenlehre, kasuistische – pornographische – Moraltheologie). Erst die Barocktheologie hat sich in dem Netz der Verdinglichung verfangen, aus dem die katholische Theologie sich seitdem nicht mehr hat befreien können. Der barocke Pomp, die barocke Kunst (die Kunst des Rahmens), ist die Ersatzbildung für den privatisierten und verdinglichten Wahrheitsbegriff.
    Putten: Diese Form der Verniedlichung der himmlischen Heerscharen, Vermischung mit den mythischen Allegorien (Amor und Eroten): Vorläufer des Kuschel-Behemoth.
    Im Prozeß der Vergesellschaftung von Herrschaft wird immer deutlicher und kenntlicher, was mit dem Begriff der Übernahme der Sünde der Welt allein gemeint sein kann.
    Das Bekenntnis als verinnerlichte Exkulpationsmagie.
    Ist der Heideggersche Titel „Vom Wesen des Grundes“ nicht der genaueste Ausdruck der Abschaffung des begründenden, argumentativen Denkens? Und entspricht dem nicht genau die Hypostasierung der Frage, die Konstruktion der objektlosen Angst und des Daseins als In-der-Welt-Seins? Ist das Wesen des Grundes nicht der Inbegriff dessen, was theologisch „Abgrund“ heißt. Die Heideggersche Fundamentalontologie ratifiziert den Einsturz der Hegelschen Logik, die Trunkenheit des Begriffs am Ende nüchtern, rational beschrieben hat.
    Heidegger hat den Ursprung der Angst unerkennbar gemacht, indem er die Angst zu einem objektlosen Affekt gemacht hat (oder machen mußte, weil seine Philosophie vom Objektparadigma sich nicht lösen konnte). Es gibt keine Angst ohne Beziehung zur Schuld; die Unfähigkeit zur Schuldreflexion macht die Angst objektlos. Diese Schuldbeziehung gilt auch für die Todesangst. Wenn das Christentum die Todesangst „überwindet“, dann nur im Kontext der Übernahme der Sünde der Welt. Heute jedoch nimmt das Christentum nur noch die Schuldangst hinweg, indem es die Todesangst verdrängt; wer wagt denn noch, an die Unsterblichkeit der Seele oder an die Auferstehung der Toten zu glauben: gemeinsamer Ursprung des pathologisch guten Gewissens und der Gemeinheitsautomatik. Es gibt Schlimmeres als den Tod. Umgekehrt: Der Adornosche Satz „Heute fühlen sich alle ungeliebt, weil niemand mehr zu lieben fähig ist“ ist die Kehrseite des biblischen Satzes, daß die Liebe stärker ist als der Tod.
    Der Objektivationsprozeß ist der Stauberzeugungs- und -verwertungsprozeß.
    Stichwort „Wüste“.
    Die Erschaffung der Welt findet auch im ersten Schöpfungsbericht ihre Stelle: in der Erschaffung der großen Seetiere. Ist die Trennung des Trockenen und des Flüssigen, die Trennung von Land und Meer, etwas, was nur auf die Wasser unterhalb der Feste sich bezieht? Betrifft sie nicht auch die Wasser oberhalb? Und ist der Meeresbegriff nicht ein Begriff, der auch die Welt der Götter (der Nationen) umfaßt?

  • 16.04.92

    Ist die Erde eine Kugel? Oder ist der Vergleich von Mond und Apfel zulässig? Gleichnamigkeit des Ungleichnamigen: Kann von der Größendifferenz von Körpern abgesehen werden: Wenn nicht bei Maus und Elefant, weshalb dann bei Erde und Sonne, bei Apfel und Mond (Differenzen ergeben sich schon aus der unterschiedlichen Relation von Masse und Oberfläche; welche anderen Probleme sind vergleichbar; Grenzbereiche Gravitation und Licht: warum ist es nachts dunkel)? Warum können Bäume nicht in den Himmel wachsen? Wie begründet ist die Rückrechnung aus dem Gravitationsgesetz auf das „Gewicht“ der Sonne und der Planeten? Kann man die Sterne auf die Waage legen? Ist das Problem des Planetensystems und der Sternenwelt das Korrelat des Quantenproblems in der Mikrophysik (der Korpuskel-Welle-Dualismus)?
    Ist der Raum als „Form der Gleichzeitigkeit“ (und nicht nur als Form der Anschauung) zu halten? Ist der Blick in die Sternenwelt ein Blick in die Vergangenheit? Kann angesichts des Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit die Vorstellung eines nach allen Seiten unendlich ausgedehnten Raumes, seine gegenständliche Stabilität, noch gehalten werden? Ist hierauf nicht die theologische Tradition, wonach die Erbschuld sich über die sexuelle Lust fortpflanzt, anzuwenden: Ist nicht die Vorstellung des unendlichen Raumes (deren Entstehung mit der Hexenverfolgung zusammenfällt) Produkt dieser „Fortpflanzungslust“? Und erweist sich nicht damit:
    – diese Fortpflanzungslust als Grund der Urteilslust, und
    – und die „kopernikanische Wende“ als die entscheidende Wende im Prozeß der Verinnerlichung des Patriarchats, des Sexismus, der Vergewaltigung als System?
    (Der Raum und das Lachen, der Raum und das Gericht; Fortpflanzung: Zusammenhang von Zeugung und Zeugnis; Stellenwert und Bedeutung der Sexualmoral im Christentum: Zusammenhang mit dem Weltbegriff; gegenseitige Stabilisierung von Ökonomie und Natur; das Problem der Größe reflektiert sich in der Ökonomie im Schuldenproblem: vgl. Hegels Satz über den Zusammenhang des bürgerlichen Reichtums mit der Armut).
    Hängt diese Bedeutung des Raumes mit dem trinitarischen Zeugungsbegriff (der Vergeistigung der Genealogie) zusammen?
    Der Raum ist das Gattungswesen von Welt und Menschheit. Und die subjektiven Formen der Anschauung sind die anonymisierten Repräsentanten der Gesellschaft im eigenen Innern.
    If the future will be like the past: Die Frage, ob Erkenntnisse, die anhand der Vergangenheit gewonnen werden, sich auf die Zukunft übertragen lassen, hat im Konzept des Inertialsystems ihre instrumentalisierte Antwort („Lösung“) gefunden. D.h. die Zukunft, die wir so begreifen, ist die Zukunft des Futur II, die zukünftige Vergangenheit. Und dieses Futur II ist die Grundlage des hypostasierenden Denkens, der transzendentalen Logik und der synthetischen Urteile apriori: der Urteilsform. Es verstrickt sich ins Herrendenken, schließt den Schöpfungsgedanken aus (der dann im Rahmen der domestizierten Theologie als creatio ex nihilo dem kapitalistischen Bewußtsein sich einverleiben und zugleich unschädlich machen läßt; er setzt dann die Grenze zwischen Barbaren und Wilden, als Reflexionsgestalten der Zivilisation).
    Zusammenhang mit der Selbstverblendung des Kapitalismus, an der alle partizipieren: Rekonstruktion des blinden Flecks im Zentrum dieses Systems? (Apokalyptische Vorstellungen Reagans, Bushs „Neue Weltordnung“; Grenada, Irak, Lybien; Problem Israel)
    Erst wenn wir das Problem des Gravitationsgesetzes lösen, stürzt Babylon.
    Christentum heißt auch: Unsere Zukunft liegt in der Vergangenheit. Und das etablierte Christentum hat alles getan, um die Vergangenheit des Vergangenen zu stabilisieren (sich der Auferstehung in den Weg zu stellen). Darauf bezieht sich die Geschichte von den drei Verleugnungen (Warten auf den Hahnenschrei).
    Derrida ist der Drewermann der Philosophie.

  • 15.04.92

    Geldwirtschaft und Rüstung: Hängt die Erfindung (und militärische Nutzung) des Schießpulvers mit der der doppelten Buchführung zusammen? Oder die Gründung und Ausbreitung der Tempelbanken mit dem assyrischen Militarismus (und ihrem theologischen Reflex im Deus Sabaoth, im Herrn der Heerscharen), ähnlich wie die Einheit von „Entdeckung“, Eroberung und Missionierung Amerika mit dem Raub der Tempelschätze im „entdeckten Amerika“, dem mit seinem Reichtum auch noch der Name geraubt wurde.
    Zum Schreiben der raf vom 10.04.92: Konsequenzen aus dem Prinzip der Kleinschreibung: Verzicht auf Hypostasierung und Personalisierung? Es gibt Handlungen, die Komplizenschaft begründen und in Rechtfertigungszwänge hineinführen, und so die verändernde Kraft der Reflexion unterlaufen, verhindern. – Umgekehrt die völlig unangemessene Reaktion der Politiker: von der CSU war nichts anderes zu erwarten, aber daß auch die SPD, die doch selbst an der Einführung der Sonderbehandlung der Terroristen maßgeblich beteiligt gewesen ist, jetzt jede „Sonderbehandlung“ glaubt ablehnen zu müssen, ist nur verständlich aus den Rechtfertigungszwängen, denen sie seit dem Deutschen Herbst 77 unterliegt. Und wenn Herta Däubler-Gmelin, im vorhinein schon Forderungen der raf glaubt ablehnen zu müssen, die gar nicht gestellt worden sind, so drückt sich genau darin die Unfähigkeit aus, den Kern des Konflikts überhaupt wahrzunehmen. Die Äußerungen des Herrn Penner lassen es nachträglich noch als Glücksfall erkennen, daß nicht er damals Nachfolger Rebmanns geworden ist. Die SPD steht sich selbst im kollektiven blinden Fleck, zu dem sie geworden ist (sie hat insoweit Teil am Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus, als auch sie den Sozialismus noch für eine Frage der Innen- und Wirtschaftspolitik hält: der reale Problem- und Existenzgrund der raf – die Fundierung des Reichtums der westlichen Staaten auf dem Export der Armut – ist auch der Problemgrund der SPD; das ahnt sie, möchte aber nicht daran erinnert werden, und deshalb reagiert sie so paranoid).
    Die Reiselust der Deutschen: sie halten es zuhause nicht aus, suchen dann aber doch nur Plätze, an denen sie wieder unter sich sind. Trift nicht auch noch die (erweiterungsfähige) Erklärung die der König der Tartaren den Portugiesen in der Urphase der Kolonisation gegeben hat: „Die Tatsache, daß diese Menschen sich so weit von zu Hause entfernen, … zeigt deutlich, daß es bei ihnen so wenig Gerechtigkeit und so viel Gier geben muß.“ (John H. Elliott: Die Welt nach Kolumbus, Lettre 16, Frühjahr 1992, S. 80)
    Zur Geschichtsphilosophie der Oper: Rousseau, der Erfinder des modernen Naturbegriffs (der Natur-Christologie), war Opernkomponist und Librettist (Waltraud Gölter: Die Schrift und das Reale, Lettre 16, S. 87). Die Confessiones (des Augustinus wie die des Rousseau) sind der genaueste Ausdruck der Einsamkeit: einer Sehnsucht, eines Verlangens, das kein Objekt mehr findet. Die Oper reflektiert diese Einsamkeit als die gesellschaftliche des Herrn, der sich durch den Herrschaftszusammenhang gegen die beherrschte Welt und das Leben in ihr verblendet, sie als Oper, als musikalischen Traum, reproduziert (Oper als Traum-Äquivalent der instrumentalisierten Welt).
    Einleitungen, Vorreden, Vorworte haben nur den Zweck, mögliche Mißverständnisse, die jeder Autor zu fürchten scheint, zu vermeiden. Käme es heute nicht umgekehrt darauf an, Mißverständnisse zu provozieren?
    Drückt sich im lateinischen AcI nicht genau die undurchdringliche, der Kommunikation und dem Handeln nicht mehr kommensurable Herrschaft des Römischen Imperiums und die damit verbundene Konstituierung des Privaten, die in der Philosophie vor allem in der Stoa sich reflektiert, aus?
    Die seitenperspektivische Betrachtung des Charakters (und ihre Objektivierung in der Maske, der Person) gehört zu den Grundlagen des begrifflichen Denkens und bestimmt den Charakter der Aufklärung seitdem. Der Personbegriff ist nicht zu trennen von dem des Charakters, beide sind verbunden durch den der Maske. Das Ebenbild Gottes hingegen ist sinnlich erfahrbar im Angesicht des Andern.
    Dieser wahnsinnige Jakobus-Brief (Jak 123)! Diese Forderung ist (fast?) nicht mehr erfüllbar.
    Enstsprechen den drei Verleugnungen Petri die drei Versuchungen Jesu in der Wüste? Bei beiden, am Ende der Versuchung in der Wüste und bei Petrus (und nur hier?), kommt es zu dem „Weiche von mir, Satan“.
    Zum Begriff der Geschichte: Die historische Genese ist zu unterscheiden von der logischen Genese, die aber selber wiederum in die Geschichte fällt. Der Begriff des Ursprungs ist diachronisch.
    Uns hat’s die Sprache verschlagen, fast unmöglich der Versuch, sie wiederzufinden.
    Hängt der Name des Wassers zusammen mit dem Fragewort „Was“? Und haben die biblischen und die philosophischen Wasser (die Wasser über und unter dem Firmament, und dem „Alles ist Wasser“ des Thales) etwas mit dem Heideggerschen Begriff der Frage zu tun, dem Topos einer leeren, objekt- und antwortlosen, aber rang-(d.h. die Eigentlichkeit) bestimmenden und die Hierarchie begründenden Frage?
    Siegfried war, nachdem er im Blut der erschlagenen Drachen gebadet hatte, unverletzbar (Ausnahme: die Stelle an der Ferse).
    Es ist das seit den Anfängen des Privateigentums und der Geldwirtschaft ins Ungemessene gesteigerte Exkulpationsbedürfnis, das die Tempel und die Opfer begründet hat.
    Das christologische Erbe des Naturbegriffs: Es ist dieser Naturbegriff, von dem Habermas sich nicht lösen kann. Und es ist genau dieser Naturbegriff, der die Reflexion an der von der Herren erwünschten Stelle abschneidet. Die Abwehr jeglicher Naturspekulation bei Habermas scheint mit seinem Öffentlichkeitsbegriff zusammen zu hängen: damit, daß er es sich versagen muß, den Quellpunkt der Gemeinheit im Strukturgesetz der Öffentlichkeit wahrzunehmen und zu analysieren, in das Problem der Bewußtseins- und Kulturindustrie sich ernsthaft einzulassen. So wird er hilflos gegenüber jenem Prinzip, nach dem die Boulevard-Presse und das Fernsehen vor allem sich richten: Gemeinheit ist kein strafrechtlicher Tatbestand, weil sie die Beweislogik (die Logik jeglicher Öffentlichkeit, aber auch die der Philosophie, den Quellpunkt der Dialektik) transzendiert. Darzustellen wäre, daß das, was Habermas Öffentlichkeit nennt, ein Strukturgesetz ist, dessen nachvollziehbare Geschichte eins ist mit der Geschichte des Weltbegriffs und heute behemothische Qualität annimmt. Diese Öffentlichkeit blendet durch ihr eigenes Strukturgesetz jene Bereiche aus, die Habermas dann auch aus seiner Philosophie hinausweist. Das Habermassche Konzept von Erkenntnis und Interesse, Grundlage seiner Diskursphilosophie und des Konsensbegriffs, blendet die Erinnerung aus; übrig bleibt die instrumentalisierte Erinnerung. Diese Instrumentalisierung der Erinnerung ist das Erbe der dogmatischen Theologie; sie gründet im Zusammenhang von Schicksal und Begriff und endet in der Heideggerschen Seinsvergessenheit. Der Inbegriff der instrumentalisierten Erinnerung ist der gegenständliche Weltbegriff (als Begriff eines subjektlosen Subjekts der Erkenntnis).
    Die Lösung für das Problem der Beziehung des Reichs der Erscheinungen zu den Dingen an sich liegt im theologischen Begriff der Umkehr.
    Der Schicksalsbegriff ist ein sprachimmanenter Begriff, Ausdruck einer bestimmten Form der Beziehung der Sprache zu den Dingen, er müßte insbesondere aus der Struktur der indogermanischen Sprachen, aus ihrer grammatischen Struktur, ableitbar sein.
    Woher stammen die Tierkreiszeichen und ihre Namen (sie fanden sich u.a. in Synagogen)? Und in welcher Beziehung stehen sie zu den Sternengöttern (zu den Planeten)? Und wie verhält es sich mit der Astrologie: ist das Schicksal an die Planetenkonstellationen, der Charakter an die Tierkreiszeichen gebunden (oder umgekehrt)?
    Kelch und Becher: Hängen der Taumelkelch, der Kelch von Gethsemane und beim Abendmahl sowie die Ursprungsgeschichte von Moab und Ammon (Lot und seine Töchter) zusammen?
    Ein Feminismus der mit Rangkategorien argumentiert, arbeitet dem Sexismus in die Hände.
    Der Wittgensteinsche Satz „Die Welt ist alles, was der Fall ist“ wird erläutert und kenntlich gemacht durch den Hegelschen Satz „Das Eine ist das Andere des Anderen“. Der Fall ist dieses Anderssein, Produkt der „verandernden Kraft des Seins“.
    Es ist diese Mischung von Euphorie und Schrecken, die den Verdacht wachhält, daß an der Sache noch etwas falsch sein muß.
    Die autoritäre Struktur des christlichen Dogmas ist von dem Zusammenhang mit dem Weltbegriff nicht abzulösen.

  • 13.04.92

    „Der orientalische Staat ist daher nur lebendig in seiner Bewegung, welche, – da in ihm nichts stät und, was fest ist, versteinert ist, – nach außen geht, ein elementarisches Toben und Verwüsten wird; die innerliche Ruhe ist ein Privatleben und Versinken in Schwäche und Ermattung.“ (Hegel, Rechtsphilosophie, S. 355) Hier, im Entstehungsprozß der „Welt“, ist der Staat noch (nach innen und nach außen) ein Natur- und Gewaltverhältnis, welches die Griechen dann im projektiven Begriff der Barbaren nach außen projizieren, indem sie das Gewaltverhältnis selber als Vernunft verinnerlichen, sich zu Herren dieses Gewaltverhältnisses machen. Das Gelingen drückt sich im Begriff der Welt aus. Heute, da die Verhältnisse des „äußeren Staatsrechts“, die Hegel zufolge Natur- und Gewaltverhältnisse geblieben sind, über die nicht mehr zu domestizierende Ökonomie im Innern der Staates sich reproduzieren (der Weltbegriff zu Protest geht, Außengewalt und Innenrecht trübe sich vermischen, der Begriff an der dezisionistisch-autoritären Gestalt der Souveränität zerbricht, der „Rechtsstaat“ als Ausnahmezustand sich etabliert – vgl. Carl Schmitt), sind wir zu Akteuren des gleichen Weltuntergangs geworden, gegen den wir zugleich (als bloße Zuschauer) uns selbst verblenden. Rückfall in den orientalischen Staat: in die „inner-liche Ruhe“ der Idiotie des Privatlebens, „Versinken in Schwäche und Ermattung“.
    Auch das ist Erbe der Hegelschen Philosophie (oder ihr prophetischer Gehalt): daß im Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus die Nationalismen aufbrechen mit z.T. barbarischer Gewalt. Der Zusammenhang von Marktwirtschaft und Nationalismus läßt sich erkennen an dem Zusammenhang von Geldwertstabilität und Außenhandelsbilanz, an dem gleichen Zusammenhang, der die westliche (insbesondere aber die deutsche) Wirtschaftspolitik bestimmt, und der Hegels Satz, „daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, … dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern“ (Rechtsphilosophie, S. 245), auf die fatalste Weise bewahrheitet: Die Wirtschaftspolitik des Westens begreift deshalb in erster Linie die Steuerung der Armut als ihren Export nach außen (ähnlich wie zur gleichen Zeit der Antisemitismus als Israel- / Palästinenserproblem in den vorderen Orient exportiert wurde).
    Hat die Schöpfung etwas mit den Wassern oberhalb und unterhalb des Firmaments zu tun? – Vgl. die biblischen Brunnengeschichten (Rebekka, Rahel, die Samariterin und das „lebendige Wasser“).
    Die Christologie hat etwas mit dem Versuch, den Logos zum Verstummen zu bringen, zu tun, ihn in einen Heros umzumünzen (der dem Stern der Erlösung zufolge stumm ist).
    Die Eucharistie und das falsche Gedächtnis, oder genauer: als Verhinderung des Gedächtnisses und damit als Gericht. Das ist der Sinn des Satzes „Wer es unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht“.
    Zur Sexualmoral: Verworfen ist nicht die sexuelle Lust an sich, sondern die Lust an der Gewalt in der sexuellen Lust, der Sexismus. Die christliche Sexualmoral züchtet den Vergewaltiger. Daran hat sich entzündet, was Nietzsche den Willen zur Macht genannt hat: das stumme Genießen.
    Das Angesicht ist immer das Angesicht des Andern, das eigene sieht man nur im Spiegel, und da seitenverkehrt (und d.h.: nicht ohne die Vertauschung von Rechts und Links). Hinter dem Rücken und im Spiegel: das sind die beiden Vertauschungen von Vorn und Hinten und von Rechts und Links. Gibt es in der Schrift einen Hinweis auf den Spiegel (Narziß ist einer der Ursprünge der Philosophie)? Vgl. 1 Kor 1312: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht“, und insbesondere Jak 123: „Wer das Wort nur hört, aber nicht danach handelt, ist wie ein Mensch, der sein Gesicht im Spiegel betrachtet“.
    Der Spiegel (oder die Reflexion) gehorcht dem Gesetz des Raumes, er macht alles seitenverkehrt (vgl. die „verandernde Kraft des Seins“). Die Physik sieht alles von hinten und zugleich spiegelverkehrt (Zusammenhang von Stoß und Reflexion).
    Wer sich selbst im Angesicht der Andern sieht, d.h. wer sich der Welt anpaßt, sieht sich selbst nicht mehr.
    Das Wahrnehmen des Angesichts des Andern ist die Umkehr; insofern ist die Aufmerksamkeit das natürliche Gebet der Seele.
    Die Schule als Recyclings-, als Abfallproduktions- und -verwertungsanlage (zum geschichtsphilosophischen Stand des Wissens).
    Die Begriffe Natur und Welt enthalten als Totalitätsbegriffe einen terroristischen Anteil.
    Es gibt weder eine Geschichtstheologie, noch eine Heilsgeschichte. Wenn die Philosophie innerhalb der Theologie ihren Platz finden soll, dann weder unter dem Begriff der analogia entis, noch als ancilla theologiae, sondern allein unter dem Begriff des Millenariums, der Bindung des Satans. Mit der Kraft zu lösen (mit ihrer Umkehr) könnte die Kirche endlich auch den noch unverbrauchten Gnadenschatz freisetzen.
    Die Hauptresultate der Einsteinschen Theorien liegen in ihren Ansätzen, nicht ihren Ergebnissen: im Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und dessen Beziehung zum Inertialsystem und im Konzept der Identität von träger und schwerer Masse (Bindung des Trägheitsprinzips an die Gravitation, vergleichbar dem Zusammenhang von Tauschprinzip und Schuldknechtschaft).
    Die Bindung des Tauschprinzips an die Schuldknechtschaft ist der Grund, weshalb man die Geschichte des Militärs und der Rüstung an der Geschichte der Banken wird messen können.
    Die Israel-Theologie der Marquardt u.a., aber auch die Antizionismus-Darstellung Heinsohns, übersieht, daß wir das Problem produziert haben: Haben wir da nicht auch ein Stück Mitverantwortung für jene, denen wir es aufgeladen haben, für die Palästinenser?

  • 11.04.92

    Das Bild ist Modell und Ursprung des Objekts; Ursprung und Modell des Bildes ist das Opfer, das Bild das Gedächtnis oder Ersatz des Opfers. Das Bild ist aber ebensosehr der Quellpunkt der Schrift, des prädikativen Denkens, des Logos und der Welt. Und der Gott und das Opfer sind Modell der Beziehung von Welt und Natur.
    Das Opfer und das Ding hängen über die Exkulpationsautomatik zusammen (gegenüber einem Ding kann ich nicht schuldig werden: Verdinglichung als Schutz vor dem schlechten Gewissen, Schutz vor der Gottesfurcht).
    Der Untergang der Welt und die Erneuerung des Antlitzes der Erde: das ist ein Vorgang.
    Hat nicht die Fortpflanzung des Lichts (Modell der Selbstausbreitung des homogenen, isotropen Raumes) tatsächlich etwas mit der Fortpflanzung, der Zeugung (und diese Zeugung etwas mit dem Zeugnis, den Bedingungen der Anerkennung der Zeugenschaft (Geschlecht und Anzahl der Zeugen): der Raum ist der Zeuge der Naturwissenschaft, aber das perfekte falsche Zeugnis wider den Nächsten), zu tun? Und ist der Frühling so etwas wie ein Orgasmus der Natur? Was bedeuten dann die Insekten und die Vögel? Sind die Vögel nicht akustische Blüten (und die Insekten Bastarde aus Raum und Licht (vgl. Belzebul, den Herrn der Fliegen)?
    Das organische Leben unterliegt der Dialektik von Innen und Außen und der Prävalenz des Außen. Durch die Geldwirtschaft wurde diese Dialektik auf die Evolution des Kapitalismus übertragen. Der Darwinismus verdankt sich der projektiven Übertragung dieser gesellschaftlichen Evolution auf die Natur. Frage: Welche Stellung haben die Blumen, die Insekten, die Bäume, die Vögel, die Säugetiere und die großen Seeungeheuer (Behemot und Leviatan) in der Evolutionsgeschichte des Kapitalismus?
    Bei den Tieren drückt sich das Verhältnis von Im Angesicht und Hinter dem Rücken im Angriffs- und Fluchtverhalten aus, in der organischen Selbstinstrumentalisierung der Arten und Gattungen (in den Hörnern, dem Gebiß, den Klauen und Pfoten, den galoppierenden Hufen). Und wie sieht es aus mit dem Charakter von Behemot und Leviatan? Und mit der Schlange: als reine Selbstinstrumentalisierung der „Klugheit“? Hier ist – wie bei den Tieren überhaupt – die Instrumentalisierung durch Gattung und Art vorgegeben (von der organischen Ausstattung bis hin zum Verhalten: wie hängen beide zusammen?). Das einzelne Tier ist für seinen Charakter (seine organische und Verhaltens-Ausstattung) nicht verantwortlich, reiner Ausdruck des Schuldzusammenhangs der Welt. Der Mensch hingegen ist für seinen Charakter und für sein Gesicht verantwortlich. Er muß die Selbstinstrumentalisierung selbst arrangieren, wobei ihm die Gesellschaft (in der Gesamtheit ihrer Institutionen) die Mittel an die Hand gibt, die diese Selbstinstrumentalisierung zumindest erleichtern, in der Regel bewußtlos durchsetzen.
    Die Musik mißt die Distanz zwischen der nominalistisch depotenzierten Sprache und dem Schuldgrund, auf den sie zurückzubeziehen ist. Die Kunst federt die Brutalität des Aufklärungsprozesses ab und ermißt sie zugleich, sie verleiht dem Leiden die Sprache vor der Sprache. Die Konstellation von Technik, Material und Ausdruck in Musik und Malerei ist das Medium dieser seismographischen Wahrnehmung.
    Das Osterlachen scheint mir (in Publik-Forum) völlig falsch interpretiert zu sein. Das exhibitionistische Element als Anlaß des Lachens verweist auf die Soziologie des Witzes, nur daß hier – wie beim Clown – Erzähler und Objekt des Witzes eins sind. Das Osterlachen ist tieftraurig und blasphemisch zugleich, die umgekippte Osterfreude.
    Die gesamte Geschichte der europäischen Aufklärung steht unter dem Zeichen des Gerichts.
    Wittfogel, Franz Borkenau und Alfred Sohn-Rethel: An den Rändern der Frankfurter Schule scheinen die Versuche mißlungen zu sein, an das offene Problem der Frankfurter Schule sich heranzutasten. Die realen Ursachen dieser Probleme werden vielleicht am ehesten sichtbar an dem konspirativen Element im Ursprung der Theorie Sohn-Rethels. Lösbar ist das Problem erst geworden durch Einstein.
    „Das Christentum als Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums“
    Die Gebote des Dekalogs sind strikte Gebote, keine durch Sanktionen abzusichernde Gesetze. Das unterscheidet sie von Rechtsgründungen der Hamurabi, Solon u.a.
    Aufschlußreich (für das Verhältnis von Wirtschaftsmacht und Recht) ein Fall, der heute in der Rundschau geschildert wird: Ein Großunternehmen verklagt einen öffentlichen Kritiker (Leserbriefschreiber) und setzt die Schadensersatzforderung und den Streitwert so hoch, daß die Rechtsschutzversicherungen andere Beteiligte (u.a. das Publikationsorgan, das den Leserbrief veröffentlicht hatte) zwingen, die Klage zurückzuziehen. (Der Kritiker selbst hält durch und gewinnt den Rechtsstreit.) Wie lange gibt es angesichts der jedem Vergleich spottenden Unterschiede der ökonomischen Potenz für einen privaten Beteiligten überhaupt noch eine Möglichkeit, gegen einen potenten Kläger sein Recht zu bekommen? Es ist offensichtlich ein Leichtes, einen etwa bestehenden Rechtsschutz auf legale Weise auszuhebeln. Ist es nicht längst so, daß „Rechtspersonen“ Vorrechte vor realen Personen haben (und die Gleichheit vor dem Gesetz längst zur Makulatur geworden ist: Rückkehr des Naturzustandes, Undomestizierbarkeit der in Privathand angewachsenen ökonomischen Gewalt)?

  • 10.04.92

    In seiner Antisemitismus-Studie übersieht Heinsohn offensichtlich, welche Bedeutung diese gesellschaftlichen Gesteinsverschiebungen, die die Entstehung der Hochkulturen begleiten, für die Geschichte des Bewußtseins haben; hier rächt es sich, daß er beispielsweise den Ursprung der Schrift und die Entwicklung der Sprachen aus seinen Überlegungen ausschließt. Die Darstellung der „Reaktionen der Betroffenen“ auf die „kosmischen Katastrophen“ (S. 31) behandelt diese Reaktionen so, als könnten sie sich auch heute – nach der Ausbildung des Welt- und Naturbegriffs – so abgespielt haben. Daß es eine Geschichte des Bewußtseins gibt, die mit der der Sprachen aufs engste verknüpft ist, scheint außerhalb seines Gesichtskreises zu liegen. Daß es sich hier um vorödipale Zeiten handelt, daß die Bewußtseinsidentität noch nicht vorausgesetzt werden darf, daß das Bewußtsein erst mühsam beginnt, sich aus den mythischen Zwängen zu befreien und welche Rolle dabei die Struktur der Sprachen und die Entwicklung der Schrift, der Ursprung des Privateigentums und des Geldes, die Entstehung des Rechts, aber auch die Institutionen der Religion und der embryonalen politischen Strukturen, insbesondere die Institution des Königtums, spielen, scheint ihn nicht zu interessieren. Daß z.B. erst in den indogermanischen Sprachen über die grammatischen Innovationen, insbesondere die Futurbildungen als Voraussetzung des objektiverenden, hypostasierenden Denkens, ein Weltbewußtsein sich bildet, dessen Vorläufer Mythos, Idolatrie und Opfer sind, die dann – paradigmatisch in der griechischen Philosophie und in deren Konsequenz in der christlichen Theologie – durch Verinnerlichung (durch den ödipalen Prozeß hindurch) zur Grundlage des zivilisatorischen Bewußtseins werden, entgeht ihm. In diesem Zusammenhang – und jedenfalls nicht nur in dem des Interesses an der Voraussage von Naturkatastrophen (vgl. S. 43) – wäre z.B. das Orakelwesen (das in Griechenland ganz erheblich zur Durchbildung der Sprache und zur Entstehung der Philosophie beigetragen hat) zu diskutieren. Velikovsky und seine Adepten lösen keine Rätsel, sondern schürzen neue (oder genauer: machen sie kenntlich). Die monokausale Ableitung des Neuen aus Naturkatastrophen verkennt, daß es auch gesellschaftliche Naturkatastrophen (zu denen Heinsohn selber mit seiner Geldentstehungstheorie entscheidende Hinweise gegeben hat) gibt; und hier scheint mir, stellt sich ernsthaft die Frage: handelt es sich bei dem Zusammentreffen kosmischer und gesellschaftlicher Naturkatastrophen (die formal dem Leibnizschen Begriff der prästabilisierten Harmonie zu entsprechen scheinen) um reinen Zufall, oder gibt es dazwischen auch vermittelnde Agentien?
    Wurden die Götter nach Einführung des Privateigentums durch die Statuen um ihre Opfer betrogen (vgl. Heinsohn, Antisemitismus, S.47)?
    S. 54: Keine „wissenschaftlich begründete Religionsüberwindung“, sondern eine prophetische. Der Unterschied ist bestimmbar.
    Im VIII. Kap., S. 72ff, führt Heinsohn den Antisemitismus allein auf seine theologischen Ursprünge zurück, ohne den Zusammenhang dieser Theologie mit dem Ursprung des Säkularisationsprozesses und des modernen Weltbegriffs zu begreifen. Aber hier wird es erst interessant. Washalb war beispielsweise der real existierende Sozialismus, insbesondere der Stalinismus, antisemitisch?
    Es ist schon ein wenig irrsinnig, wie sich bei Heinsohn die Dinge zu einem System zusammenschließen: Die Naturkatastrophen-Theorie ist nur zu halten, wenn er die Befreiung vom Opfer im Atheismus terminieren läßt und diesen Atheismus in Widerspruch setzt zu den altorientalischen, heidnischen Hebräern, verbunden mit der These, daß erst das (erneut opfertheologische) Christentum monotheistisch geworden sei; so wie er auch schon in seiner Geldtheorie das gesellschaftskritische Element herausoperiert hat, so muß er hier den damit notwendig verbundenen szientifischen Antisemitismus der Wellhausen et al. mit rezipieren, und ihn dann in den Sack reinstecken, den er „Hebräer“ nennt. Zugleich muß er den „Juden“ die Schöpfungsidee nehmen, die doch die Prophetie, der die Absage ans Opfer sich verdankt, erst ermöglichte. Und seiner Geldtheorie das erkenntnis- und gesellschaftskritische Element, das zwangsläufig aus seinem Schuldknechtschaftskonzept folgt, und damit das Moment der Barmherzigkeit nehmen, dem doch die Absage ans Opfer sich verdankt. Zusammen damit muß er die Juden in die Nähe der Philosophen rücken (mit Hilfe des einen Theophrast-Zitats): das aber geht nur, indem er den Juden in ihrer eigenen hebräischen Vergangenheit das Barbaren-Äquivalent verschafft. Das Problem bleibt unlösbar, solange Heinsohn das im Begriff des Begriffs (und schließlich in dem der Welt) säkularisierte und zugleich verdrängte Exkulpations- (und Opfer-) Konzept nicht durchschaut. Inzwischen geht der Verdrängungsapparat, der dem Universums-Konzept zugrundeliegt, zu Bruch.
    Der Weltbegriff konstituiert sich auf zwei Ebenen:
    a. auf der des Ursprungs und der Stabilisierung des Begriffs (des Referenzsystems der Philosophie), und
    b. auf der Ebene und im Rahmen der Stabilisierung der Produktions- und Austauschverhältnisse, des Ursprungs des Marktes, d.h. zusammen mit dem Ursprung des Rechtssystems, das das Privateigentum ermöglicht und garantiert.
    Ebenso wie die Philosophie ist der Weltbegriff vom Ursprung, vom Bestehen und von der Geschichte des Privateigentums nicht zu trennen. Hinsichtlich eines jeden Sozialismus-Konzepts wäre festzuhalten: Vergesellschaftung ist ein „naturwüchsiger“ Prozeß und durch Verstaatlichung nicht zu humanisieren. Auch das staatliche Eigentum ist Privateigentum, wobei der Staat aus leicht durchschaubaren Gründen der dümmste (und der gemeinste) Privateigentümer ist.
    Wodurch unterscheidet sich Moses von Hammurabi und Solon?
    Gegen Adorno: Nicht das Eingedenken der Natur, sondern das der Ursprünge wäre als Ziel der Philosophie zu bestimmen. Von Adorno zu Habermas ist es in der Tat nur ein kleiner Schritt, aber einer in die falsche Richtung. Das Konzept des Eingedenkens der Natur ist Adornos säkularisierte Theologie.
    Was bedeutet der Raum für das geschichtliche Eingedenken, für die Erinnerungsarbeit?
    Zur biblischen Zoologie: Wie ist das mit den Schafen und Wölfen und Schlangen und Tauben?
    Der neutestamentliche Begriff der Sünde der Welt bezeichnet das Konzentrat der Ursprungsgeschichte der Welt in Idolatrie, Sternendienst und Opferwesen. Auch das Menschenopfer steckt in den Fundamenten unseres Weltbegriffs. Daran erinnert der Kreuzestod (Problem der Ursprungsgeschichte der subjektiven Form der äußeren Anschauung: welches ungeheuerliche Problem hat Kant in diesem Begriff stillgestellt?).
    Einige Bemerkungen zum Problem einer christlichen Theologie nach Auschwitz.
    Der moderne Naturbegriff ist eine logische Konsequenz aus dem Weltbegriff.
    Begriff und Institution der Diktatur hängt mit der Funktion des Prädikats im Urteil und mit der der Predigt im Christentum zusammen.
    Bekenntnis und Dogma stammen aus der Sphäre des Rechts, oder sind Reflexionsbegriffe von Rechtsbegriffen.
    Es gibt eingreifende Bedenken gegen die Vorstellung der Möglichkeit, das Recht mit den Mitteln des Rechts zu humanisieren. Vgl. den Zerfallsprozeß des Rechts im Gefolge der beiden Weltkriege, die Systemwidrigkeiten, die nicht mehr zu übersehen sind (fehlender Friedensvertrag, Anwendung des Strafrechts auf zwischenstaatliche Delikte, Verdrängung des Gemeinheitsproblems, Fortleben des „gesunden Rechtsempfindens“, d.h. des Rachemotivs im Rechtsstaat, Frage der Gewalt: Gewaltmonopol und Kampf gegen die Privatisierung der Gewalt; kann es sein, daß die Kritik an Carl Schmitt ihr Ziel erst erreicht, wenn sie das Recht selber trifft, dessen ungeheuerliche Systemlogik Carl Schmitt nur ausgesprochen hat – vgl. Walter Benjamins „Kritik der Gewalt“ und die Bemerkungen von Jaques Derrida dazu).

  • 09.04.92

    Wasser: das flüssige, unbestimmbare, objektlose Element (oder das reine Objekt), ein Objekt aus reiner, dingloser Eigenschaft.
    Das Benennen gibt es nur zusammen mit dem Scheiden, wobei das eine Mal das Getrennte, das Geschiedene benannt wird: Gott schied das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht, während das andere Mal das Instrument der Scheidung benannt: Gott machte eine Feste zur Scheidung der Wasser oberhalb der Feste von dem Wasser unterhalb der Feste, und Gott nannte die Feste Himmel. Das Wasser ist demnach das Nicht-Benannte, vielleicht Unbenennbare, das Element, in dem das Ungleichnamige gleichnamig gemacht werden kann, nur unterschieden nach oben und unten.
    Das Wasser ist das reine Schwere, das Maß des Gewichtes.
    Naturgrund von Herrschaft: Kann es sein, daß es gesellschaftliche Prozesse (gesellschaftliche Gesteinsverschiebungen) gibt, die an den Grund der Natur rühren?
    Wo ist die Stelle: Wenn sie schweigen würden, würden die Steine schreien?
    Ist nicht die Israel-Theologie (Marquardt u.a.) selber in Gefahr, zu einem Teil des Schuldverschubsystems zu werden? Und zwar durch den Versuch, am Privileg des Opfers teilzuhaben? Denn genau das ist uns als Deutschen und als Christen (als Tätern) untersagt. Wird nicht die Israel-Theologie so zu einem Teil der gleichen Exkulpations-Magie, die in die Katastrophe geführt hat? Oder ist die Israel-Theologie ein unmöglicher Versuch, der Wiedergutmachungspolitik gleichsam theologischen Rang zu verleihen, der ihr nicht zusteht (ohne daß dadurch ihre Notwendigkeit berührt würde). Das reale Votum für Israel ist sehr viel pragmatischer zu begründen (durch unsere Verstrickung in den Schuldzusammenhang, aus dem diese Situation entstanden ist). Nach dem, was wir getan haben, haben wir keine andere Möglichkeit.
    Das pragmatische Votum für Israel ist das Eine, das Andere aber wäre das, was Franz Rosenzweig einmal mit seiner Übersetzung der Schriftstelle „Zeit ist’s …“ ausgedrückt hat. Die Existenz Israels und die Gefahr der „Zernichtung der Lehre“ hängen möglicherweise zusammen, aber das kann nicht Gegenstand theologischer Spekulation sein.
    Man kann den Vorgang, dessen Zeitgenossen wir heute sind, als einen der Entgründung der Erde beschreiben: Eines seiner auffälligen Produkte ist der Zerfall des argumentativen Denkens, der Kraft der Begründung. Das rührt ans Antlitz der Erde, die Gott „gegründet“ hat (als er den Himmel „aufspannte“). Von dieser „gründenden“ Kraft ist, wie es scheint, nur der Abgrund übriggeblieben, als der die Welt sich manifestiert. Der Zerfall des argumentativen Denkens ist selber begründet in der Gewalt des logischen Zerfalls des Weltbegriffs. Diese entgründende Gewalt des Weltbegriffs produziert die Bekenntnissucht, den Grund der Exkulpationsmagie. Nicht Rechtfertigung, sondern Gerechtmachung; und wenn das heute aussichtslos ist, so drückt sich in diesem Sachverhalt präzise der Grund dessen aus, was in der Schrift Gottesfurcht heißt.
    Rationalität selber gründet heute in einer Beziehung zur Schuld, die auf den Komfort der Rechtfertigung verzichtet. Hoffnung drückt sich nur noch in den beiden Petrus-Stellen aus: in dem „er weinte bitterlich“ nach der dritten Leugnung und in der Übertragung der Vollmacht zu binden und zu lösen.
    Maria Magdalena, die von den sieben unreinen Geistern Befreite, ist die einzige, die die Grenze überschritten hat.
    Wie hängt der Bekenntnisbegriff mit der Verfälschung des achten Gebots zusammen? Ist nicht das formalisierte Bekenntnis, die Confessio, die tiefste Verletzung des achten Gebots?
    Die Unmöglichkeit der Hexen, gegenüber der Inquisition ihre Unschuld zu beweisen, entspricht der Etablierung des Trägheitsbegriffs in den Naturwissenschaften.
    Theologie heute ist vergleichbar der Archäologie: Unter den Trümmern der Geschichte die Hoffnungen der Toten wiedererwecken.
    Es hilft kein Hinausreden auf die Natur mehr: Wir selbst sind für unsern Charakter und für unser Gesicht verantwortlich. Ob wir dieser Verantwortung gerecht werden können, ist eine andere Frage.
    Zum Naturbegriff: Er enthält ein Stück säkularisierte Christologie. Die Natur nimmt die „Sünde der Welt“ auf sich, sie ist das vergöttlichte Opfer, sie spricht uns frei von Schuld, nimmt uns die Verantwortung ab. Eben damit aber hängt es zusammen, daß der Naturbegriff der christologischen Logik unterliegt, den dogmatischen Christus ersetzt. Ähnlich ist auch der Weltbegriff Produkt der Säkularisation einer theologischen Kategorie (so erscheint er dann auch bei Hegel), nämlich der des Gerichts. Durch Anpassung an die Welt werden wir zu Richtern über andere, das ist ihr „zivilisatorischer“ Effekt: die verworfenste Gestalt der Säkularisation. Hier ist der Punkt, an dem sich aufs genaueste zeigen läßt, was es mit dem Wort des Täufers „Sehet das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt“ auf sich hat. Und es ist gerade jener exkulpationsmagische Teil der theologischen Tradition des Christentums (jener Teil, aus dem der Bewußtseinskomfort sich herleitet, den wir nicht mehr missen möchten, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht), der in diese Verworfenheit hineinführt. Die Heideggersche Philosophie ist der genaueste Ausdruck dieser Verworfenheit.
    Jedes Urteil hat durch die Kopula Anteil an der „verandernden Kraft des Seins“ (Rosenzweig).
    Schelers Rangordnung der Werte ist gleichsam Produkt einer fleischfressenden Philosophie, einer Philosophie, die am Opfer festhält und es zugleich verdrängt. Daher rührte die Nähe Schelers zum Katholizismus. Auch bei Heidegger sind die katholischen Ursprünge unverkennbar. Nur daß bei ihm der Grund der Verworfenheit als bewußtlose Selbstverfluchung dann erscheint. Es ist die Selbstverfluchung, die von der dritten Leugnung nicht zu trennen ist. Und darin liegt die besondere Bedeutung der französischen Heidegger-Rezeption: es ist die des gallischen Hahns (vgl. hierzu das geradzu prophetische Wort Heines).
    Wertphilosophie und Fundamentalontologie sind die Indizes der beiden Weltkriege, der Phasen der Selbstzerstörung der Welt. Wir leben in dem Trümmerfeld, das sie hinterlassen haben.
    Man wird davor warnen müssen, den Antisemitismus als eine Gesinnungsfrage zu behandeln. Es ist eine Strukturfrage, provozierend ausgedrückt: eine Frage der Logik. Kriterium ist die Fähigkeit der Reflexion der „Schuld der Welt“.
    Sind nicht in der Tat die Farben die Widerlegung der Vorstellung des unendlichen Raumes (und die letzte Erinnerung an die Lehre von der Auferstehung der Toten)? Farben als Taten und Leiden des Lichts: Es gibt morgendliche und abendliche Farben (Licht über Finsternis, Finsternis über Licht: Gelb und Blau). Und es gibt die Mischung dieser Farben (Grün) und die Konträrfarbe dazu (Rot, die Farbe des Gerichts, der Linken; das Blut, das zum Himmel schreit).
    Man muß einmal bemerkt haben, welche Katastrophen es auslösen kann, wenn Kinder erfahren, daß hinter ihrem Rücken über sie gerdet worden ist.
    Kephas, Petrus: Was ist hebräisch, griechisch oder Latein? – Haben Kephas und Kaiphas etwas miteinander zu tun?

  • 08.04.92

    Was ist das „Salz der Erde“, und was ist das „Licht der Welt“?
    Der Unterschied zwischen der griechischen und der jüdischen Tradition liegt unter anderem darin, daß zwar die Philosophie in der Prophetie ihre Stelle findet (und auch benannt wird), nicht aber die Prophetie in der Philosophie. Die Prophetie kommt in der Philosophie nicht vor, weil die Philosophie den Gedanken der Schöpfung a priori abweisen muß, nicht ertragen kann. Schlimm war, was dann die Theologie unterm Begriff der creatio ex nihilo glaubte als Schöpfungsbegriff in die Philosophie einzuführen zu können und dann im Begriff des Kontingenten glaubte begriffen zu haben: Diese creatio ex nihilo hat mehr mit Bankgeschäften und Geldschöpfung zu tun als mit dem biblischen Schöpfungsbericht, aber sie war die einzige Möglichkeit, eine Erschaffung der Welt auch nur zu denken.
    Die Darwinistische Theorie ist eine Analogiebildung. Das Modell für die Vorstellung von der Entwicklung der Arten war die Erkenntnis der „organischen“ Entwicklung des Kapitalismus. Aber wenn sie eine Analogiebildung ist, dann wurde ihr Grund in der theologischen Konzeption der creatio ex nihilo gelegt.
    Die Idee der creatio ex nihilo ist ein Mammonismus. Dagegen ist die Rosenzweigsche Konzeption des nihil als eines dreifachen, bestimmten Nichts realistischer und kommt der Sache näher.
    Warum nennen die Dämonen Jesus den „Sohn Gottes“ (und warum nennt Pilatus ihn den „König der Juden“)? Kann er das überhaupt sein, wenn diese ihn als solchen glauben zu erkennen?
    Heideggers Kritik der Metaphysik ist regressiv, sie führt hinter Aristoteles zurück, nicht über ihn hinaus.
    Kann es sein, daß die Astrologie von der Chaldäern und die Alchemie von den Ägyptern (lt. Meyers großem Taschenlexikon im 2./3. Jhdt. im griechisch sprechenden Ägypten) stammt?
    Es ist eine im Aufklärungsprozeß selber entsprungene Verblendung, die die Menschen heute daran hindert, zu sehen, was sie durch ihr materielles Leben draußen anrichten. Ganz verdrängen läßt sich’s nicht: Sie ahnen die Wahrheit und reagieren darauf faschistisch. Der nach dem Zusammenbruch des Ostblocks eingetretene Rechtsruck läßt sich daraus herleiten.
    Sind nicht die Aktionen der Linken auch in der großen Gefahr, zu Exkulpationsriten zu werden, die dann die andere Seite erst wecken und provozieren?
    Wie in der Politik hilft auch in der Wissenschaft die selbstlaufende Logik nicht mehr zur Ermittlung der Wahrheit. Ist der Verdacht so unbegründet, daß sie heute bereits der Produktion des Chaos dient?
    Das war der Irrtum des real existierenden Sozialismus und das ist der Irrtum der gesamten Marktideologie, dessen Zeche wir werden zahlen müssen.
    Die Splitter in den Augen der Anderen sind Metastasen des Balkens im eigenen Auge. Oder anders: Das steinerne Herz ist der Reflex des Objektivierungsprozesses.
    Ist Petrus das steinerne Herz der Kirche, das erst nach dem Hahnenschrei durch die lösende Kraft des Weinens sich in ein fleischernes Herz verwandelt? Und ist nicht das aufs Dogma bezogene Bild von Schale und Kern noch zu grob?
    Die Todesgrenze ist identisch mit der Grenze, die das Lachen zieht, das Gelächter.
    Simone Weil: Schwerkraft und Gnade. Das muß als physikalisch-theologisches Buch gelesen werden.
    Nur die Gottesfurcht entmythologisisert die Welt.
    Das Objekt „fällt“ unter den Begriff, und das Urteil wird „gefällt“: So drückt sich der Fall in der Logik aus, und so wird die Welt zu „allem, was der Fall ist“.
    Die Kanonisierung der Schrift (in allen drei Schrift-Religionen) war die Installation der Schrift als Schicksalsmacht.
    Das kirchliche Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist unerfüllbar, weil die Wahrheitspflicht, die darin sich ausdrückt, unerfüllbar ist. Und zwar ebenso unerfüllbar wie die Chance einer als Hexe Beschuldigten, ihre Unschuld zu beweisen. (Das ist der Beweis der dämonischen Unwahrheit des Unschulds-Ideals). Die Wahrheit, die nicht an der Idee des Konsenses, sondern an der der Versöhnung sich mißt, ist im prädikativen Urteil nicht faßbar. Und das Gebot „Du sollst nicht lügen“, verurteilt unentrinnbar zur Schuld; in seinem Bannkreis gibt es keinen möglichen Weg der Befreiung. Es verdankt sich dem kirchlichen Instrumentalisierungsgesetz, das bis ins Dogma hinein die Wahrheit entstellt, und dessen Wirkung hier mit Händen zu greifen ist: Es ist Produkt der Instrumentalisierung des achten Gebots: Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider Deinen Nächsten. Es verwandelt das befreiende Offenbarungs-Gebot in ein Schicksals-Gebot.

  • 07.04.92

    Die Frage, „warum Juden als erste Geschichte schreiben“, beantwortet Heinsohn zurecht mit dem Hinweis auf die Geschichte der „Überwindung des Opfers“ (Gunnar Heinsohn: Die Sumerer gab es nicht, S. 130). Nur seine Theorie des Ursprungs der Opfer in „traumatisierenden Kollektiverlebnissen“ wäre ein wenig zurecht zu rücken: Mir scheint, allein aus Naturkatastrophen (Velikovskys Venus-Theorie) läßt sich die dramatische Religionsentwicklung in der Frühgeschichte nicht herleiten; die Form der Verarbeitung der Erfahrungen ist gesellschaftlich determiniert und wäre aus den den gesellschaftlichen Reproduktionsbedingungen und ihrem Widerschein in der subjektiven Erfahrung abzuleiten. Rätselhaft ist das Zusammenfallen der kosmischen und gesellschaftlichen Veränderungen (Ursprung des Privateigentums, der Städte, des Priester- und Königtums, der Opferreligionen, der Tempel, des Sternen- und Bilderdienstes, des Handels, des Militärs, des Geldes, der Schrift; Ursprung der Geschichtsschreibung in der patriarchalischen Genealogie).

  • 06.04.92

    Der Zusammenhang von Im Angesicht und Hinter dem Rücken hat zu tun mit dem von Bewußtsein und Verdrängung, nur daß er im Begriff des Angesichts nicht psychologisch, sondern als Objektives gefaßt wird.
    Obelisk und Pyramide: Potenz und Totenkult?
    Konnte Jesus überhaupt die zukünftige Schuld (unsere Schuld) schon auf sich nehmen, geschweige denn „hinwegnehmen“; d.h. ist die Geschichte im Rahmen einer Opfertheologie (Sühneleiden für zukünftige Schuld) überhaupt zu fassen? Die Opfertheologie ist die weltliche (kosmologische) Interpretation der Übernahme der Sünde der Welt als eines vergangenen Ereignisses, die aber eben damit bewußtlos das kapitalistische Konzept antizipiert und den Bezugsrahmen herstellt für die kapitalistische Gestalt der inneren und äußeren Naturbeherrschung.
    Daß der Begriff der Welt in den historischen Prozeß verflochten ist, ist selber erst ein Resultat dieses historischen Prozesses und erscheint nicht zufällig zum ersten Mal bei Hegel.
    Heute ist vom Christentum allein die Exkulpationsmagie übrig geblieben. Nur sie bindet die „Gläubigen“ noch an diese Religion.
    Sapientia, sapere: Beziehung zur Scham; Fähigkeit, das Von außen gesehen Werden zu reflektieren (die Sünde der Welt auf sich zu nehmen). Diese Reflexion ist die Bedingung der Weisheit und des Erlernens des Schmeckens.
    „Laßt die Toten ihre Toten begraben“: Ich glaube, mit dieser Begründung könnte man aus der Kirche austreten.
    Ist der Freudsche Mythos von der Tötung des Urvaters nicht das genaueste Modell des christlichen Ursprungs des Antisemitismus, der Entstehung des Urschismas.
    Definition: Die Welt ist der Abgrund, der die Menschen von sich selber, von einander und von Gott trennt. Vgl. Ludwig Wittgenstein: Die Welt ist alles, was der Fall ist.
    Kruzifix und Auschwitz: Beides unterliegt dem Bilderverbot; erst die Einhaltung des Bilderverbots, macht den Weg frei für die reale Erinnerung (sprengt die Vorstellung einer homogenen Zeit, während die Opfertheologie diese Vorstellung einer homogenen Zeit voraussetzt und stabilisiert; die Opfertheologie ist ein Teil der Anpassung an die Welt, sie hat den Weltbegriff als Referenzsystem und Maß; die Versöhnung, die sie zu leisten vorgibt, ist Schein, Ersatz für die verdrängte Übernahme der Sünde der Welt).
    Metaphorik ist die Quelle, aus der sprachliches Denken sich nährt. Der Kampf gegen die Metaphorik, der Zwang zum direkten begrifflichen Zugriff, zerstört die Sprache, kreuzigt des Logos.
    Wenn die Beziehung von Innen und Außen eine Bedeutung hat, dann nur unter dem Aspekt von Rechts und Links: Links (das Richten) nach innen, Rechts (die Barmherzigkeit) nach außen. Das steht hinter dem Wort vom Balken und vom Splitter (während heute in der Folge einer schlimmen christlichen Tradition alle nur barmherzig gegen sich selbst, aber streng gegen die Andern sind, das Gut-Sein verdrängen).
    Bei der Übernahme der Sünde der Welt kann und soll nicht geleugnet werden, daß es gegenständliche Schuldzentren in der Welt (die Welt selber als gegenständliches Schuldzentrum) gibt. Nur darf dabei nicht vergessen werden, daß man selber zu ihren Urhebern gehört, sich nicht davon freisprechen kann.
    Jede Überwindung ist nur eine Metamorphose; die Vorstellung, das es wirklich überwunden sei, hängt mit der anderen zusammen, daß es tot und vergangen sei, und uns das Tote und Vergangene nicht mehr interessiert: die beste Garantie dafür, daß es weiterlebt.
    Das verlorene Antlitz der Erde: Nach der „Heiligung der Welt“ jetzt die „Bewahrung der Schöpfung“? Ist nicht beides falsch?
    Wenn die Schlange klüger war als die anderen Tiere des Feldes: heißt das nicht auch, daß die Tiere des Feldes auch klug sind? Liegt die Differenz nicht doch nur in der fehlenden (oder, worauf das Fell hinzudeuten scheint: nicht mehr reflektierbaren) Scham, in der fehlenden Fähigkeit, sich im Blick der anderen zu sehen?

  • 05.04.92

    Robert Spaemann, der am Sexualakt das Schwinden des Bewußtseins (den Verlust der Identität?) glaubt konstatieren zu müssen, wäre darauf hinzuweisen, daß in der Schrift der gleiche Akt Erkenntnis genannt wird (Hinweis auf den Ursprung des christlichen Sexualtabus; Zusammenhang von sinnlicher Erkenntnis, Glück und Freiheit: sapientia/sapere; Verdrängung der Fähigkeit, human zu sein; Mißverständnis des Begriffs der Erbschuld: nicht in der sexuellen Lust, sondern in der moralischen Urteilslust, in der Lust am Urteil über Sexualtität?).
    Spaemanns Sexualfurcht scheint vom Augustinus zu stammen; sie ist ein Teil des christlichen Vorurteils insofern, weil sie zu jenem Weltbegriff gehört, der die Natur in den Zustand der Bewußtlosigkeit verdrängt und somit Erkenntnis im theologischen Sinne überhaupt verhindert. Diese Bewußtlosigkeit charakterisiert und bestimmt sowohl das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Urteil, das Verhältnis der Dimensionen im Raum, der Materie zur sinnlichen Welt, das wechselseitige Verhältnis der sieben Schöpfungstage, als auch das Verhältnis des Personbegriffs zum Angesicht und noch einiges weitere.
    Gegen Spaemann wäre auch noch hinzuweisen auf das paulinische „Kauft die Zeit aus“: auf den notwendigen Versuch, diese Todesgrenze durch Erinnerungsarbeit zu durchstoßen.

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